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Steilkurve. Der rasante Anstieg der Immobilienpreise und Mieten in Deutschland könnte sich noch Jahre fortsetzen.

© dpa

Berliner Wohnungsmarkt: Der private Kleinanbieter ist der Hauptverdränger

Eine Untersuchung von HU-Wissenschaftlern zu den Ursachen von Verdrängung liefert überraschenden Befunden. Ist in Berlin alles halb so schlimm?

Verdrängung und hohe Mieten: Der Streit über bezahlbare Wohnungen in den Großstädten eskaliert. Bundesweit demonstrierten Zehntausende, zuletzt am 1. Mai. Die Parteien kommen über Erklärungsversuche nicht hinaus, wie sie der angeblichen Verdrängung von Normalverdienern aus den Großstädten Herr werden wollen. Die SPD möchte die Mieten in Städten mit angespanntem Wohnungsmarkt vorübergehend einfrieren. Die Grünen sprechen sich für regionale Mietobergrenzen aus. Die Enteignung unbebauter Grundstücke will der Grünen-Vorsitzende Robert Habeck nicht ausschließen.

In Berlin weht mit der Enteignungskampagne gegen die Deutsche Wohnen und andere – vor allem börsennotierte – Unternehmen noch ein viel schärferer Wind. So startete am 6. April 2019 das von der Berliner Initiative „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ initiierte Volksbegehren zur Enteignung von Wohnungsunternehmen. Ihr Ziel ist es, dass private Wohnungsgesellschaften, die mehr als 3000 Wohnungen besitzen, enteignet und ihre Bestände in Gemeineigentum überführt werden.

Was aber macht den Prozess der Verdrängung überhaupt aus, der per se und unisono zu den Grundübeln der Immobilienwelt gezählt wird? Ist es so, dass Umzüge – zum Beispiel in Berlin – in der Regel unfreiwillig – gezwungenermaßen unter den herrschenden Immobilienverhältnissen – vollzogen werden müssen?

Über das Ausmaß und die Folgen von Verdrängung gibt es bislang kaum belastbare Befunde, während vor allem die Ängste vor Verdrängung mit Händen zu greifen sind.

Verdrängungsrate geringer als gedacht

Fabian Beran und Henning Nuissl, Wissenschaftler der Humboldt-Universität zu Berlin haben nun erstmals mit Unterstützung der Wüstenrot Stiftung das Ausmaß und die Folgen von Verdrängung auf angespannten Wohnungsmärkten am Beispiel Berlin untersucht. Die Forscher haben auf der Basis einer repräsentativen Befragung von Umzüglerinnen und Umzüglern aus den Berliner Innenstadtbezirken Mitte und Friedrichshain-Kreuzberg das Ausmaß der Verdrängung auf dem Wohnungsmarkt quantifiziert, die Wohnstandortentscheidungen von Verdrängten beleuchtet und die Folgen einer Verdrängung für die Betroffenen untersucht. Ihnen ging es dabei vor allem auch um die Aufwertung von Wohnraum und damit möglicherweise evozierte Verdrängungsprozesse. Beran und Nuissl plädiren dafür, den Verdrängungsbegriff vom Phänomen der Gentrifizierung zu unterscheiden.

Die Verdrängungsrate, das heißt den Anteil verdrängter Mieterinnen und Mieter an allen Umzügen, beziffern die beiden Wissenschaftler mit über zwanzig Prozent. Mieterhöhungen, beispielsweise als Folge einer baulichen Aufwertung, sind in den beiden untersuchten Bezirken erwartungsgemäß die häufigste Ursache einer Verdrängung. Im Umkehrschluss bedeutet diese Zahl, dass achtzig Prozent der Umzüge in beiden Bezirken nicht auf Verdrängungsprozesse zurückgehen, sondern mit der Veränderung persönlicher, respektive beruflicher Lebensumstände zu tun haben. Nur bei 2,6 Prozent der Befragten konnten sie den Umzugsgrund eindeutig auf einen oder mehrere Verdrängungsfaktoren zurückführen. In der Regel liegen einer Umzugsentscheidung mehrere Überlegungen zugrunde.

