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Wirtschaft: Die Lücke bleibt

Im Berliner Einzelhandel gibt es zwar mehr Geld, doch die einheitliche Bezahlung in Ost und West scheitert.

Berlin - Das Wichtigste bei Tarifverhandlungen ist, dass die Gesprächspartner am Ende zufrieden sind und das Ergebnis ihren Leuten als Erfolg verkaufen können. Schließlich steht keiner gerne als Verlierer da. Im Einzelhandel in Berlin und Brandenburg hat das am Dienstagabend nicht ganz geklappt: Zwar einigten sich die Gewerkschaft Verdi und der Handelsverband auf eine ordentliche Entgelterhöhung – doch mit dem Ziel, Sonderzahlungen im Osten dem höheren West-Niveau anzugleichen, hat es nicht geklappt. „Das ist weiter diskriminierend“, urteilte Verdi-Verhandlungsführerin Erika Ritter. „Wir können mit dem Ergebnis gut leben“, sagte indes Nils Busch-Petersen, Geschäftsführer des Handelsverbandes.

Rückwirkend zum 1. Oktober 2013 erhalten die 200 000 Beschäftigten in der Hauptstadtregion drei Prozent mehr Geld, zum 1. Juli dieses Jahres kommen noch einmal 2,1 Prozent hinzu. Auszubildende bekommen sogar insgesamt 7,6 Prozent mehr. Damit übernimmt die Branche den Tarifabschluss, der im vergangenen Jahr in Baden-Württemberg ausgehandelt worden war und den seither viele Bezirke übernommen hatten. Für Warenauffüller in Supermärkten gibt es zudem eine neue Lohngruppe, sie verdienen künftig 9,54 Euro je Stunde. Bislang werden sie oft von Fremdfirmen eingesetzt und verdienen Schätzungen zufolge weniger als sieben Euro.

Rund zwölf Stunden brauchten Arbeitgeber und Verdi für ihr Werk – „vergnügungssteuerpflichtig war das nicht“, klagte ein Teilnehmer. Knackpunkt war die Angleichung beim Weihnachts- und Urlaubsgeld an das West-Berliner Niveau – ein Ziel, das Verdi schon seit Jahren verfolgt. Immer wieder hatte die Gewerkschaft Streiks und Demonstrationen dafür organisiert, aber ohne Erfolg. „Extrawürste zu braten ist schwierig“, sagte Busch-Petersen. Er freute sich vor allem, „dass wir kein Präjudiz für andere ostdeutsche Länder abgeliefert haben“.

Das Thema soll nun in gesonderten Verhandlungen besprochen werden, zusammen mit Fragen der Arbeitszeit oder der Demografie bis März 2015. Immerhin gibt es für die Gespräche einen Fahrplan – allerdings laufen sie „im Rahmen der Friedenspflicht“, wie Busch-Petersen unterstrich. Die Arbeitgeber hätten für die Angleichung weitere Zugeständnisse gefordert, etwa in Sachen Arbeitszeit-Flexibilität, sagte Verdi-Verhandlerin Ritter. Die Aktionen der Gewerkschaft haben die Arbeitgeber offenbar nicht beeindruckt. „Irgendwann muss man mal ein Resümee ziehen, ob man mehr auf die Straße bringt oder nicht“, beschrieb Ritter die Abwägung am Ende. Welche Chancen eine Angleichung bei der Bezahlung in Zukunft hat, weiß sie nicht. „Es gibt keinen klaren Plan, wie das anders werden soll.“

Die unterschiedliche Bezahlung zwischen Ost und West ist nicht nur im Einzelhandel ein Thema. In vielen Branchen gibt es fast ein Vierteljahrhundert nach dem Mauerfall noch immer beträchtliche Unterschiede bei der Bezahlung; gesamtwirtschaftlich liegen die Löhne in den neuen Ländern erst bei knapp 80 Prozent des West-Niveaus. Nur in wenigen Bereichen gibt es eine gleiche Bezahlung – etwa bei der Deutschen Bahn, der Telekom oder der Deutschen Post.

In den Tarifverträgen ist die Grundvergütung zwar oft schon auf einem Stand – so in der Druckindustrie, der Eisen- und Stahlindustrie, dem öffentlichen Dienst, den Banken oder dem Versicherungsgewerbe. Der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung ist die Basis-Bezahlung im Osten bei rund 97 Prozent des Westens angelangt. „Bei der Arbeitszeit, den Urlaubstagen oder den Sonderzahlungen gibt es aber meist enorme Unterschiede“, berichtet Böckler-Tarifexperte Reinhard Bispinck. Hinzu kommt, dass sich viele Betriebe an Tarifverträge gar nicht halten müssen – nur etwa für die Hälfte der Beschäftigten gilt die Tarifbindung. Noch immer leisten Ost-Betriebe weniger als die West-Konkurrenz – sie sind kleiner, nicht so forschungsstark oder in weniger produktiven Branchen tätig. „Eine Angleichung zwischen Ost und West ist derzeit nicht in Sicht“, sagt Bispinck. Carsten Brönstrup

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