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Neun Kilogramm Schokolade essen die Deutschen pro Jahr

© Günther/dpa

Leysieffer-Insolvenz: Die Schokoladenbranche will sich neu erfinden

Die traditionellen Hersteller straucheln - und wollen künftig auf neue Trends setzen. Wie es besser geht, machen ausgerechnet die Großen vor.

Von Laurin Meyer

Eine Schokoladentafel belegt mit Smarties, Marshmallows oder Brausepulver: Traditionalisten kommen an der Schokoladen-Bar von André Behnisch wohl kaum auf ihre Kosten. Behnisch ist Leiter des Flagshipstores von Schokohersteller Ritter Sport am Berliner Gendarmenmarkt. Hier können sich Kunden ihre eigenen Kreationen zusammenstellen – bunte Verpackung inklusive. Es scheint ein Erfolgsrezept zu sein. Gut 1000 Gäste pro Tag zählt der Manager in seinem Geschäft, mehr als die Hälfte davon verlässt den Laden mit einer eigenen Tafel.

Auf dem Schokoladenmarkt lautet der Trend: immer ausgefallener, immer gesünder, immer nachhaltiger. Das zeigte sich schon vor zwei Jahren, als Kunden für eine limitierte Einhorn-Schokolade bei Behnisch Schlange standen – einer Kreation aus Joghurt, Himbeeren und Cassis in Regenbogenfarben. „Doch auch bewusste Ernährung und Nachhaltigkeit stehen im Vordergrund“, erklärt Behnisch. Die Hersteller müssten zunehmend mehr erklären: Wo kommen die Rohstoffe her? Was steckt drin? Ritter Sports Antwort darauf ist etwa Schokolade aus Kakao von der eigenen Plantage in Nicaragua.

Was das schwäbische Familienunternehmen bereits macht, haben andere Schokoladenhersteller noch vor sich: Sie müssen sich neu erfinden. Das belegen auch die Zahlen. Während jeder Deutsche vor sechs Jahren noch durchschnittlich mehr als zehn Kilogramm Schokolade verzehrte, waren es im vergangenen Jahr nur noch neun – ein Rückgang von gut zehn Prozent.

Jüngstes Opfer des schnelllebigen Schokoladenmarktes: der Traditionshersteller Leysieffer. Das Familienunternehmen aus dem niedersächsischen Osnabrück hat in dieser Woche einen Insolvenzantrag gestellt. Das Geschäft soll vorerst weiterlaufen, Geschäftsführer Jan Leysieffer will sein Unternehmen selbst sanieren. „Tradition und die Herstellung von hochwertigen Qualitätsprodukten ist heute leider kein Erfolgsgarant mehr“, sagt Rechtsanwalt Joachim Walterscheid, der Leysieffer durch die Insolvenz führt.

Ein Problem: Das Unternehmen gilt als verstaubt

Doch genau darauf hat das Unternehmen seit Jahrzehnten gesetzt: Seit den Fünfzigerjahren ist Leysieffer für seine klassische Edelschokolade bekannt. Damals baute Karl Leysieffer das im Zweiten Weltkrieg zerstörte Café seiner Eltern wieder auf und machte aus ihm eine Confiserie. In den folgenden Generationen expandierte das Unternehmen, eröffnete Läden an exklusiven Orten wie Sylt. Heute betreibt Leysieffer insgesamt 22 Cafés und Schokoladengeschäfte. Die Pralinen liegen aber auch in den Theken einzelner Feinkostläden. Zuletzt lief es allerdings nicht mehr rund. Das Unternehmen gilt als verstaubt, vor allem jüngere Kunden interessierten sich nicht für die traditionelle Confiserie, heißt es aus Branchenkreisen. Wohl auch deswegen sind die Umsätze in den vergangenen Jahren jeweils einstellig gesunken, vier Geschäfte musste das Familienunternehmen zuletzt wieder schließen.