Instandhaltung als Ursache

„Und auch die in vielen Untersuchungen vorfindliche Konzeptualisierung von Verdrängung als unfreiwilliger Umzug ist vor diesem Hintergrund kritische zu sehen“, so die beiden HU-Wissenschaftler. „Zwar geht Verdrängung tendenziell mit einem Gefühl der Unfreiwilligkeit einher; da Umzüge jedoch fast immer auf einen Mix von Wanderungs- beziehungsweise Umzugsmotiven zurückzuführen sind, wird auch die eigene Verdrängung keineswegs zwangsläufig als etwas Unfreiwilliges erfahren.“ Beispielsweise könne eine Mieterhöhung, die das Budgeht eines Singlehaushaltes übersteige, zum Anlass genommen werden, den (latenten) Wunsch zu realisieren, mit der Partnerin oder dem Partner zusammenzuziehen. So lasse sich erklären, dass „bei Weitem“ nicht alle Verdrängten ihren Umzug insgesamt als unfreiwillig bewerten.

Zudem förderten Fabian Beran und Henning Nuissl den fast banalen Befund zutage, dass „als zweithäufigste Verdrängungsursache in der Studie der Instandhaltungsstau vor Gebäuden und/oder Wohnungen indentifiziert“ wurde, nach mehr oder weniger nachvollziehbaren Steigerungen der Bestandsmiete aus Gründen einer besseren Rendite als Verdrängungsursache Nummer eins. Entwarnung also?

Immerhin gelingt es den Verdrängten „überwiegend, ihre räumlichen Wohnwünsche zu realisieren und nahräumlich umzuziehen; so finden sich die Zuzugsschwerpunkte der Verdrängten innerhalb oder angrenzend an die innere Stadt von Berlin“. Eine Verdrängung an den Stadtrand findet, so die HU-Wissenschaftler, nicht statt. Alles halb so schlimm?

Angebot und Nachfrage

Die Immobilienpreise in Deutschland steigen weiter. In einer Umfrage des Deutschen Städtetages teilten mehr als vier Fünftel der 71 befragen Städte mit, dass die Preise für Wohneigentum auch 2018 weiter zugelegt hätten. Zwölf Prozent der Städte ermittelten konstante Preise für Grundstücke, Wohnungen und Häuser. Nur sieben Prozent der Kommunen berichteten von sinkenden Preise. Die Preise für Wohnungen stiegen sogar in neun von zehn Städten. Für die Umfrage wertete der Deutsche Städtetag die Datensätze aus den Kaufpreissammlungen der Gutachterausschüsse für Grundstückswerte in den beteiligten Städten aus. Sie beruhen auf den beurkundeten Kaufverträgen.

„Das Ergebnis der Umfrage zeigt: Das Angebot an Wohnimmobilien am Markt bleibt nach wie vor hinter der hohen Nachfrage zurück“, sagte der Hauptgeschäftsführer des Deutschen Städtetages, Helmut Dedy. Er forderte deshalb eine „eine langfristig angelegte, kontinuierliche und ressortübergreifende Wohnungspolitik für breite Schichten der Bevölkerung“. Nur so sei eine Trendwende möglich. Eine so definierte Wohnungspolitik ist in Berlin indes nicht zu erkennen.

Auch die HU–Forscher Beran und Nuissl zeigen sich in ihren wohnungspolitischen Schlussfolgerungen zum Thema Verdrängung unschlüssig. Erstaunlicherweise arbeiten sie in ihrer Untersuchung aber heraus, dass es – zumindest in den Untersuchungsgebieten – nicht die von Enteingnungsbefürwortern entmenschlichten „Immobilienhaie“ sind, die sich noch freier schwimmen wollen, sondern eher die kleineren Fische (um für einmal im falschen Sprachbild zu bleiben): die privaten Kleinanbieter. „Gerade dieser Eigentümertyp ist in der vorliegenden Studie (…) überdurchschnittlich häufig als Verdränger aufgetreten.“

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