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Das Gazprom-Logo in St. Petersburg.

© REUTERS

Update

Trotz westlicher Sanktionen: Gazprom fährt Rekordgewinn ein – Aktie wegen Dividende auf Höhenflug

Gazprom ist erfolgreich wie nie zuvor. Die Aktionäre sind erfreut. Wie lässt sich das erklären und steigen die Preise mit dem jüngsten Lieferstopp weiter?

Russland hat die schon seit Monaten stark gedrosselte Gaslieferung über die Ostsee-Pipeline Nord Stream 1 am frühen Mittwochmorgen wie angekündigt gestoppt - mal wieder wegen angeblicher Wartungsarbeiten.

Laut Gazprom muss die einzig noch verbliebene Turbine in der Kompressorstation Portowaja, die der Pipeline vorgelagert ist, gewartet werden. Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, hatte hingegen gesagt, die Wartungsarbeiten seien technisch nicht nachvollziehbar. Er halte Verweise auf Turbinen von Siemens Energy für vorgeschoben. Russland hatte auch im Zusammenhang mit der Drosselung der über die Leitung gelieferten Menge auf fehlende Turbinen verwiesen. Zuletzt kamen nur noch etwa 20 Prozent der maximal möglichen Menge über die Pipeline. Zweifel an der Begründung für die Drosselung kommen etwa von der Bundesregierung.

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Trotz westlicher Sanktionen und absichtlicher Verknappung der Liefermenge hat Gazprom im ersten Halbjahr nach eigenen Angaben einen Rekordgewinn eingefahren.

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Es sei ein Reingewinn von 2,5 Billionen Rubel erzielt worden - das sind umgerechnet 46,5 Milliarden Euro. Der Staatskonzern verwies via Telegram darauf, dass das Ergebnis trotz Strafmaßnahmen wegen des Ukraine-Kriegs gegen Russland und eines „ungünstigen Umfelds“ erzielt worden sei.

Gazprom werde nun jedem Aktionär pro Anteilsschein 51,03 Rubel zahlen. Noch im Frühjahr hatte der Energieriese die Erwartungen für 2022 gedämpft. „Die Entscheidung des Managements die allererste Zwischendividende von Gazprom zu zahlen hat uns und den Markt völlig überrascht“, sagten Analysten der Investmentbank BCS Global Markets.

Jetzt sollen Chinas Pipelines gestärkt werden

Mit dem Rekordgewinn im Rücken will der Energiekonzern seine Pipelineprojekte nach China ausbauen. „Die Arbeitsergebnisse für das erste Halbjahr sind sehr, sehr gut. Und natürlich lässt uns dieses finanzielle Resultat davon sprechen, dass wir mit sicheren Geldflüssen für die Realisierung unserer strategischen Investitionsprojekte ausgestattet sind“, sagte Gazprom-Chef Alexej Miller am Mittwoch während einer Telefonkonferenz der Nachrichtenagentur Interfax zufolge.

Nach Angaben Millers will Gazprom in Kürze damit beginnen, sein Pipelinenetz auf dem europäischen Territorium mit dem Osten des Landes zu verbinden. Darüber hinaus kündigte er an, die Projektierung der geplanten Pipeline Kraft Sibiriens 2 zu starten.

Die Leitung soll Gas von den Lagerstätten in Ostsibirien nach China bringen. Auch ein Abzweig durch die Mongolei ist dabei geplant. „Wir wissen, dass der chinesische Markt der dynamischste weltweit ist, und Prognosen zufolge macht der Anstieg des Gasverbrauchs in China in den kommenden 20 Jahren 40 Prozent der weltweiten Steigerungsrate aus“, sagte Miller.

Durch die Inbetriebnahme der Lagerstätte Kowykta ab 2023 sei Russland bereit, noch mehr Gas als bisher vereinbart nach China zu liefern.

Gazprom tritt als Monopolist auf

Wie aber genau lässt sich das Rekordergebnis erklären, wo der Westen doch darum bemüht ist, die russische Wirtschaft möglichst zu schwächen?

Derzeit ist Moskau in der bequemen Lage, dass es trotz physisch geringerer Liefermengen wegen hoher Preise finanziell mehr aus den Gasexporten herausschlägt. Weil Gazprom derzeit noch als quasi Monopolist auf dem Gasmarkt vieler europäischer Länder auftritt, führt eine künstliche Verknappung der Liefermengen zu steigenden Preisen und bis zu einem gewissen Punkt zu einem höheren Umsatz. Experten vermuten jedoch, dass Gazprom sich mittlerweile aus ökonomischer Perspektive unvernünftig verhalten könnte.

„Ein Monopolist kann dieses Spiel aber nicht unendlich fortführen. Irgendwann können die höheren Preise die geringere Absatzmenge nicht mehr überkompensieren und dem Monopolisten – in dem Fall Russland – geht Geld verloren“, beschrieb der Ökonom Lion Hirth den Marktmechanismus Mitte Juli im Interview mit dem Tagesspiegel. Mit jeder weiteren Reduzierung der Liefermenge dürfte das so weitergehen, prognostizierte der Experte damals.

Eine weitere Reduktion der Exportmenge sei für den Kreml auf jeden Fall kurzfristig zu stemmen, „aber die politische Erpressung durch Gas-Exporte sei dann für Russland zumindest nicht mehr ökonomisch attraktiv“.

