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Wirtschaft: Hauptstadt der Vorkoster

In Berlin gilt die Schokoladen-Kundschaft als experimentierfreudig – Produzenten testen hier exotische Sorten.

Berlin - 1860 echauffierte sich ein französischer Journalist: „Noch nie hat man so viele Arten von Schokolade gesehen, es ist wahrlich ein Hohn. Es gibt keine Substanz, die man nicht mit Schokolade verarbeitet hätte.“ Gut 150 Jahre später zeigt ein Blick in die Auslage von Winterfeldt Schokoladen in Berlin-Schöneberg, dass die Menge der Sorten nicht abgenommen hat. Fast 1000 Schokoladen von Herstellern aus aller Welt hat das Geschäft im Angebot.

Zu der Vielfalt kommt noch ein zunehmender Schokoladenhunger in Deutschland: 2010 wurden dem Bundesverband der deutschen Süßwarenindustrie zufolge rund eine Million Tonnen Schokolade oder Scholokoladenwaren hergestellt, das sind 3,3 Prozent mehr als im Vorjahr. Da müssen neue Ideen her, um sich von der Masse abzugrenzen.

Die Berliner scheinen sich wie kaum ein anderer Menschenschlag in der Bundesrepublik dafür zu eignen, neue Sorten zu testen. Vielleicht liegt es daran, das diese Stadt ein Schmelztiegel für Menschen aus aller Welt ist, die schon eine Menge exotischer Dinge gegessen haben. „Die Stadt ist tatsächlich ein Testmarkt“, sagt die Mitinhaberin vom Winterfeld Schokoladen, Natascha Kespy, und verrät den neuesten Trend: Rohe Schokolade, die nur bis zu 42 Grad Celsius erhitzt wird. „Die hat eine stark fruchtige Note“. Jürgen Rausch, Geschäftsführer der ehrwürdigen Berliner Schokoladenmarke Fassbender & Rausch bestätigt das: „Berliner sind bereit neue Produkte auszuprobieren und melden sich auch, wenn ihnen etwas gefällt oder missfällt.“

Die Berliner Kunden seien auch bereit, für die Schokolade ihres Herzens mehr auszugeben, sagt Natascha Kesby. Daher würden Hersteller neue Produkte gerne in der Hauptstadt erproben. Der Berliner ist verwöhnt von dem großen Angebot in der Stadt, sei es Rauschs Schokoladenhaus am Gendarmenmarkt, die benachbarte Ritter Sport-Schokowelt oder Sawade und Erich Hamann – es gibt an der Spree viel Süßes zu probieren. Was die Berliner nicht mögen? Da muss Kespy nachdenken. „Es gibt nichts, was zu exotisch ist“, sagt sie schließlich.

Zudem informieren sich viele Kunden in der Stadt genau über die Schokolade, sagt Franz Duge, Geschäftsführer von Chocri. Der Berliner Hersteller von Schokolade, die Kunden online selbst zusammenstellen können, hat vor einem halben Jahr seine Produktion mittels Kauf von Klimaschutzzertifikaten CO2-neutral gestellt. „Soziale Verantwortung von Unternehmen wird wichtiger“, sagt Duge. Chocri ist seit 2008 auf dem Markt, 2010 kaufte sich Ritter Sport bei dem Start-up ein. Die meisten Kunden hat das Unternehmen, das im Stadtteil Lichtenberg zu Hause ist, in Berlin. Zu Weihnachten ließen die zum Beispiel ihre Tafeln mit Blattgold, Chili oder gebrannten Mandeln verzieren. Der letzte Schrei sind selbst zusammenstellbare Pralinen. „Da werden wir das Sortiment noch erweitern“, kündigt Duge an.

Auch im Atelier Cacao in der Berliner Linienstraße ist das Sortiment größer geworden, zu den neusten Kreationen gehört Edelbitterschokolade wahlweise mit Meersalz, Kräutern der Provence oder Tomate-Basilikum. Am besten läuft Geschäftsführerin Nina Engel zufolge Tomate-Basilikum. „Die Leute trauen sich viel“, sagt sie über Berliner Kunden. Sie seien wählerisch, achteten zum Beispiel auf fair gehandelte Produkte. Wenn es ihnen schmecke, seien sie aber treu. Klassische Sachen würden dagegen weniger gut laufen – es soll etwas besonderes sein. Beispielsweise Schokolade in Brandenburger-Tor-Form oder individuell beschriftete Tafeln. Offenbar gibt es mittlerweile genug treue Kunden – jedenfalls kommt zu dem biozertifizierte Betrieb zum Jahresanfang eine Konditorei hinzu. Und im Mai 2012 beginnt wieder die Weihnachtsproduktion, in der das Atelier Cacao eine Tonne Schokolade verarbeitet.

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