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Die IG Metall tut sich schwer bei der Organisation neuer Beschäftigtengruppen.

© imago images/YAY Images

IG Metall bekommt neue Führung: Kleine Revolution

Gewerkschaft im Team: Mit einer Doppelspitze will die IG Metall einen Machtkampf vermeiden.

Die IG Metall bereitet sich auf die Zukunft vor. Es brauche ein neues Bild von „Wir – das Team IG Metall“, heißt es in einem „Werkstattpapier“, das die größte deutsche Gewerkschaft diese Woche auf einem Kongress in Leipzig diskutiert. Dazu bekommt das Team „eine neue, kooperative Führungskultur“ wie es in der IG Metall heißt. Tatsächlich haben sich die wichtigsten Leute an der Gewerkschaftsspitze auf eine kleine Revolution verständigt: Nach dem Vorbild der Grünen und der SPD soll künftig auch die IG Metall von einer Frau und einem Mann geleitet werden. Der Führungswechsel steht erst im Herbst nächsten Jahres an, doch die Protagonisten haben sich bereits auf Grundzüge verständigt. Damit der aktuelle Vorsitzende Jörg Hofmann nicht als „lame duck“ in die bevorstehende Tarifauseinandersetzung geht, halten sich die Nachfolger bedeckt. Offiziell werden die Kandidatinnen und Kandidaten für den Vorstand im Frühjahr 2023 benannt.

Immer weniger Mitglieder

In den vergangenen zwei Jahren haben gut 1200 ehren- und hauptamtliche Metaller, intern „Veränderungspromotor*innen“ genannt, Auswege aus der Krise gesucht: Die IG Metall verliert wie fast alle Gewerkschaften Mitglieder. „Wenn wir den Trend sinkender Organisationsgrade in unseren Betrieben nicht stoppen, werden wir an Stärke im Betrieb, bei Tarifbewegungen und bei unserem Einfluss auf Gesellschaft und Politik verlieren“, heißt es im Werkstattbericht. „Unser Machtpotenzial sind unsere 2,1 Millionen Mitglieder. Damit kann man Berge versetzen.“ Aber wie lange noch?

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592 Millionen Euro Beiträge

Keine andere Gewerkschaft ist so durchsetzungsstark und finanzkräftig wie die IG Metall, die auch bisweilen als Autogewerkschaft bezeichnet wird. Hier hat sie ihre streikfähigsten Truppen. Entsprechend sind aber auch die Auswirkungen des Abschieds vom Verbrennungsmotor und der Digitalisierung. Die Industrie braucht weniger Mechaniker und mehr Programmierer, der Wandel vom Blue- Collar- zum White-Collar-Worker läuft auf Hochtouren, und die IG Metall tut sich schwer, die neue Beschäftigtengruppen für sich zu gewinnen. 592 Millionen Euro flossen an Beitragseinnahmen 2021 in die Kassen der Gewerkschaft – das war etwas mehr als im ersten Pandemiejahr, als noch mehr kurzgearbeitet wurde. Doch 2019, im letzten Jahr vor Corona, hatte der Hauptkassierer Jürgen Kerner noch 598 Millionen verbucht.

Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg, verhandelt im Herbst den neuen Tarifvertrag.
Roman Zitzelsberger, Bezirksleiter der IG Metall Baden-Württemberg, verhandelt im Herbst den neuen Tarifvertrag.

© dpa

Kerner, 1969 in Augsburg geboren, ist seit 2013 im sieben Mitglieder starken Vorstand der IG Metall für die Finanzen zuständig. Der charismatische Kassenwart tüftelt gemeinsam mit der zweiten Vorsitzenden, Christiane Benner, und dem IG-Metall-Chef von Baden-Württemberg, Roman Zitzelsberger, die neue Führungsstruktur aus, die dann Jörg Hofmann den Gremien vorschlagen wird. So ist das Procedere in der 73 Jahre alten Industriegewerkschaft. Die IG Metall setzte in der Bundesrepublik die Fünftagewoche durch, die Lohnfortzahlung im Krankheitsfall und die 35-Stunden-Woche.