Ganz ähnlich geht es auch Halloren, der ältesten Schokoladenfabrik Deutschlands. Mit seinen altbewährten Rezepten ist der Ost-Hersteller aus Halle tief in die roten Zahlen gerutscht. Das Unternehmen rechne für das laufende Jahr mit einem Verlust von rund 1,6 Millionen Euro, seit Anfang März sind 80 Mitarbeiter nur noch in Kurzarbeit beschäftigt. Jetzt will Halloren mit neuen Geschmacksrichtungen seiner Schokokugeln aus dem Minus kommen.

Branchenexperten wundert die Schwäche der Schoko-Traditionalisten nicht: „Der Verbraucher will viel öfter das Außergewöhnliche, das Neue und das Hippe“, sagt Georg Bernardini, Schokoladentester und Buchautor. Dazu gehörten außergewöhnliche Kreationen, etwa Tafeln mit Kürbis und Curry oder Pfifferlingen, aber auch ein ausgefallenes Design der Verpackungen. „Hier ist ein enormes Potenzial, um die Verbraucher an sich zu binden“, sagt Bernardini.

Den Kampf im Supermarkt sollen also andere führen

Hinzu käme aber auch ein ruinöser Wettbewerb, den die Hersteller untereinander treiben würden. „Immer mehr und immer größer ist in einem gesättigten Markt nur durch Verdrängung möglich“, erklärt der Schokoladentester. Viele mittelständische Schokofirmen würden sehr ähnliche Produkte herstellen und dieselben Unternehmen beliefern. Der einzige Profiteur sei der Handel: Supermärkte könnten die Hersteller wegen der großen Auswahl an austauschbaren Schokoladen gegeneinander ausspielen. „Ein kleiner Hersteller sollte niemals einen Discounter beliefern, der dann einen großen Anteil seines Umsatzes ausmacht“, sagt Bernardini. „Damit holt er sich schon im Voraus die Insolvenz ins Haus.“

Der Berliner Hersteller Rausch will genau das erkannt haben – und hat sein Geschäftskonzept radikal umgestellt. Schon seit gut drei Jahren liegen die Tafeln und Pralinen der Edel-Confiserie nicht mehr in den Regalen der Einzelhändler. Stattdessen vertreibt Rausch seine Schokolade nur noch im eigenen Berliner Geschäft und über seinen Online-Shop. „An meterlangen Supermarktregalen konnten wir den Unterschied von unserer Edelkakao-Schokolade zu herkömmlicher Konsumkakao-Schokolade nicht kommunizieren“, erklärt Geschäftsführer Robert Rausch. Ob Milka oder Ritter Sport – der Kunde griff meistens zur günstigeren Marke. Rauschs Entscheidung war riskant: „In der Anfangszeit haben wir auf Umsätze verzichtet“, sagt Rausch ohne konkrete Zahlen zu nennen. Mittlerweile sei man mit den Verkäufen aber zufrieden. Der große Vorteil: Im eigenen Schokoladenhaus und im Online-Shop sei der Pro-Kopf-Umsatz sehr viel höher als im Supermarkt, weil Kunden bewusst nur nach Rausch-Schokoladen suchen.

Den Kampf im Supermarkt sollen also andere führen – eben große Marken wie Ritter Sport. Für das schwäbische Familienunternehmen wird der Platz im Regal immer größer. Im vergangenen Jahr konnte Ritter Sport seinen Marktanteil in Deutschland auf knapp 22 Prozent ausbauen. Der Umsatz stieg um 1,5 Prozent auf 489 Millionen Euro, auch dank wachsender Exporte. Fast die Hälfte seines Geschäfts macht der Schokohersteller mittlerweile im Ausland. Darauf ausruhen will sich das Unternehmen aber nicht. Filialleiter André Behnisch hofft, dass möglichst viele Besucher seines Flagshipstores die Marke auch weiterhin nach draußen tragen. Eine nächste Spezial-Tafel sei bereits in Planung.

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