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"Der Gesetzgeber ist gefragt, jetzt einmal entschlossen den Finanzierungskreislauf von der Idee bis zum Börsengang zu schließen", fordert Florian Nöll, scheidender Chef des Bundesverbandes Deutsche Start-ups.

© Pomo

Start-up-Verbandschef Florian Nöll: „Die Zeit für große Würfe wird langsam knapp“

Der scheidende Chef des Start-up-Verbandes, Florian Nöll, zieht Bilanz und erklärt, warum ihn vor allem die aktuelle Bundesregierung enttäuscht.

Herr Nöll, Sie hören nach sieben Jahren an der Spitze des Start-up-Verbandes auf, wo geht es nun hin?

Ich übernehme bei PwC die Leitung der NextLevel-Initiative und kümmere mich damit um alles, was mit Start-ups zu tun hat. Ein zentraler Punkt dabei ist es aber auch Brücken zwischen Start-up-Welt und Industrie zu bauen. Zudem kann ich mich auch bei der digitalen Transformation von PwC selbst einbringen. Ich arbeite damit auch das erste Mal für eine Organisation, die ich nicht selbst gegründet habe. Das ist für mich schon aufregend, für andere ja eher andersherum.

Der Wechsel lief jetzt nicht so glatt. Der Verband musste einige Mitarbeiter entlassen und die Wahl Ihres Nachfolgers auf Dezember verschieben. Was ist da los?

Eigentlich lief alles nach Plan. Mit Franziska Teubert und Christoph Stresing gibt es zwei neue Geschäftsführer und dazu Christian Miele als designierten Nachfolger. Ich werde auch für 2018 einen positiven Jahresabschluss vorlegen, dieses Jahr lief wirtschaftlich aber nicht so gut, das haben wir zum Anlass genommen, einige Dinge zu hinterfragen. Ich finde es auch fair, dass sich die Nachfolger nicht um Altlasten kümmern müssen.

Was ändert sich?

Wir stellen uns in den Bereichen Veranstaltungen und Plattformen neu auf. Vor allem Veranstaltungen haben immer hohe, auch finanzielle Risiken, da setzen wir nächstes Jahr auf Qualität statt Quantität. In den 30 Plattformen, die anderswo Arbeitskreise heißen, organisieren sich die Mitglieder nach Branchen und Technologien. Da haben wir mit Hilfe von Industrie-Sponsoren hauptamtliche statt ehrenamtlicher Mitarbeiter eingestellt, müssen aber noch das richtige Geschäftsmodell finden und sehen, wie wir das organisieren.

Es gab auch Vorwürfe, Gelder seien nicht korrekt abgerechnet worden, was ist da dran?

Wir sind sieben Jahre ohne Vereinsmeierei ausgekommen und jetzt gab es mal den Versuch, eine Schlammschlacht loszutreten, vielleicht aus persönlicher Enttäuschung. Aber wir lassen nun noch einmal einen Wirtschaftsprüfer auf die Finanzen schauen und werden bei der Mitgliederversammlung im Dezember zeigen, dass solche Behauptungen gegenstandslos sind.

Blicken wir auf die sieben Jahre zurück: Was gab damals überhaupt den Ausschlag, den Verband zu gründen?

Sascha Schubert und ich haben vorher schon Start-up-Veranstaltungen organisiert und dabei auch mal Politiker eingeladen. Dabei zeigte sich, dass damals 2012 die wenigsten im Politiksystem verstanden, was Start-ups sind und brauchen.

Wie äußerte sich das?

Der damalige Berliner Bürgermeister Klaus Wowereit sagte, das nächste Facebook müsse aus Berlin kommen. Wir entgegneten, dass Facebook schon vor dem Börsengang 800 Millionen Dollar von Investoren bekommen hatte, so viel wie alle deutschen Start-ups zusammen in dem Jahr zur Verfügung hatten. Oder der damalige Telekom-Chef Obermann sagte der Kanzlerin gesagt, dass Start-ups keinen Wert auf Netzneutralität legen. Da haben wir uns schon gefragt, warum der Telekom-Chef für uns spricht und das Gegenteil von dem sagt, was wir denken. Es war also Zeit für eine eigene Interessenvertretung.

Versteht die Politik inzwischen die Start-up-Szene?

Wissen und Verständnis sind sicher wesentlich breiter, aber wir leiden an der mangelnden Umsetzungsstärke der Politik. Wobei die ja nicht nur uns betrifft. Wir sind Gefangene von Politikern, die wissen, was zu tun ist, aber es nicht tun.

Woran liegt das?

Die Regierungsparteien sind scheinbar mehr mit sich beschäftigt, als mit der eigentlichen Arbeit. Die Union hat eine neue Vorsitzende gesucht und führt Personaldebatten, die SPD nimmt sich gerade  189 Tage Zeit, um eine neue Spitze zu suchen. Dazu kommen externe Einflüsse wie die offene Brexit-Frage oder ein US-Präsident, der jeden Tag für Überraschungen gut ist. Dadurch findet jeden Tag eine innere und äußere Ablenkung statt. Gleichzeitig rächt sich, dass wir kein Digitalministerium und keine klare Verantwortung für das Thema haben. So sind alle ein bisschen zuständig und arbeiten auch nur ein bisschen daran. Wobei es ja in den vergangenen Jahren auch enorm positive Entwicklungen gab.

Nämlich?

