zum Hauptinhalt
Die Natur holt sich alles zurück? Nicht immer ist das so. In Berlin legt nun die Berliner Immobilienmanagement Hand an versiegelte Flächen.

© Foto: Sebastian Gabsch/PNN

Boden gutmachen: Berlin will über sich hinauswachsen

Die Immobilienmanagement BIM beginnt mit der Entsiegelung von landeseigenen Flächen.

Im vollgepflasterten Manhattan ist Entsiegelung seit Jahren Programm, und sei die geschaffene neue Grünfläche an der ein oder anderen Straßenecke auch noch so winzig. Sie haben dort im Frühjahr sogar einen öffentlichen Park auf Betonstelzen in den Hudson River hinausgebaut – Little Island. Es war eine Frage der Zeit, bis die Welle aus dem New York des einstigen Bürgermeisters Bloomberg nach Berlin überschwappte, wo das Thema Entsiegelung noch auf tönernen Füßen steht. Geboten ist sie unter den Vorzeichen der Klimakrise allemal.

Zwar hat Friedrichshain-Kreuzberg – welcher Bezirk auch sonst? – bereits eine interaktive Internetseite aufgebaut, mit der mögliche Entsiegelungspotenziale erfasst werden sollen. Auch gibt es mit der Charta Stadtgrün eine Selbstverpflichtung des Landes. Aber was hat Berlin sich und seinen Bürgern nicht schon alles versprochen? Man denke nur an das 2019 ausgerufene Förderprogramm „1000 grüne Dächer (GründachPLUS)“.

Ohne Kompensationen keine Genehmigungen von Bauvorhaben

Nun also ein weiterer Ansatz. Die Berliner Immobilienmanagement BIM, die die landeseigenen Immobilien und Flächen verwaltet und entwickelt, soll vorausschauend Boden gutmachen. Die zweite Überlegung neben dem naturnahen Ansatz: Baugenehmigungsverfahren, vor allem für den kommunalen Wohnungsbau, könnten so beschleunigt werden. Ausgleichsflächen müssten nicht mehr gesucht werden – man hat sie sie bereits im Vorfeld definiert.

„Es ist egal, wo wir bauen – immer müssen irgendwelche Bäume fallen und Flächen versiegelt werden“, sagt BIM-Geschäftsführer Sven Lemiss zur Ausgangsvoraussetzung. Es geht damit auch um den Verlust von artenschutzrelevanten Strukturen und um Eingriffe in das Berliner Stadtgrün. Ohne Kompensationen gibt es aber keine Genehmigungen für Bauvorhaben. Aktuell arbeitet sich die BIM am Ausgleich für den Bau von sechs Feuerwachen ab.

Klare Vorschriften zur Vermeidung von Versiegelungen gibt es nicht

Die Versiegelung schreitet voran, wenn auch langsamer als früher. Waren 1992 zunächst 5,3 Prozent des Bundesgebiets versiegelt, waren es 2018 schon 6,5 Prozent. Der Anstieg steht dabei im Zusammenhang mit dem der Siedlungs- und Verkehrsflächen, von denen fast die Hälfte (45,1 Prozent) versiegelt sind, schreibt die Bundesstiftung Baukultur in ihrem aktuellen Bericht, der in dieser Woche in Berlin vorgestellt wurde. Diese Flächen sind bebaut, betoniert, asphaltiert, gepflastert oder mit Folien luft- und wasserdicht abgeschlossen.

Griffige Vorschriften zur Verhinderung von Versiegelungen oder gar Entsiegelung fehlen bisher. Naturschutzrechtliche Regelungen auf Bundes- und der Berliner Landesebene schreiben zwar ein „Vermeidungsgebot“ mit Blick auf Versiegelungen fest. Wenn sie nicht vermeidbar sind, geht es um Ersatz- und Ausgleichsmaßnahmen. Und wenn auch diese nicht möglich sind, ist die Zahlung eines Ersatzgeldes angesagt. Ein sparsamer Umgang mit Grund und Boden ist Bestandteil von Bauleitplänen – dies ist indes Auslegungssache.

Eine „Neue Umbaukultur“ – so der Untertitel des Baukultur-Berichtes – scheint also dringend geboten: Tag für Tag werden in der Bundesrepublik Deutschland 54 Hektar Wald und Landwirtschaftsflächen umgewidmet. Das Ziel, das planerische Flächenwachstum bis 2020 an 30 Hektar zu begrenzen: verfehlt. Nun soll es bis 2030 gelingen. Anschließend soll Schluss mit Versiegelung sein, so steht es auch im Koalitionsvertrag. Dazu gehört für die Grünen auch die Begrünung von Fassaden. Netto-Null-Versiegelung lautet das Zauberwort. Zum Beispiel durch Rasengitter oder grüne Mittelstreifen. Für jeden Zentimeter, der zugebaut wird, soll an anderer Stelle einer zurückgebaut werden. Aber wie soll das praktisch gehen?

