zum Hauptinhalt
Malaika Raiss.

© Thilo Rückeis

Designerin Malaika Raiss im Porträt: "Ich bin nicht nur Künstlerin, ich will auch wirtschaftlichen Erfolg"

Malaika Raiss ist eine Rampensau, eine Designerin und eine erfolgreiche Geschäftsfrau. Sie weiß, worauf es ankommt, um sich in der Modebranche durchzusetzen - denn Kreativität allein reicht nicht aus.

Eine Rampensau stellt man sich irgendwie anders vor, aber Malaika Raiss nennt sich selbst so. Und klingt dabei sehr sachlich. Die zierliche 29-Jährige sagt öfter solche Dinge. Seit vier Jahren betreibt sie das Label, für das ihr Vor- und Nachname zusammengeklebt wurden: Malaikaraiss. Ein Eine-Frau-Betrieb ist die Firma trotzdem nicht. Das Unternehmen steht sozusagen auf sechs Beinen. Zwei davon gehören ihrer ehemaligen Kommilitonin Lina Tisken, die beiden anderen Thomas Forwe, einem Freund der Familie Raiss. Er hat sich um die wirtschaftlichen Aspekte der Gründung gekümmert. "Allein wäre ich diesen Schritt nicht gegangen", sagt Raiss. Denn dass Talent nicht die einzige Voraussetzung ist, um ein Label zu führen, war ihr damals längst klar.

Ihren ersten Erfolg in der Branche hat sie mit 16, damals gewinnt ihr Entwurf eines "kleinen Schwarzen" einen Wettbewerb der Zeitschrift "Brigitte Young Miss". Nach dem Abitur macht sie – schon wieder so ein überraschender Satz – dann aber erst einmal ein Freiwilliges soziales Jahr beim Jugendamt. Aber dann soll es doch die Mode werden: Sie bewirbt sich an der nächstgelegenen Schule, wird genommen und pendelt drei Jahre lang zwischen Frankfurt und Mannheim. Nebenher arbeitet sie in einem Jugendzentrum.

Nach ihrem Abschluss zieht es Malaika Raiss dann weiter weg: 2007 und 2008 geht sie für mehrere Monate nach New York. In die deutsche Hauptstadt bringt sie ein Praktikumsplatz bei Lala Berlin. Sie assistiert, näht Musterteile, arbeitet mit an der Kollektion für die Fashion Week und am Showkonzept. "Damals war alles sehr improvisiert, keiner wusste, ob das was wird und wie es weitergeht", erinnert sie sich an die Anfänge der Berliner Modewoche.

Für Häagen Dazs hat sie eine goldene Eisbecher-Hülle entworfen

Bei Lala Berlin lernt sie sehr schnell sehr viel, sie wird übernommen, später arbeitet sie freiberuflich. Nach drei Jahren in der Modebranche gründet sie ihr Label. Heute ist es ihr wichtig, auch ihren Praktikantinnen ein Gefühl für die vielen Abläufe zu geben, die nötig sind, bis eine Kollektion von langen Beinen über den Laufsteg getragen wird.

Malaika Raiss hat sich nie nur für die Mode interessiert, sondern immer auch dafür, Kleidung zu verkaufen. Sie besucht mehrere Gründerseminare, nutzt Coachings der IBB und arbeitet bis heute mit einer Unternehmensberaterin zusammen. Ihre Geschäftspartnerin Lina Tisken studiert nebenher noch BWL und kümmert sich mittlerweile auch um die Buchhaltung. "Ich bin nicht nur Künstlerin, ich will auch wirtschaftlichen Erfolg haben", sagt Raiss. Und sie sei auch ein schlauer Fuchs, wenn es um Partnerschaften und Deals gehe.

Für den Luxus-Eisproduzenten Häagen Dazs hat sie zum Beispiel eine goldene Eisbecher-Hülle entworfen. Auch mit Brands for Friends arbeitet sie schon seit einigen Jahren zusammen. Ihr Geschäftsmodell scheint zu funktionieren: Ihr Umsatz hat sich verdreifacht. Sie hofft, dieses Geschäftsjahr mit einem guten Plus abschließen zu können. Ein Ergebnis, das sich perfekt in den Fünf-Jahres-Plan einfügt.