Die Summe des jährlich verfügbaren Wagniskapitals ist von damals 800 Millionen auf zuletzt 4,6 Milliarden Euro gestiegen. Und wir haben mit N26, Auto1, Flixbus oder Getyourguide einige Unternehmen, die inzwischen solche Finanzierungssummen wie damals Facebook erhalten haben oder auf gutem Weg dahin sind.

Können wir also jetzt mit den USA mithalten?

Es zeigt auf jeden Fall, dass die Gründer hierzulande nicht schlechter sind. Das Problem ist aber einerseits, dass die Amerikaner ja nicht stehen geblieben sind und das Volumen des Venture Capital dort im gleichen Zeitraum von 20 auf 130 Milliarden Dollar  gestiegen ist. Und auch von den großen Summen hierzulande kommt das Geld zum Großteil aus dem Ausland. Wir sind stolz auf unsere 1400 hidden champions die in alle Welt exportieren, aber wir investieren also weiterhin nicht genug Geld in die nächste Generation von High-Tech-Champions.

Die Regierung verweist dann gern auf ihre Förderprogramme wie Exist, den High-Tech-Gründer-Fonds oder Coparion. Wieso reichen die nicht?

Die sind gut und wichtig. In der frühen Phase ist der Staat sogar der maßgebliche Investor, da kommt ungefähr 70 Prozent aus öffentlichen Töpfen. Doch in späteren Finanzierungsphasen wird er dann aus den Gesellschafterlisten von ausländischen Investoren mit sehr tiefen Taschen verdrängt. Und wenn es zum Exit kommt, der hierzulande wegen regulatorischer Hürden eher ein Verkauf statt ein Börsengang ist, dann werden zwei von drei Start-ups ins Ausland verkauft. Das Land fördert also am Anfang Start-ups mit viel Einsatz und partizipiert aber kaum an der Wertschöpfung, die am Ende entsteht. Daher ist der Gesetzgeber gefragt, jetzt einmal entschlossen den Finanzierungskreislauf von der Idee bis zum Börsengang zu schließen.

Was müsste er dafür tun?

Wir wissen seit langem, dass Versicherungen und Pensionskassen für den Großteil des Wagniskapitals in den USA verantwortlich sind. Wir brauchen auch hier entsprechende Anreize. Bisher investiert der Staat über die verschiedenen Programme jedes Jahr 500 Millionen Euro in Start-ups. Diese Summe sollte noch einmal verdoppelt werden, dann würden durch die Hebelwirkung nochmal 4,5 bis 5 Milliarden Kapital mobilisiert werden. Dann hätten wir eine gute Ausstattung.

Genau dafür hat die Koalition die Auflage eines großen nationalen Digitalfonds mit der Industrie vereinbart. Rechnen Sie noch damit?  

Wir haben die Hoffnung noch nicht aufgegeben. Aber es macht sich Ungeduld breit, wenn man bedenkt, dass wir bei den Gesprächen mit Jens Spahn in seiner Zeit als Staatssekretär im Finanzministerium schon fast genauso weit waren wie jetzt. Da sind zwei Jahre verloren gegangen. Und auch sonst hoffe ich, das von der Bundesregierung noch etwas kommt, aber für große Würfe wird die Zeit langsam knapp. Man schaut schon manchmal ein bisschen neidisch nach Frankreich, wo Macron die Szene in den Elysee-Palast einlädt und nicht nur Versprechen macht, sondern auch Maßnahmen einleitet.

Was sollte man sich von Frankreich abgucken?

Er spannt jetzt beispielsweise Versicherungen als Investoren ein, interessanterweise ist auch die Allianz dabei. Es gibt also kein Argument mehr, dass sie es in Deutschland nicht auch könnten. Dann hat er das Ziel von 25 Unicorns bis 2025 ausgegeben. Das ist Industriepolitik, denn Macron hat verstanden, dass aus der new economy letztlich the economy werden kann, wie in den letzten 20 Jahren in den USA. In Deutschland dagegen ist immer noch nicht bei allen der Groschen gefallen, wie wichtig die Digital- und Start-up-Welt als zukünftige Säule der Wirtschaft ist.

Welcher deutsche Politiker hat Sie dabei in den vergangenen Jahren am positivsten überrascht?

Brigitte Zypries, da fand ich beeindruckend, dass sie als ehemalige Bundesministerin nochmal als Staatssekretärin im Wirtschaftsministerium gewirkt hat. Sie hatte damals 2013 nur ein Grundwissen zum Thema und hat das mit unglaublicher Neugierde schnell ausgeglichen. Und sie ist auch jetzt noch ein gern gesehener Gast auf Start-up-Veranstaltungen.

Und wer hat am meisten enttäuscht?

Das aktuelle Kabinett insgesamt. Wer dabei dann welche Verantwortung hat, kann sich jeder selbst überlegen. Spätestens mit dem aktuellen Koalitionsvertrag haben wir ja kein Erkenntnisproblem mehr. Wir hatten als Verband zehn Dinge gefordert, die uns wichtig waren, in den Vertrag wurden sogar dreißig geschrieben. Es gibt also eine To-Do-Liste, mit der man massiv neue Technologien und die Start-up-Szene in Deutschland stärken könnte. Es ist langsam nicht mehr zu verstehen, warum man das dann nicht einfach macht.   

Das Gespräch führte Oliver Voß.

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