zum Hauptinhalt
Digitaler Selbstbedienungsladen. Er heißt Teo und kommt von der Firma Tegut. Die hessische Supermarktkette hat als Test im Landkreis Fulda, hier in Rasdorf, inzwischen acht Boxen mit 50 Quadratmeter Größe aufgestellt. Foto: Tschanz-Hofmann/Imago

© imago images/H. Tschanz-Hofmann

Einzelhandel: Wann darf Tante Emma 2.0 öffnen?

Selbstbedienungsmärkte, die 24 Stunden geöffnet sind, erleben einen Boom – in Bayern sollen sie sonntags geschlossen bleiben.

Wie der Supermarkt der Zukunft aussehen könnte, kann man sich in Altengottern anschauen. Der Ort liegt zwischen Erfurt und Kassel am nördlichen Rand des Hainich Nationalparks, eines der größten Buchenwälder Europas. Doch so schön die Natur hier auch ist, so schlecht waren lange die Einkaufsmöglichkeiten. Das änderte sich im Februar 2020, als Emmas Tag- und Nachtmarkt eröffnete.

Wer hier einkaufen möchte braucht eine Kundenkarte samt Pin. Damit kann er dann rund um die Uhr den Laden betreten, an sieben Tagen in der Woche. In den Regalen liegen rund 1000 verschiedene Produkte, auch Obst und Gemüse, Backwaren und Fleischprodukte aus der Region. Die Kunden scannen ihre Einkäufe selbst und zahlen digital. Zur Kontrolle hängen zahlreiche Kameras an den Decken, Mitarbeiter kommen nur einmal am Tag, um die Regale aufzufüllen.

Boom der digitalen Dorfläden

Die jahrelange Entwicklungszeit hat sich gelohnt, das Konzept des digitalen und fast vollautomatischen Tante-Emma- Ladens funktioniert und wird nun ausgeweitet. „Wir eröffnen demnächst sieben weitere Läden“, sagt Peter John. Der Gründer und Geschäftsführer von Emmas Tag- und Nachtmarkt ist während des Telefonats gerade auf der A73 zu einer Baubegehung unterwegs. Die meisten Läden seien schon weitgehend fertig gestellt, doch die anhaltenden Lieferschwierigkeiten erschweren die genaue Planung, so wartet John nun schon seit einiger Zeit auf Regale.

[Konkrete Bezirksnachrichten, Kiez-Debatten, viele Tipps und Termine für Ihre Familie: Die Tagesspiegel-Newsletter für Berlins 12 Bezirke gibt es jetzt kostenlos hier leute.tagesspiegel.de]

Andere Unternehmer eröffnen ähnliche Märkte, allein in Thüringen sind derzeit 17 in Planung. Weitere sollen hinzukommen, denn die Landesregierung unterstützt die Entwicklung so genannter „24-Stunden-Dorfläden“ mit einem eigenen Förderprogramm, das bis diesen Monat verlängert wurde.

In anderen ländlichen Regionen gibt es ebenso viel Interesse daran, dass so wieder Einkaufsmöglichkeiten in kleinen Orten angeboten werden. Der aus Bremen stammende Onlinesupermarkt „My Enso“ hat dafür ebenfalls Selbstbedienungsläden entwickelt. Acht Filialen sind schon eröffnet, an 21 weiteren Standorten sind „Tante Enso“-Filialen derzeit in Planung oder im Bau.

Große Supermarktketten steigen in das Geschäft ein

Auch die großen Einzelhändler haben die Lücke erkannt und greifen das boomende Konzept auf. So zum Beispiel die hessische Supermarktkette Tegut. Unter dem Namen Teo wurden zunächst als Test im Landkreis Fulda inzwischen acht Boxen mit 50 Quadratmeter Größe aufgestellt. „Wir wollen im Rhein-Main-Gebiet weiter wachsen und dieses Jahr zwanzig neue Boxen an den Start bringen“, sagt ein Sprecher. Dabei sind auch zusätzliche „Plug-in-Module“ wie Ladestationen für E-Bikes oder eine Büchertauschbörse geplant.

Trotz der neuen Konkurrenz ist der Markt groß genug: John schätzt die Zahl passender Gemeinden auf 4500, Rewe spricht gar von rund 8000 „unterversorgten Siedlungsgebieten in Deutschland“, in denen die Menschen für den täglichen Lebensmitteleinkauf sehr weite Strecken zurücklegen müssen. Während der Konzern sonst kalkuliert, dass erst in Gemeinden mit mindestens 6000 Einwohner normale Nahkauf-Märkte profitabel betrieben werden können, probiert das Unternehmen das Selbstbedienungskonzept auch in kleineren Orten. Mit dem Test will Rewe-Vorstand Peter Maly „Antworten auf die Frage nach einer zukunftsgerichteten Nahversorgung in den zentrumsfernen Orten ländlicher Räume finden“.

Doch dafür hat sich Rewe offenbar das falsche Bundesland herausgesucht. Denn die „Nahkauf Box“ mit der das Konzept ein Jahr lang getestet werden soll, wurde im März in Pettstadt eröffnet. Die 2000-Seelen-Gemeinde liegt in Oberfranken und fällt damit unter die bayerischen Regeln für Ladenschluss und Sonntagsruhe. Daher ordnete das Landratsamt Bamberg wenige Tage nach der Eröffnung an, dass die Box sonntags wieder schließen muss.

