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Sicher ist sicher. Schickentanz rät vom Kauf von Anleihen aus Krisenstaaten ab.

© Kai-Uwe Heinrich

Anlagestratege Schicketanz: "Die Spareinlagen sind bis auf Weiteres sicher"

Chris-Oliver Schickentanz, Chef-Anlagestratege der Commerzbank, spricht mit dem Tagesspiegel über das ESM-Urteil des Bundesverfassungsgerichts, die Schuldenkrise und ihre Auswirkungen für Anleger.

Von Carla Neuhaus

Herr Schickentanz, was bedeutet das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Rettungsschirm ESM für die Anleger?

Das Bundesverfassungsgericht hat das erwartete „Ja, aber“-Urteil gefällt, dabei aber relativ milde Auflagen gemacht. So darf der Haftungsrahmen für den ESM nicht ohne Bundestagsbeschluss ausgeweitet werden. In der Praxis bedeutet dies, dass der ESM wohl wie geplant in Kraft treten und damit seine stabilisierende Rolle ab Oktober übernehmen kann. Dies ist aus Anlegersicht generell positiv. Wir rechnen jetzt kurzfristig mit einem Hilfsantrag Spaniens und dann ersten Anleihenkäufen der EZB.

Wenn die EZB im großen Stil Anleihen von Krisenstaaten erwirbt, heißt das für Anleger, sie können die bedenkenlos kaufen?

Ganz unbedenklich ist der Kauf solcher Anleihen auch dann nicht, wenn die EZB in den Markt eingreift. Zum Beispiel ist nicht gesagt, dass die EZB das Kaufprogramm auch bis zum Ende der Laufzeit der Anleihen durchführt. Außerdem führt das Eingreifen der EZB nicht automatisch dazu, dass ich als Privatanleger mein Geld auch zurückbekomme. Das haben wir schon bei der Umschuldung Griechenlands gesehen. Die EZB musste dabei keine Abschreibungen auf ihre Anleihen tätigen, die Privaten mussten dagegen einen Schuldenschnitt von letztlich 75 Prozent hinnehmen. Deshalb raten wir Anlegern, derzeit nur selektiv Anleihen von Krisenstaaten zu kaufen.

Banken und Unternehmen bereiten sich bereits auf einen Zerfall der Euro-Zone vor. Könnte es wirklich so weit kommen?

Auch wir haben das Extremszenario, dass der Euro auseinanderbricht, in unsere Überlegungen miteinbezogen. Allerdings glauben wir, dass die Wahrscheinlichkeit bei unter fünf Prozent liegt. Ein kompletter Zerfall der Euro-Zone ist nicht unmöglich, aber sehr unwahrscheinlich.

Was würde das für die deutschen Sparer bedeuten?

Wenn der Euro zusammenbricht, würden wir wahrscheinlich die D-Mark wiederbekommen und die würde nach unseren derzeitigen Prognosen im Schnitt um 20 Prozent aufwerten – gegenüber den schwächeren Währungen sogar deutlich mehr. Für die Anleger stellt sich dann zum Beispiel die Frage, wie in Euro nominierte Anleihen in D-Mark umgetauscht werden. Dabei kann es zu deutlichen Wertverlusten kommen.

Wie sicher ist das in Deutschland angelegte Geld derzeit?

Ich glaube, dass die Spareinlagen in Deutschland bis auf Weiteres sicher sind. Die Politik wird an der Einlagensicherung nur im äußersten Notfall schrauben. Und zwar dann, wenn der Staatshaushalt schon bis zum Anschlag strapaziert ist, die Wirtschaft massiv unter Druck steht und es keine andere Handlungsmöglichkeit mehr gibt. Es ist aber sehr unwahrscheinlich, dass es so weit kommt.

Was raten Sie Anlegern, die Angst vor einem Auseinanderbrechen der Euro-Zone haben?

Für diese Anleger sind vor allem Immobilien oder Rohstoffe wie Gold und Kupfer interessant. Da haben sie einen Sachwert, der alles überdauert – wie auch immer die Währung dann heißen mag. Außerdem kann es für diese Anleger Sinn machen, Geld außerhalb der Euro-Zone anzulegen – allerdings in der richtigen Dosierung. Wir raten, nicht mehr als 20 Prozent in ausländischen Währungen zu investieren.