Neben dem Design unterrichtet die 29-Jährige Textiltechnologie an der Modeschule Esmod. Dass die Ausbildung in Deutschland so großen Wert auf das Handwerk legt, findet sie gut. Kritisch sieht sie, dass wirtschaftliche Aspekte an deutschen Modeschulen kaum vorkommen, und den Studierenden oft empfohlen wird, sich nach dem Abschluss am besten gleich selbstständig zu machen: "Ich sage immer: Leute, macht das bloß nicht, sammelt lieber erstmal Erfahrungen und spezialisiert Euch weiter."

Mode wird in Deutschland nicht wertgeschätzt

Die junge Designerin gehört zu den vier Nominierten, die Anfang Juli auf den von der Senatsverwaltung ausgeschriebenen Preis "Start your Fashion Business" hoffen können. Für Raiss ist die Nominierung ein Zeichen, "dass es sich lohnt, auch kommerzielle Labels, die die Gründungsphase bereits erfolgreich gemeistert haben, beim Wachsen und Stabilisieren zu unterstützen".

Gibt es eigentlich etwas, das alle Berliner Designer gemeinsam haben? Sie muss kurz überlegen: "Alle verbindet, dass sie mutig sind, weil das Umfeld hier noch im Aufbau ist." Dass ihre Firma in Berlin sitzt, hat ihr nicht nur Vorteile beschert, sondern manchmal auch Vorurteile. Etwa jenes, unprofessionell zu sein, Liefertermine nicht einzuhalten und in einem Jahr sowieso schon wieder von der Bildfläche verschwunden zu sein. Ein Image, für das wahrscheinlich die erste Generation der Hinterhof-Labels verantwortlich ist.

Ein großes Problem sieht die Designerin darin, dass Mode in Deutschland nicht wertgeschätzt wird. Es gebe in Bund und Land zu wenig Fördergelder und Finanzierungsmittel, und auch keine Kredite: "Ich muss für die Muster und Produktion immer in Vorleistung treten, dafür gibt es keine kurzfristige Finanzierung." Obwohl sie Kaufverträge vorlegen und damit nachweisen kann, dass das Geld in vier Monaten auf ihrem Konto sein wird.

Ihre Kollektion wird beim östlichen Nachbarn hergestellt: "Wir produzieren in Polen, weil der Produzent dort flexibel mit Stückzahlen umgehen kann und kleine sowie auch große Stückzahlen kein Problem sind." Dadurch könne sie den ­Kunden "bestmögliche Endpreise" bieten.

Mode-Blogger machen das Label bekannter

Was zeichnet die Kleidung aus, die sie gestaltet? "Die Schnittführung ist immer bequem und unkompliziert. Man muss damit im Büro und auf der Party gut gekleidet sein." Und der Stoff, den das Team häufig selbst entwickelt, muss sich gut anfühlen.

Ihre Auflagen sind unterschiedlich hoch, sie liegen mal bei zehn, mal bei 50, und bei Accessoires auch bei mehreren 100 Stück. Inzwischen hat das Label auch ein "Einstiegssegment unter 100 Euro" im Angebot, T-Shirts, Sweatshirts und Accessoires. "Es ist wichtig, dieses Segment zu bedienen, weil sich der Kunde so an die Marke gewöhnt." Diese Aufgabe habe früher der Einzelhandel übernommen, doch der setze heute oft nur noch auf etablierte Marken. Deshalb müsse man das eben selbst tun. "Seit Januar explodiert der Online-Shop", sagt sie. Dass ihr Team das Online-Geschäft selbst betreut, gibt ihr einen guten Überblick – über die Häufigkeit der Käufe oder die Frage, welche Veröffentlichungen den Kundinnen Lust machen, den virtuellen Warenkorb zu füllen. Großen Einfluss darauf haben auch die Mode-Blogger: Sie machen das Label bekannter – und sie prägen auch das Rollenverständnis.

Wie kommt man zur Ruhe, wenn ständig neue Kollektionen erdacht, Zusatzprojekte gestemmt und vor allem viel Geld direkt wieder ausgegeben werden muss? Malaika Raiss fährt seit ihrer Kindheit jeden Sommer nach Finnland in den Urlaub. Halbfinnin ist sie allerdings nicht – auch wenn sich dieses Gerücht seit einigen Jahren hartnäckig hält. Und sie nichts dagegen hätte, wenn es stimmen würde.

Dieses Stück erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin "Köpfe" aus dem Tagesspiegel-Verlag, das Sie hier bekommen können: Tagesspiegel Köpfe bestellen

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false