Dadurch droht das Aus der digitalen Tante-Emma-Läden in Bayern, noch bevor sie richtig starten. „Sollte es bei der aktuellen Sonntagsschließung bleiben, hätte das unmittelbare Auswirkungen auf das Geschäftskonzept, schlimmstenfalls bis hin zum Scheitern des Pilotprojekts“, erklärt Rewe.

Bayern streitet um die Sonntagsöffnung

„Wir brauchen das Sonntagsgeschäft, um in kleinen Orten zu bestehen“, sagt auch John. Der Thüringer expandiert derzeit ebenfalls nach Bayern. In Altenthann soll im Juni ein neuer Markt öffnen, doch im Kreis Regensburg gibt es nun ebenfalls Probleme, wegen der angeblichen Störung der Sonntagsruhe. Dabei hatte Bayerns Wirtschaftsminister Hubert Aiwanger nach einem Besuch im Vorjahr noch vom ersten digitalen Supermarkt des Landes geschwärmt: „Dank Künstlicher Intelligenz wird ein 24-Stunden Einkauf an 365 Tagen ermöglicht.“

An allen 365 Tagen darf nun auch „Tante M“ in der Oberpfalz nicht mehr öffnen, dessen Betreiber das Konzept in Bayern als erste umgesetzt haben. Das zuständige Landratsamt aus Neustadt an der Waldnaab hatte die Sonntagsöffnung zunächst geduldet, dann aber auf Weisung aus München doch verboten.

Insbesondere in großen Teilen der CSU hat die Sonntagsruhe einen großen Stellenwert, Ministerpräsident Söder soll laut "Süddeutscher Zeitung" persönlich gegen die Sonntagsöffnung interveniert haben. Doch die Kritik daran wächst auch in der Politik. Die FDP wirft der bayerischen Landesregierung Fortschrittsverweigerung vor und fordert neue Regeln, schließlich seien die Läden quasi „begehbare Automaten“. Aus Wettbewerbssicht sei die Blockadehaltung bedenklich, da Tankstellen ebenfalls öffnen dürfen und sonn- und feiertags von Kundinnen und Kunden anstelle von Supermärkten ganz regulär genutzt werden. Dabei haben die sogar Verkaufspersonal, John würde hingegen sogar zugestehen, dass in seinen Emma-Läden die sonst etwa einmal täglich stattfindende Bestückung mit neuer Ware an Sonntagen wegfällt.

Inzwischen ist aber auch bei der CSU etwas in Bewegung bekommen. Landtagsabgeordnete wie Holger Dremel, in dessen Wahlkreis das Rewe-Projekt liegt, setzen sich für Anpassungen des Feiertagsgesetzes ein. Dazu gab es eine Videokonferenz mit dem zuständigen Innenminister Joachim Herrmann, betroffenen Landräten und Bürgermeistern. In Abstimmung mit den betroffenen Ministerien werde nun „intensiv geprüft“, ob und gegebenenfalls wie der Betrieb von digitalen Kleinstsupermärkten an Sonn- und Feiertagen künftig ermöglicht werden kann, teilte das Innenministerium mit. Wann die Überprüfung der Rechtslage abgeschlossen sei, stehe noch nicht fest.

Zumindest für den Rewe in Pettstadt gibt es nun eine Ausnahme: Der Gemeinderat hat in Abstimmung mit dem Landratsamt die Öffnung an Sonn- und Feiertagen erlaubt. Im oberpfälzischen Parkstein hat sich die Gemeinde jedoch dagegen entschieden. Der Streit um die Öffnungszeiten in Bayern geht also weiter.

Langfristig könnte das Kassenpersonal verschwinden

„Es geht hier nicht darum das Feiertagsgesetz auf den Kopf zu stellen“, sagt Dremel. „Ich möchte bei den Automatensupermärkten eine Begrenzung auf Räume, in denen es keine ausreichende Versorgung gibt, in denen es sich schlicht vielleicht auch wirtschaftlich nicht lohnt, einen Markt mit Personal zu betreiben.“ Die 24-Stunden-Supermärkte sollten Ausnahme oder Ergänzung bleiben und nicht überall dauerhaft öffnen. „Damit würden die großen Supermärkte unterwandert werden“, sagt Dremel. Und das würde irgendwann Arbeitsplätze kosten.

Tatsächlich werden die kleinen Selbstbedienungsläden schon jetzt längst nicht nur in abgeschiedenen Dörfern geplant. So setzt Tegut beispielsweise auch auf Bahnhöfe, Schulen, Hotels und „Tante Enso“ bietet seine Märkte ebenfalls „als Versorgungslösung in urbanen Quartieren“, dort liege inzwischen der Schwerpunkt „auf dem 24/7-System und hippen Produkten“.

Die Sorge, dass durch die neuen Konzepte auch in vorhandenen Supermärkten das Personal verschwindet, teilt auch John. „Das wird passieren, aber wir wollen den Trend nicht forcieren“, sagt der Thüringer. Er sehe Emmas Tag- und Nachtmarkt als Sozialunternehmen, neue Filialen will er daher tatsächlich nur in kleinen Orten öffnen, stößt dabei aber langsam an Grenzen. „Wir haben noch viel mehr Potenzial aber das scheitert an den finanziellen Mitteln“, sagt John. Er wünscht sich mehr Unterstützung von der Politik. „Es gibt zwar tausende Förderprogramme aber da passen wir überall nicht rein“, sagt der Unternehmer.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false