Wie kann ich mein Geld bei den derzeit geringen Zinsen überhaupt noch gut anlegen?

Es ist wichtig, das Geld möglichst breit zu streuen. Das heißt, man sollte sowohl Aktien, Anleihen, Rohstoffe als auch Immobilien kaufen und immer noch etwas für unvorhergesehene Dinge auf dem Bankkonto haben. Und auch bei den einzelnen Anlageformen sollte man variieren und zum Beispiel nicht nur Aktien deutscher Dax-Konzerne kaufen.

Worauf müssen Anleger beim Anleihenkauf achten?

Sie müssen sich klar sein, wie viel Zinsen sie brauchen, damit sich der Anleihenkauf rechnet. Sie müssen die Inflationsrate von gut zwei Prozent berücksichtigen und die Steuern, die sie auf die Zinserträge zahlen müssen. Nach dieser Rechnung können sie ihr Vermögen derzeit nur dann erhalten, wenn sie eine Rendite von etwa drei Prozent bekommen.

Gibt es denn überhaupt Staatsanleihen, auf die es noch so hohe Zinsen gibt und bei denen das Risiko für den Anleger überschaubar ist?

Norwegen und Schweden zahlen zum Beispiel noch ganz gute Zinsen. Und sie können dabei noch von der Aufwertung der norwegischen oder schwedischen Krone profitieren. Auch in Australien bekommen sie derzeit drei Prozent für kurz laufende Staatsanleihen.

Der Dax ist in den letzten Wochen trotz Euro-Krise deutlich gestiegen – warum?

Die Stimmung an den Märkten war eine Zeitlang so schlecht, dass es nichts mehr gab, was den Markt hätte schocken können. In einem solchen Umfeld reichen ein, zwei positive Nachrichten, um die Kurse nach oben zu treiben. Und solch eine gute Nachricht war zum Beispiel, dass die EZB gesagt hat, sie wolle alles Erdenkliche tun, um den Euro zu retten.

Und wie geht es weiter?

Wir gehen davon aus, dass die Märkte jetzt erst mal eine Atempause machen. Es ist möglich, dass der Dax noch einmal auf 6800 Punkte zurückfällt. Das wäre dann aber auch eine Chance für Anleger, die den derzeitigen Aufschwung am Aktienmarkt verpasst haben. Denn wir glauben, dass der Dax mit Blick aufs nächste Jahr noch einmal spürbar zulegen wird.

Sie raten dazu, Immobilien zu kaufen. Entsteht auf dem Markt nicht schon die nächste Blase?

Die Immobilienpreise sind im letzten Jahr um gut fünf Prozent gestiegen. In Ballungszentren wie Frankfurt oder Berlin hatten wir in begehrten Lagen Preisanstiege von 20 Prozent. Aber wir müssen das im historischen Kontext sehen. Die Immobilienpreise sind in Deutschland über Jahrzehnte kaum gestiegen. Das heißt, wir holen jetzt nur auf, was auf anderen Märkten längst passiert ist.

Worauf sollten Anleger achten?

Ganz wichtig ist die Lage. In vielen Toplagen sind die Preise derzeit so hoch, dass es sich anbietet, eher in einer B- oder C-Lage nach einer Immobilie zu schauen. Denn dort bekommt man derzeit für sein Geld noch die besseren Objekte.

Das Gespräch führte Carla Neuhaus

DER ANALYST

Chris-Oliver Schickentanz (37) ist seit 2011 Chef-Anlagestratege der Commerzbank, seit 2009 leitet er das Investmentteam. Seine Karriere hat Schickentanz nach dem Psychologiestudium in Darmstadt als Analyst bei Hoppenstedt Research begonnen. 2000 wechselte der gebürtige Dortmunder zur Dresdner Bank und begleitete 2009 die Fusion mit der Commerzbank.

DIE BANK

Mit ihren 1477 Filialen ist die Commerzbank die zweitgrößte Privatbank Deutschlands. Das Institut ist seit 2009 zu 25 Prozent in Staatsbesitz. cne

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