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Versicherung via Sprachassistent? Die Ergo glaubt daran.

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Update Exklusiv

Ergo-Deutschland-Chef Achim Kassow: "Wir wollen Versicherungen verstärkt über Alexa verkaufen"

Ergo-Manager Kassow über die Digital-IT in Berlin, neue Vertriebsmodelle und Last-Minute-Policen für den Zahnarztbesuch.

Herr Kassow, Sie räumen bei der Ergo auf. Sie wollen weniger Marken unter dem Ergo-Dach und einheitliche Policen und Preise, egal, wo und wie man die Versicherung abschließt. Wollen Sie Ihre Vertreter abschaffen?

Nein. In einer zunehmend digitalen Gesellschaft ist die Trennung zwischen Online- und Agenturvertrieb nicht mehr zeitgemäß. Unsere Teams in beiden Geschäftsfeldern waren am Anfang skeptisch, aber das hat sich gelegt. Die Vertriebspartner sehen jetzt, dass wir ihnen mit diesem Schritt eine Zukunftsperspektive bieten und Kunden erwarten die Möglichkeit des nahtlosen Wechsels zwischen den Kontaktkanälen von ihrem Versicherer.

Aber rechnet sich das für Sie? Vertreter sind doch wegen der Provisionen, die sie bekommen, viel teurer.

Versicherungen werden nicht gekauft, sondern bedarfsorientiert verkauft. Die meisten Menschen interessieren sich nicht für Versicherungen, sie wollen sich nicht mit Risiken beschäftigen oder schieben es gerne auf. Das ist in der analogen wie in der digitalen Welt so. Die Akquisitionskosten von Versicherungen, die über Agenturen verkauft werden, und die von Direktversicherungen sind ähnlich. Auch für Direktversicherungen muss man Werbung machen und Provisionen zahlen – in dem Fall beispielsweise an die Internetportale.

Immer mehr Versicherungen setzen auf Service- und Assistance-Leistungen, sie inszenieren sich quasi als Freund des Kunden. Macht die Ergo das auch?

Wir erleben in der Branche eine Metamorphose vom reinen Produktverkauf hin zum Kundenerlebnis. Aber im Kern geht es doch immer noch darum, ein Risiko abzusichern. Darauf fokussieren wir uns und dieses Kerngeschäft wollen wir noch kundenfreundlicher gestalten.

Achim Kassow ist seit 2017 Chef von Ergo Deutschland.
Achim Kassow ist seit 2017 Chef von Ergo Deutschland.

© Ergo

Was meinen Sie?

Wir müssen die Produkte und Abläufe vereinfachen. Für alles gibt es heute mobile Lösungen wie Apps. Man kann sich online ein Taxi bestellen oder Essen – alles ganz bequem von der Couch aus. Nur bei Versicherungen geht das oft nicht. Da muss man immer noch komplizierte Formulare ausfüllen, und am Ende weiß man trotzdem nicht so recht, was nun eigentlich abgedeckt ist und was nicht. Nehmen Sie etwa die Kfz-Versicherung: Wenn Sie mit einem Wildschwein zusammenstoßen, zahlt je nach Tarif die Versicherung, aber bei einem Rind nicht. Wir müssen den Kunden unangenehme Überraschungen ersparen. Es geht um Einfachheit und mehr Transparenz.

Wie soll das gehen?

Der Kunde muss auf dem Mobiltelefon erfassen können, was versichert ist und was es kostet. Für Lebens- und private Krankenversicherungen ist das schwierig, aber für Auto-, Haftpflicht- oder Rechtschutzversicherungen muss das möglich sein. Die Menschen entscheiden oft intuitiv. Auch im Finanzdienstleistungsbereich werden die meisten Kaufentscheidungen durch Marken und Bequemlichkeit getrieben. Ein Kunde geht davon aus, dass bestimmte Anbieter ein faires Preis-Leistungs-Verhältnis haben und entscheidet sich für diesen.