Eine Wiederaufnahme der Lieferung gilt durchaus als möglich

Kremlsprecher Dmitri Peskow hat am Dienstag noch einmal versichert, dass Russland ein zuverlässiger Lieferant und gewillt sei, seinen Verpflichtungen nachzukommen. Er begründete die derzeitigen Lieferkürzungen mit technischen Problemen, die der Westen durch seine Sanktionen selbst verursacht habe. Einen politischen Hintergrund der anstehenden Lieferpause dementierte er damit.

Es gilt zumindest als wahrscheinlich, dass das Gas ab dem 3. September wieder fließt. Nach der letzten Abschaltung wegen Wartungsarbeiten im Juli hat Gazprom anschließend auch den Transit wieder aufgenommen. Das unabhängige Internet-Medium „The Bell“ erklärte schon damals die dahinter stehende Logik damit, dass der Kreml sich anderenfalls der eigenen Flexibilität berauben würde. Auch bei gedrosselter Lieferung könne Russland immer noch mit einer weiteren Kürzung der Lieferungen drohen. Beim Lieferstopp sei das Drohpotenzial passé.

Mitarbeiter des Gazprom-Konzern während ihrer Arbeit auf einem Ölfeld.

© REUTERS/Stoyan Vassev/Press service of Gazprom Neft/Handout

Darüber hinaus würde die vollständige Abkapselung vom europäischen Markt auch empfindlich auf den russischen Haushalt durchschlagen. Derzeit ist Moskau in der bequemen Lage, dass es trotz physisch geringerer Liefermengen wegen hoher Preise finanziell mehr aus dem Export herausschlägt. Ein weiterer Grund, der für die Beibehaltung des Transits - zumindest in geringem Umfang - spricht: Ansonsten müsste Gazprom seine Förderkapazitäten stilllegen und konservieren. Eine Umleitung der Gasströme nach Asien in großem Umfang ist nicht möglich, da das Pipelinesystem in diese Richtung noch kaum entwickelt ist. Von den 720 Milliarden Kubikmeter, die Russland fördert, gehen gut 200 in den Export, davon 130 in den EU-Raum.

China etwa nimmt hingegen nur gut zehn Milliarden Kubikmeter ab, auch wenn die Umsätze in die Richtung steigen. Auch deswegen fackelt Russland die Gasmengen ab, die es nicht nach Europa liefern kann.

Nächster Lieferstopp im Oktober möglich - Speicher füllen sich

Zwar hat Gazprom bislang noch keinen neuen Termin für die nächste Abschaltung genannt. Doch laut dem Konzern muss die letzte verbliebene Turbine in der Kompressorstation Portowaja alle 1000 Arbeitsstunden gewartet werden. Damit dürfte Mitte Oktober der nächste Stopp anstehen.

Die Speicherbetreiber rechnen damit, dass auch ohne russisches Gas weiterhin Erdgas in Deutschland eingespeichert werden kann, gegebenenfalls in leicht reduziertem Umfang. Der Branchenverband Initiative Energien Speichern (INES) verweist dazu auf die tägliche Speichermenge: Sie beträgt derzeit ein Mehrfaches dessen, was zuletzt durch die Ostseepipeline nach Deutschland kam.

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Die Speicher waren zuletzt zu über 83 Prozent gefüllt. In den kommenden Tagen dürfte die 85-Prozent-Marke erreicht werden, rund vier Wochen vor dem Stichtag 1. Oktober. Am 1. November sollen die Speicher dann zu mindestens 95 Prozent gefüllt sein. Der Speicherverband nennt dieses Ziel „herausfordernd“. Und: „Bei einem kompletten Ausfall von Nord Stream wäre es noch ein bisschen schwerer, das zu erreichen“, sagt Verbandsgeschäftsführer Sebastian Bleschke.

Weitere Entwicklung der Gas-Großhandelspreise offen

Gasmarktexperte Heiko Lohmann vom Energieinformationsdienst Energate rechnet nicht damit, dass sich die Wartungsarbeiten noch groß auswirken werden. Als die Wartung angekündigt wurde, seien die Preise nach oben gegangen. Daher sei die Wartung schon „eingepreist“. „Die spannende Frage ist, was nach den drei Tagen passieren wird“, sagt Lohmann.

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Er geht davon aus, dass die Preise wieder nach oben gehen, wenn die Lieferungen nicht wiederaufgenommen werden. Umgekehrt sieht er noch „Luft nach unten“, sollten die Lieferungen nach der Wartung fortgesetzt werden.

Von „Vertragsbruch“ wollen wichtige Akteure nicht reden

Noch im Mai war die Pipeline nahezu jeden Tag ausgelastet. Anfang Juni gingen die Liefermengen schrittweise zurück. Vom 17. Juni an lagen sie bei 40 Prozent der Maximalkapazität. Nach der zehntägigen Wartung im Juli lag die Liefermenge für ein paar Tage wieder bei 40 Prozent, um dann vom 28. Juli an auf rund 20 Prozent gedrosselt zu werden.

Das Wort „Vertragsbruch“ mögen wichtige Akteure nicht in den Mund nehmen. So berichtete Uniper als Deutschlands größter Importeur von russischem Erdgas jüngst: „Seit dem 14. Juni erhält Uniper nur einen Teil der vertraglichen Gasliefermengen aus Russland.“ Es würden mittlerweile 80 Prozent weniger geliefert. Und das Bundeswirtschaftsministerium teilt auf Anfrage mit: „Es bestehen Verträge der Unternehmen mit Gazprom über die volle Kapazität, die werden derzeit nur bedingt eingehalten. Aus unserer Sicht besteht kein Anlass, auch nicht technisch, die Nord Stream 1 nicht höher auszulasten.“ (Tsp/dpa)

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