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Soll die Sektorkopplung gelingen, braucht es noch viel mehr Windkraftanlagen.

© picture alliance / Carsten Rehde

Verzahnung von Strom, Wärme und Mobilität: Gemeinsam in die Zukunft

Wenn einzelne Teilbereiche der Energiewirtschaft miteinander verknüpft werden, spricht man von Sektorkopplung. Sie gilt als wichtiger Baustein der Energiewende – ist jedoch nicht einfach umzusetzen. Deutschland kann nicht genug klimaneutralen Strom herstellen.

Die gute Nachricht: Mehr als die Hälfte des in den ersten sechs Monaten dieses Jahres erzeugten Stroms kam aus Erneuerbare-Energien-Anlagen. Genau 51,8 Prozent waren es nach jüngsten Zahlen des Statistischen Bundesamtes, ein neuer Rekord im Sektor Stromerzeugung. Ein großer Teil des klimaneutralen Stroms wird dabei direkt an die Haushalte und die Industrie geliefert. Die schlechte Nachricht: In den Sektoren Wärme und Verkehr sieht es anders aus. Hier dominieren immer noch klimaschädliches Erdgas und Erdöl.

Deutschland hat sich das Ziel gesetzt, bis 2050 eine CO2-freie Energieerzeugung zu betreiben. Dabei ist grüne Stromerzeugung essenziell für die Erreichung der deutschen Klimaziele. Denn CO2-frei soll nicht nur die Stromerzeugung werden. Auch der Wärmebereich, also alles, was mit Heizen zusammenhängt, der Verkehr und alle Industrieprozesse sollen einmal CO2-neutral oranisiert werden. Sektorkopplung heißt das Stichwort.

Von dieser ist Patrick Graichen, Direktor der Berliner Politikberatung Agora Energiewende, überzeugt. „Im Einfamilienhaus und im Verkehr wird die Antwort die Elektrifizierung sein, wenn wir dort null CO2-Ausstoß anstreben.“ Doch laufen hierzulande die einzelnen Sektoren noch immer nebeneinander her. Ein Kraftwerk produziert Strom für Industrie und Haushalte, die Heizung läuft mit Gas oder Öl, der Individualverkehr wird meist mit Benzin oder Diesel betrieben. Dass Strom beim Heizen oder für die Mobilität zum Einsatz kommt, ist eher die Ausnahme. Doch mithilfe der Sektorkopplung soll in Zukunft das Bild ein anderes sein.

Das sieht auch die Politik so. „Die Sektorkopplung ist Voraussetzung für die Dekarbonisierung im Wärme- und Mobilitätssektor und in der Industrie“, heißt es in einem offiziellen Regierungsbeschluss. Verabschiedet wurde dieser kurz vor der parlamentarischen Sommerpause bei einer Besprechung von Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) mit den Regierungschefs der Bundesländer.

Für die Verknüpfung der Stromerzeugung mit den Sektoren Wärme und Verkehr soll vor allem sogenannter Überschussstrom genutzt werden. Zu gewissen Zeiten – vor allem nachts oder an Feiertagen – erzeugen die Kraftwerke und Ökostromanlagen oftmals mehr Strom als benötigt wird. Die Menge des Überschussstroms soll durch den geplanten Ausbau der erneuerbaren Energien immer mehr steigen. Läuft der überschüssige Ökostrom vermehrt in die Bereiche Wärme und Verkehr, sinken auch dort die CO2-Emissionen stetig, so die Idee.

Der Überschussstrom kann weiterhin durch Power-to-X-Verfahren in gasförmige oder flüssige synthetische Brenn- und Kraftstoffe umgewandelt werden (siehe Kasten). Vor allem auf Wasserstoff setzt die Politik große Hoffnungen. Dieser kann mittels Ökostrom CO2-neutral hergestellt werden und zu Teilen im Erdgasnetz gespeichert werden. Wenn die Ökostromproduktion wetterbedingt lahmt, kann auf den gespeicherten Wasserstoff zurückgriffen werden.