Das Pilotprojekt ist eine ehemalige Bezirksgärtnerei in Marienfelde

Ehe ein Bedarf an Ausgleichsflächen entsteht – durch den Neubau von Häusern oder Verkehrsflächen – sollen schon einmal Potenziale gefunden werden, wo Flächen brachliegen könnten, ohne Asphalt und Beton. Passenderweise hat die BIM zunächst eine verfallene Bezirksgärtnerei in Marienfelde entdeckt und renaturiert. Früher war hier alles mit Beton verdeckt. Bald sollen hier Gräser und Büsche sprießen. Damit soll der Bau einer Feuerwache kompensiert werden. 25.000 Quadratmeter Fläche werden entsiegelt.

„Wir haben eine Million Euro aufgewendet um abzureißen“, sagt BIM-Geschäftsführer Sven Lemiss. Und wer kümmert sich anschließend um die Brache? „Wir sind verpflichtet dieses Grundstück mindestens 15 Jahre lang zu pflegen. Ich sehe uns da in einer Managementfunktion.“ Soll heißen: Es wird eine Firma beauftragt, die darauf achtet, dass die Bäume nicht in den Himmel wachsen. Berlins entkräftete Grünflächenämter werden von der BIM jedenfalls nicht behelligt.

Zwei weitere Flächen hat die BIM bereits auf dem Schirm. Es geht ihr vor allem um größere Liegenschaften. In Reinickendorf wurde eine weitere Gärtnerei in Landesbesitz geortet (Quickborner Straße 192 E/F) und in Lichtenberg steht eine ehemalige Polizei-Liegenschaft zur Disposition (An der Margaretenhöhe 65). Weitere Freiflächen werden derzeit kategorisiert. Die entsprechenden Absprachen laufen über eine Flächenagentur in der Umweltverwaltung. „Es gibt Flächen, da lässt sich kein Nutzungsszenario abbilden“, sagt Lemiss.

Wir brauchen eine flächendeckende grüne Infrastruktur – wir brauchen eine grüne Durchquerung durch die ganze Stadt.“

Christian Hönig, Baumschutz-Fachreferent beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND)

Doch müsste es nicht auch ans Eingemachte gehen, an Berlins Hinterhöfe zum Beispiel? Christian Hönig, Baumschutz-Fachreferent beim Bund für Umwelt und Naturschutz (BUND), hält das für Stückwerk. „Das funktioniert mal mehr und mal weniger schlecht“, sagte er der rbb-Abendschau. „Man muss da wirklich ganz groß ’rangehen. Wir brauchen eine flächendeckende grüne Infrastruktur – wo es eben an die großen Plätze, an die Mittelstreifen geht und wir brauchen eine grüne Durchquerung durch die ganze Stadt.“ Entsiegelung ist nur ein Teilaspekt, nimmt man das große grüne Ganze in den Blick: „Je mehr Nachverdichtung, desto mehr Menschen in den Parks, desto weniger Fläche ist für den Einzelnen in den Parks – desto höher die Übernutzung.“

Da kommt eine Riesenwelle an Problemen auf uns zu, findet nicht nur Christian Hönig. Denn durch den hohen Versiegelungsgrad leidet in den Städten das Mikroklima: Die Luft ist trockener und die mittleren Temperaturen liegen über denen des Umlandes. Der Trend zu steigenden Temperaturen wird im Zuge des Klimawandels steiler. Luftschadstoffe könnten nicht mehr gefiltert werden. Dem Grundwasser fließt weniger Wasser zu. Kanalisation und Kläranlagen werden durch den Abfluss von Oberflächenwasser – häufig bei Starkregen in Berlin zu beobachten – stärker beansprucht.

Umfangreiche Anpassungsmaßnahmen sind die Folgen. „Bodenversiegelungen bedeuten den totalen Verlust der natürlichen Bodenfunktionen. Regenwasser kann auf versiegelten Flächen nicht versickern und die Grundwasservorräte auffüllen“, sagt Carsten Preuß, Landesvorsitzender des Bundes für Naturschutz (BUND) Brandenburg.

Auch in Brandenburg wächst die Zahl der versiegelten Flächen

In Brandenburg sind nach BUND-Angaben 9,5 Prozent der Landesflächen als Verkehrs- und Siedlungsflächen ausgewiesen. „Das klingt nicht viel, aber zwischen 2000 und 2018 ist die Fläche um 16,6 Prozent gewachsen: Im Schnitt um 6,1 Hektar pro Tag“, sagt Preuß.

Wer soll, wer wird sich aber nun um die in Berlin entsiegelten Flächen kümmern, sofern sie nicht im Portfolio der BIM sind? Die Berliner Senatsverwaltung für Umwelt, Mobilität, Verbraucher- und Klimaschutz verweist auf die Grünflächenämter der Bezirke.

Auch Reiner Nagel, Vorstandsvorsitzender des Bundesstiftung Baukultur, sieht die Grünflächenämter vor neuen Aufgaben. Nagel war seit 2005 Abteilungsleiter in der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung Berlin für die Bereiche Stadtentwicklung, Stadt- und Freiraumplanung. „Sie müssen nur das Grünflächenbudget in Berlin von 80 auf 160 Millionen Euro erhöhen“, schlägt er vor. Im Übrigen sollten die entsiegelten Flächen „mit hochwertigen Materialien“ wieder versiegelt werden. Ganz einfach.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false