"Wir wollen bei Alexa ganz vorne sein"

Die Ergo hat nach einigen Pannen in der Vergangenheit nicht gerade das allerbeste Image.

Unsere Marktbefragungen zeigen ein anderes Bild. Danach gilt Ergo als modern und sympathisch. Das liegt nicht zuletzt auch an Produkten wie unserer Zahnzusatzversicherung, die Sie auch dann noch abschließen können, wenn Sie gewissermaßen schon auf dem Zahnarztstuhl sitzen – online und in den Agenturen.

Eine verrückte Idee. Eine solche Police schließen doch nur Leute ab, die Ihnen definitiv Kosten einbrocken. Was bringt Ihnen das?

Viel. Das Vorurteil gegenüber einer Versicherung ist doch: Man zahlt die Prämie, aber bekommt die Leistung nicht oder wird sie nie abrufen. Hier ist es anders. Sie bekommen die Leistung auf jeden Fall und zahlen die Prämie später. Ich kann mir ein solches „after the event“-Modell auch bei bestimmten Risikosituationen in anderen Bereichen vorstellen, bei denen die Laufzeiten und die Beitragssummen überschaubar sind.

Und wie rechnet sich das für die Ergo?

Wir holen das Risiko über die Laufzeit wieder herein. Wenn sich das Geschäft nicht rechnen würden, würden wir es nicht machen.

Auf den letzten Drücker: Erst buchen, dann bohren.
Auf den letzten Drücker: Erst buchen, dann bohren.

© Getty Images

Die Ergo betreibt in Berlin eine digitale Bastelstube. Dort geht es vor allem darum, Ihre Angebote für Sprachassistenten wie Alexa zu optimieren. Schließt Alexa künftig meine Autoversicherung automatisch bei der Ergo ab?

Wenn die Kunden das wollen, klar. Ich glaube, die Menschen werden immer mehr Dinge über Voice-Anwendungen erledigen. Deshalb wollen wir bei diesem Thema ganz vorne sein, genauso wie wir das ja heute bereits bei der Internetsuche versuchen. Sobald sich ein Kunde mit einem Versicherungsthema beschäftigt, müssen wir ins Spiel kommen, bevor es andere tun.

Wenn ich Alexa oder Siri künftig eine Reisekrankenversicherung suchen lasse, lande ich als erstes bei der Ergo?

Ja, das ist das Ziel. Die Reiseversicherung bieten wir schon an. Dazu braucht man zwei Dinge: den Skill, um den Abschluss über Voice-Anwendungen zu ermöglichen. Und die Search-Optimierung, damit bei bestimmten Schlüsselwörtern die Sprachassistenten die Verknüpfung mit Ergo herstellen. Wir wollen bei der digitalen Entwicklung vorne dabei sein.

Wie viele Leute machen das in Berlin?

Hier sind etwa ein Dutzend Ergo-Mitarbeiter tätig, aber wir beschäftigen darüber hinaus projektbasiert Freelancer und arbeiten mit Start-ups zusammen. Unsere Digital-IT umfasst rund 300 Leute, die von Berlin aus gesteuert werden. Wir denken in Netzwerken. Neben Berlin haben wir noch Standorte in Polen, Düsseldorf und Nürnberg.

"Wir testen die elektronische Gesundheitsakte jetzt"

Wie weit sind Sie mit der elektronischen Gesundheitsakte?

Wir haben gemeinsam mit anderen Krankenversicherern ein Projekt mit IBM, das bei uns im Haus Ende des Monats in die Testphase geht. Wir wollen unseren Voll- und Ergänzungsversicherten damit einen persönlichen und digitalen Gesundheitsmanager an die Hand geben, der sie dabei unterstützt, ihre Gesundheit über alle Leistungserbringer hinweg – also Ärzte, Apotheker, Krankenhäuser und Versicherer – sicher und komplett zu managen. Und die Schnittstellen sollen sowohl für die gesetzlichen Kassen als auch die privaten Krankenversicherer funktionieren.

