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Enthüllung des Siemens Mireo Plus H Zugs am 5. Mai 2022.

© AFP/Fassbender

Die Züge der Zukunft: Wasserstoff oder Akku?

Auf europäischen Regionalstrecken fahren noch Tausende klimaschädliche Dieselloks. Doch in den Startlöchern stehen bereits neue Antriebe. Der Bedarf ist groß.

Als Siemens am 5. Mai in seinem Bahnwerk in Krefeld seinen ersten Wasserstoffzug präsentierte, lauerte der größte Rivale aus dem gleichen Haus direkt um die Ecke. Per Knopfdruck öffnete Siemens-Mobility-Chef Michael Peter einen roten Vorhang, und der Mireo Plus H rollte, begleitet von Stadionmusik und künstlichem Rauch, aus der Fabrik. Als stiller Partygast stand ein Batterie-Mireo neben der Halle, als wolle er dem viel beachteten Kollegen gleich mal signalisieren, dass die Eroberung von Europas Regionalzugstrecken kein Selbstläufer wird.

Beide Technologien kommen in Frage, um den Bahnverkehr auf Strecken ohne Oberleitung klimaneutral zu gestalten. „Noch fahren in Europa rund 15.000 Diesellokomotiven und -züge“, erklärte Peter. Bis spätestens 2050 müssten sie durch Fahrzeuge ohne CO2-Emissionen ersetzt werden. Da sich auf vielen Nebenstrecken der Bau einer Oberleitung nicht lohnt, werden dort bald Akkuzüge oder solche mit Wasserstofftank und Brennstoffzelle fahren.

Den Gesamtmarkt für diese Fahrzeuge bezifferte Peter mit 100 Milliarden Euro. Bei Siemens Mobility sind sie deshalb überzeugt, dass genug Nachfrage für beide Antriebe besteht. Entsprechend hat der Konzern seinen neuen Regionalzug Mireo als technologieoffene Plattform konzipiert: Er kann neben dem klassischem Elektroantrieb über eine Oberleitung auch mit Akkus fahren – oder mit Wasserstofftank und Brennstoffzelle.

Bis 2030 sollen 75 Prozent des deutschen Netzes elektrifiziert sein

Erfreut über den neuen Wasserstoffzug zeigte sich auch der Bahnbeauftragte der Bundesregierung, Michael Theurer. Denn in Deutschland ist der Bedarf für Züge mit alternativem Antrieben besonders groß. Zurzeit sind hierzulande nur 61 Prozent des rund 33.000 Kilometer langen Streckennetzes elektrifiziert. Über ein Drittel des Regionalverkehrs absolvieren deshalb Dieselzüge. Bis 2030 will die Ampelkoalition immerhin 75 Prozent des Netzes elektrifizieren. Das sei bereits ein sehr ambitioniertes Ziel, sagte Theurer in Krefeld. Schließlich kommt der Bau neuer Oberleitungen seit Jahren nur schleppend voran. Doch selbst wenn das Ziel erreicht wird, bleibt noch eine Lücke von rund 8200 Kilometern ohne Fahrstrom.

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Um den Bahnverkehr klimaneutral zu machen, müssen deshalb bis 2038 allein in Deutschland 1700 bis 2500 Lokomotiven und Züge mit alternativen Antrieben angeschafft werden, prognostizierte Theurer. Dafür stellt der Bund über 200 Millionen Euro Fördergelder bereit. Klimapolitisch lohnt sich das. Ein einziger Wasserstoffzug spart über seine Lebensdauer von 30 Jahren im Vergleich mit einer Diesellok 30 000 Tonnen CO2 ein, rechnete Peter vor.

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Ein Wasserstoffzug Coradia iLint des Zugherstellers Alstom steht auf dem Werksgelände. Bahnreisende in Niedersachsen sollen von Juni an erstmals regulär mit Wasserstoffzügen fahren können.
Ein Wasserstoffzug Coradia iLint des Zugherstellers Alstom steht auf dem Werksgelände. Bahnreisende in Niedersachsen sollen von Juni an erstmals regulär mit Wasserstoffzügen fahren können.

© dpa/Stratenschulte

Niedersachsen startete deshalb noch vor dem Bund eine Initiative, um die blubbernden Dieselzüge loszuwerden. Das große Flächenland im Norden hat besonders viele lange Bahnstrecken ohne Oberleitung. Die Landesnahverkehrsgesellschaft Niedersachsen machte sich daher bereits 2013 auf die Suche nach einer Alternative für die 126 Dieselzüge im niedersächsischen Nahverkehr.