Die Vorsitzenden kommen aus Baden-Württemberg

Die Diplom Soziologin Benner, Jahrgang 1968, arbeitet seit 1997 für die Gewerkschaft; 2011 wurden sie in den Vorstand gewählt, seit 2015 ist sie zweite Vorsitzende. Benner kümmert sich unter anderem um Plattformökonomie, Organisationspolitik und Mitbestimmung. Zitzelsberger, 1966 in der Nähe von Karlsruhe geboren, führt seit 2013 den Bezirk Baden-Württemberg, der in der Regel die Pilottarife für die ganze Branche abschließt. Auch deshalb stammt der Vorsitzende der IG Metall fast immer aus Baden-Württemberg, dem Kernland der Fahrzeugindustrie und des Maschinenbaus. In den vergangenen Jahrzehnten waren Jürgen Peters (Niedersachsen) und Detlef Wetzel (Nordrhein-Westfalen), die Ausnahmen.

Zitzelsberger macht Tarifabschlüsse

Zitzelsberger hat schon ein paar wichtige Tarifverträge ausgehandelt und unterschrieben, auch im kommenden Herbst führt der gelernte Maschinenbauer die Verhandlungen. Nachdem die IG Metall die aktuelle Stahlrunde mit der Forderung nach 8,2 Prozent eröffnet hat, folgt im Juni die Forderung für die Metall- und Elektroindustrie – wahrscheinlich mit einer sieben vor dem Komma. Vor allem wegen Corona haben die 3,8 Millionen Metaller seit Jahren keine Erhöhung der Tabellenentgelte bekommen.

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Christiane Benner, seit 2015 zweite Vorsitzende der IG Metall, will ganz nach oben.
Christiane Benner, seit 2015 zweite Vorsitzende der IG Metall, will ganz nach oben.

© dpa

Deshalb – und weil die Inflationsrate so hoch ist wie seit Jahrzehnten nicht mehr – sind die Erwartungen enorm, denen Zitzelsberger im Herbst gerecht werden muss. Mit einem guten Tarifabschluss könnte er dann in das Wahljahr 2023 gehen – im Herbst steht auf dem Gewerkschaftstag der IG Metall die Wahl der Führung für die nächsten vier Jahre an. Zitzelsberger hatte sich zu eine Kampfkandidatur gegen Benner entschlossen, die als zweite Vorsitzende ein ungeschriebenes Zugriffsrecht auf den Spitzenplatz hat. Sie will den Posten unbedingt und hat deshalb auch nicht für den DGB-Vorsitz kandidiert. Benner würde vermutlich gegen Zitzelsberger gewinnen: Selbst in der IG Metall mit fast 80 Prozent männlichen Mitgliedern ist die Zeit reif für eine Frau.

2003 gab es eine große Führungskrise

Aber Kampfkandidaturen sind riskant und können die Organisation zerrütten – wie im Jahr 2003. Jürgen Peters oder Berthold Huber hießen damals die Kandidaten für den Vorsitz. Nach einem verlorenen Arbeitskampf um die 35-Stunden- Woche in Ostdeutschland und einem üblen Machtkampf zwischen dem damaligen Vorsitzenden Klaus Zwickel und Peters, dem zweiten Vorsitzenden, trat Zwickel vorzeitig ab. Peters und Huber schlossen Frieden zum Wohl der Gewerkschaft: Peters wurde die Nummer eins, Huber für vier Jahre die Nummer zwei und anschließend die Nummer eins.

20 Jahre nach dem Horrorsommer möchten weder Benner noch Zitzelsberger eine ähnliche Auseinandersetzung. Mit Kerner an ihrer Seite werden sie dem Gewerkschaftstag eine Satzungsänderung vorschlagen: Zwei Drittel der Delegierten müssen zustimmen, dass es künftig nicht mehr einen ersten und einen zweiten Vorsitzenden gibt. Wenn der Gewerkschaftstag zustimmt – woran es keinen Zweifel gibt – wird sich die neue Führung an die Gestaltung der Zukunft machen. Als Team.

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