Das Problem: So viel Ökostrom, wie für die Sektorkopplung benötigt, kann in Deutschland nicht hergestellt werden. „Wir brauchen für den zusätzlichen Strombedarf für Wärme, Verkehr und die Wasserstoffproduktion fast die doppelte Strommenge beziehungsweise eine Vervierfachung der Ökostrommenge bis 2050“, sagt Patrick Graichen. Laut dem Energieverband BDEW wurden 2019 in Deutschland knapp 512 Milliarden Kilowattstunden Strom verbraucht. An die 900 bis 1000 Milliarden Kilowattstunden werden aber laut Graichen für eine erfolgreiche Sektorkopplung benötigt. „Wir können in Deutschland rund 800 Milliarden Kilowattstunden an erneuerbaren Strom in Deutschland erzeugen, das ist viel, aber auch das Limit.“

In der Diskussion ist daher der Import von grünen Wasserstoff, also Wasserstoff, der mit Ökostrom hergestellt wurde. Das hat auch die Bundesregierung in ihrer im Sommer vorgestellten „Nationalen Wasserstoffstrategie“ festgehalten. „Um den zukünftigen Bedarf zu decken, wird der überwiegende Teil der Wasserstoffnachfrage aber importiert werden müssen und kann nicht nur mit der lokalen Erzeugung von grünem Wasserstoff bedient werden“, heißt es darin.

Und die Regierung handelt. Am 10. September setzte Bundesforschungsministerin Anja Karliczek (CDU) im Beisein der australischen Botschafterin Lynette Wood ihre Unterschrift unter eine Vereinbarung über den Import von Wasserstoff aus Down Under. In der Diskussion um Wasserstoff-Ressourcen wird auch auf sonnenreiche Staaten wie Marokko oder auf Länder im arabischen Raum verwiesen.

Graichen befürwortet prinzipiell den Import von Wasserstoff, sieht aber bei den genannten Ländern noch viele Fragezeichen. „Ich denke eher an den Import von Wasserstoff aus Norwegen, der in Offshore-Windparks erzeugt wurde. Ich kann mir auch große Importmenge aus Südeuropa vorstellen, Spanien hat gerade eine sehr ambitionierte Wasserstoff- Strategie beschlossen.“ Er befürwortet in diesem Zusammenhang den Aufbau eines europäischen Wasserstoffnetzes vergleichbar dem Erdgasnetz.

Das größte Hindernis in Sachen Sektorkopplung ist laut Graichen allerdings nicht der fehlende Wasserstoff, sondern, dass in Deutschland der Strom zu teuer ist, um gegen fossile Brenn- und Kraftstoffe zu konkurrieren. Das liege vor allem an Abgaben und Umlagen, die vom Staat auf den Strompreis draufgepackt würden. Zwar hat die Bundesregierung für das kommende Jahr eine CO2-Steuer für fossile Energieträger beschlossen, doch ist die Wirkung wegen deren billigen Preise überschaubar. „Wenn der Liter Diesel an der Tankstelle statt 1 Euro dann 1,08 Euro kostet, ändert das nichts.“ Um die Sektorkopplung attraktiv zu machen, darf Strom nicht teurer sein als das Konkurrenzprodukt. „Dann darf beispielsweise der Wärmepumpenstrom nicht mehr kosten als Öl und Gas.“

Auch für die Wasserstoffproduktion ist der benötigte Strom zu teuer. Es gibt zwar zahlreiche Prototypen, aber von einem kommerziellen Betrieb sind die Power-to-X-Anlagen noch weit entfernt. „Wenn der Strom für die Elektrolyseure mit allen üblichen Abgaben belegt wird, rechnet sich das nicht“, sagte unlängst Vorstandsmitglied Urban Keussen vom Oldenburger Energieversorger EWE im Gespräch mit Energie und Management. „Da haben die politisch Verantwortlichen noch Hausaufgaben zu erledigen.“ Um die Produktion von Wasserstoff in Gang zu bringen, müsse sie „aktiv angereizt“ werden, sagt Keussen.

Stefan Sagmeister ist Chefredakteur von Energie & Management

Stefan Sagmeister

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