Wer erfährt was?

Das entscheidet der Patient. Er kann sagen, wem er Zugriff auf welchen Teil der Akte gibt. Man kann zum Beispiel einer Zahnarztpraxis Zugang zu den Röntgenbildern einer anderen Praxis einräumen, um eine zweite Meinung zu hören. Der Patient hat Hoheit über seine Daten, aber wenn er den Austausch von Informationen billigt, wird dieser erleichtert und kostengünstiger.

Nach der jüngsten Statistik des Versicherungsombudsmanns beschweren sich die meisten Verbraucher über Rechtsschutzversicherungen, etwa weil Versicherer die Prozesse von Dieselfahrern gegen VW nichtbezahlen. Wie handhaben Sie das?

Wir haben uns entschieden, die Prozesse zu finanzieren, andere Versicherer nicht. Jedes Unternehmen entscheidet das für sich. Aus Kundensicht hilft, dass wir jetzt die Musterfeststellungsklage haben und ein Grundsatzurteil bekommen werden. Das gibt Orientierung.

Dieselgate: Die Ergo hat die Rechtsschutzkosten von VW-Dieselfahrern übernommen.
Dieselgate: Die Ergo hat die Rechtsschutzkosten von VW-Dieselfahrern übernommen.

© dpa

In Massenfällen wie Flugverspätungen oder Abfindungen bieten Internetplattformen ihre Dienste an. Nehmen Ihnen die Legal Techs Kundschaft weg?

Bislang nicht. Bei standardisierten Fragen haben wir ja auch ein Interesse daran, dass sich die Kunden informieren, bevor sie möglicherweise vergeblich zum Anwalt gehen. Bisher kosten uns die Legal Techs kein Geschäft, im Gegenteil. Die Menschen beschäftigen sich jetzt mehr mit ihren Rechten, die Verbraucher sind zunehmend sensibilisiert für rechtliche Risiken und wollen sich absichern. Rechtschutz ist deshalb ein Wachstumsmarkt. Genauso wie Schutz gegen Cyberrisiken. Die Menschen nehmen wahr, dass es Risiken im digitalen Bereich gibt und suchen nach Schutz. Zu recht. Ich habe selbst mal einen Hackerkurs besucht und mir angesehen, mit wie wenig Aufwand man Passwörter abgreifen kann.

Die Vergangenheit war düster: Die Lustreise von Ergo-Vertriebsmitarbeitern nach Budapest, fehlerhafte Riester-Formulare, Rechenfehler bei Lebensversicherungskunden, rote Zahlen, ein veraltetes Computersystem – bei der Ergo häuften sich die Skandale und Probleme. Der Konzernchef musste gehen, seit 2015 leitet der einstige Allianz-Deutschlandchef Markus Rieß den Ergo-Konzern, seit 2017 steht ihm Achim Kassow zur Seite. Stellen wurden abgebaut, Strukturen gestrafft, und es fließt noch immer viel Geld in die Modernisierung der IT. Inzwischen hat sich die Tochter des Rückversicherers Munich Re gefangen. Nach einem Verlust von 40 Millionen Euro im Jahr 2016 erzielte die Ergo 2017 einen Gewinn von 273 Millionen Euro, 2018 waren es dann sogar 412 Millionen Euro. Weltweit ist die Ergo-Gruppe in 30 Ländern vertreten und beschäftigt 40.000 Menschen.

Achim Kassow (52) ist ein Mann der Zahlen. Nach einer Banklehre hat der Hannoveraner Betriebswirtschaft studiert und promoviert. Rund zwanzig Jahre lang arbeitete er im Bankenbereich, er war unter anderem bei der Deutschen Bank, bei der Commerzbank saß er im Vorstand. 2011wechselte Kassow in den Allianz Konzern, im November 2016 ging er zur Ergo, zwei Monate später wurde er Deutschland-Chef.

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