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Im Alstom-Werk in Salzgitter bei Braunschweig wurde sie fündig. Der französische Bahnhersteller willigte ein, einen Wasserstoffzug zu entwickeln, gefördert von Baden-Württemberg, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen. Seit 2021 ist der Coradia iLint bei Alstom in der Serienproduktion. Noch diesen Sommer wird er zwischen Cuxhaven, Bremerhaven und Buxtehude den Serienbetrieb aufnehmen – als erster Wasserstoffzug weltweit. Zum Jahreswechsel startet der Zug zudem im Frankfurter Raum.

Siemens will den Entwicklungsrückstand wettmachen

Von Siemens’ Mireo Plus H gibt es hingegen erst einen Prototypen, der zunächst auf der konzerneigenen Teststrecke in Wegberg-Wildenrath am Niederrhein fahren wird. Den Entwicklungsrückstand gegenüber Alstom will Siemens mit einem leistungsstärkeren Zug kompensieren, der bis zu 160 Kilometer pro Stunde fährt und schneller beschleunigt. Damit füge sich der Mireo besser in den Bahnverkehr der Zukunft ein, sagte Peter. Denn Züge müssten in den kommenden Jahren schneller und in kürzeren Abständen fahren, um mehr Fahrgäste zu transportieren.

Doch zur Wahrheit gehört auch, dass Siemens zunächst auf Batteriezüge gesetzt hat. Vom bereits serienreifen Batterie-Mireo hat der Konzern bereits über 50 Exemplare verkauft. In den heutigen Bahnbetrieb lassen sich die Batteriezüge wesentlich leichter einfügen. Sie können auf Hauptstrecken ihren Strom einfach aus der Oberleitung ziehen und zugleich ihre Batterien aufladen. Ohne Fahrdraht kommen sie dann bei der derzeitigen Akkutechnik etwa 120 bis 150 Kilometer weit.

In Deutschland, wo Strecken ohne Oberleitung oft vergleichsweise kurz sind, reicht das in den meisten Fällen aus. Zudem lassen sich Batteriezüge deutlich billiger betreiben. Denn um grünen Wasserstoff per Elektrolyse zu gewinnen, braucht es sehr viel Ökostrom. Der schlechte Wirkungsgrad macht den Energieträger teuer. Zudem ist grüner Wasserstoff derzeit weltweit kaum zu bekommen.

Michael Peter, CEO von Siemens Mobility.
Michael Peter, CEO von Siemens Mobility.

© AFP/Fassbender

Bei ersten Ausschreibungen haben sich die für den Nahverkehr zuständigen Länder deshalb zuletzt immer für Batterie- statt Wasserstoffzüge entschieden – unter anderem in Schleswig-Holstein, Rheinland-Pfalz, Berlin und Brandenburg. Lediglich bei geförderten Pilotprojekten kamen Wasserstoffbahnen zum Zug. Michael Peter erwartet dennoch einen Markt für Wasserstoff. „Unser Mireo Plus H kann mit einer Tankfüllung 800 Kilometer weit fahren“, sagte er. In einer kürzeren Version seien sogar bis zu 1000 Kilometer möglich. Für viele Bahnunternehmen sei er damit praxistauglicher als ein Batteriezug. Hinter vorgehaltener Hand geben allerdings auch Siemens-Manager zu, dass sich in Deutschland wahrscheinlich Batteriezüge durchsetzen werden. In anderen europäischen Ländern mit längeren nicht elektrifizierten Strecken sehe das jedoch anders aus – insbesondere, wenn Wasserstoff demnächst in größeren Mengen zur Verfügung steht.

Der Wasserstoff wird direkt in Tübingen gewonnen

Doch zunächst muss der Mireo Plus H seine Alltagstauglichkeit beweisen. Ab 2023 soll er dafür von der Deutschen Bahn auf der Strecke Tübingen-Horb-Pforzheim und in Bayern im Regelbetrieb erprobt werden. H2goesRail heißt das entsprechende Entwicklungsprojekt der beiden Unternehmen. Den dafür nötigen Wasserstoff wird die Bahntochter DB Energie direkt in Tübingen per Elektrolyse gewinnen – mithilfe von grünem Strom aus der Oberleitung.

Er soll in einem mobilen Wasserstofftrailer gelagert werden. Aus Sicht der DB müsse vor allem die Betankung schnell klappen, sagte die Technikvorständin des Konzerns, Daniela Gerd tom Markotten, bei der Weltpremiere des Wasserstoff-Mireo in Krefeld. Die DB hat hierfür ein neues Verfahren entwickelt. „Diese Art Schnellladesäule macht den Wasserstoffzug in 15 Minuten startklar – genauso schnell wie beim Diesel.“

Die Siemens-Ingenieur:innen in Krefeld schauen derweil bereits intensiv auf den Bahnverkehr in den USA. Dort ziehen Dieselloks teilweise bis zu drei Kilometer lange Güterzüge über Tausende von Kilometern. Mega-Transporte, die Siemens in einigen Jahren gerne mit Wasserstofflokomotiven abwickeln würde.

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