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Wirtschaft: Die letzte Ernte

Die EU will den Tabakanbau nicht länger unterstützen. Für viele Bauern ist dies das Ende – auch in Ostdeutschland

Vierraden - Der Mann, dessen Ernte sich bald in Rauch auflösen wird, steht verloren zwischen den mannshohen Tabakpflanzen. Trotz der guten Ernte blickt Ralf Molzahn skeptisch in die Zukunft. Der deutsche Tabakbau steckt in der Krise. „Wie es aussieht ist 2009 die letzte Ernte“, sagt er und untersucht eines der großen klebrigen Tabakblätter.

Molzahn ist 35 Jahre alt, seit er denken kann, arbeitet er im Tabakanbau und ist heute Geschäftsführer der Uckermark-Tabak GmbH. Schon seine Eltern und Großeltern pflanzten in Vierraden Tabak, der viertgrößten Tabakregion nach der Pfalz, Baden und Franken. 320 Jahre reicht der Tabakanbau in der Oderniederung zurück, doch nach den Beschlüssen der EU ist es damit bald vorbei.

Tabak ist ein hoch subventioniertes Produkt. Zwei Drittel seiner Einnahmen erzielt Molzahn mit Zuschüssen aus Brüssel. Doch in der komplexen Maschinerie der EU kämpfen Bürokraten seit Jahren um eine Agrarreform. Die neue Marktordnung fordert von europäischen Bauern, konkurrenzfähige Produkte anzubauen, und nicht die mit den höchsten Förderprämien. Tabakanbau zu unterstützen, steht nach Meinung der EU-Kommission zudem in Widerspruch zur Gesundheitspolitik. 2009 sollen die Subventionen auslaufen, es wäre das Ende des deutschen Tabaks.

Thomas Zeretzke ist Vorsitzender der Erzeugergemeinschaft Nordost, der Vereinigung ostdeutscher Tabakpflanzer. Der gelernte Betriebswirt übernimmt auch für Ralf Molzahn organisatorische Aufgaben. Er bestellt das Saatgut, wiegt die Ware, kümmert sich um den Transport und wickelt die Prüfungen mit dem Zoll ab. 66 Tabakpflanzer gibt es heute noch in den neuen Ländern, der größte von ihnen ist Uckermark-Tabak. Vor drei Jahren waren es noch 110 Pflanzer, doch mit den neuen Verordnungen der EU, den vielen Antragsformularen und der Ungewissheit haben vor allem ältere Bauern ihre Anbauflächen aufgegeben.

In Krisenzeiten sollte das Preissystem der EU die Versorgung mit Milch, Fleisch und Getreide sicherstellen. Auch Tabak wurde unterstützt. Der Übergang von Produktprämien auf Flächenzuschüsse soll die Produktion nun endgültig an den Weltmarkt anpassen. Bis 2013 sind die Flächenprämien garantiert. Eine Übergangszeit für Bauern, neue Anbaumöglichkeiten zu erproben. „Besonders hart trifft die Umstellung die Tabakbauern mit ihren kleinen Anbauflächen, auch weil diese schon 2010 ohne Förderung auskommen sollen“, sagt Jürgen Pickert, Referent für Pflanzenbau im Landwirtschaftsministerium Brandenburg.

Nach Lösungen suchen sie händeringend, die Bauern, die Erzeugergemeinschaften und der Bundesverband deutscher Tabakpflanzer. Auf europäischer Ebene kämpfen sie darum, die Subventionen zu verlängern, um mehr Zeit zu gewinnen, und um Alternativen zu finden. Doch die Nichtraucherkampagnen und das wachsende Gesundheitsbewusstsein machen ihnen das Leben schwer. Seit dem 1. August haben die ersten Bundesländer Rauchverbote eingeführt, am 1. Januar 2008 folgt auch Brandenburg. Der Europäische Gerichtshof hat erst Anfang des Jahres eine Klage der Bundesregierung gegen die Verschärfung des Werbeverbots abgelehnt. Der Raum für Zigarettenwerbung wird immer kleiner.

Von all diesen Veränderungen spürt Bauer Molzahn auf seinem Tabakfeld nicht viel. „Die wollen doch unseren deutschen Qualitätstabak“, sagt er. 140 Tonnen produziert er jährlich von dem Rohmaterial, das, wie er sagt, sauber ist und rückstandsfrei. Vergangene Woche erst seien Mitarbeiter von Philip Morris bei ihm gewesen. Sie hätten gesagt, man könne den chinesischen Tabak nicht verarbeiten. Viel zu viele Rückstände hätte der, sogar Benzinkanister und Autoreifen hätte man dort gefunden.

Die Tabakpflanzen stehen Ende August in voller Blüte, die Ernte läuft auf Hochtouren. Es sind Saisonarbeiter wie Adam Marcinkiewicz, die von Juli bis September die lindgrünen Blätter auf deutschen Tabakfeldern pflücken. Adam ist 20 Jahre alt, Pole, und einer der 32 Arbeiter, die Molzahn beschäftigt. Er wohnt auf dem Hof der Tabakfirma, wo er sich einen Wohncontainer mit zwei weiteren Arbeitern teilt. Seit sechs Uhr morgens steht er auf dem Feld, fünfzehn Stunden arbeitet er mit Pausen, sieben Tage die Woche. Wie eine große Spinne mit schlanken Beinen schiebt sich die Erntemaschine langsam durch die Pflanzenreihen. Am Fußende sitzt Adam auf einem Plastikstuhl, pflückt zwei bis drei Blätter von jeder Pflanze und sammelt sie auf seinen Knien. Ein kleiner Aufzug befördert sie zum oberen Teil der Maschine, wo ein weiterer Erntehelfer die teerhaltige Ernte entgegennimmt und die Blätter in Metallgittern befestigt. Später werden die Racks in den Trockenofen geschoben. Eine Tonne frischen Tabak sammelt Adam täglich, immer mit der gleichen Bewegung, Reihe für Reihe. Am Ende sind es zwischen vier und fünf Euro, die Adam pro Stunde verdient.

In der großen Lagerhalle auf dem Hof stehen die Frauen an den Fließbändern, im Hintergrund läuft leise ein polnisches Radioprogramm. Aus einer Gittertrommel fallen die Blätter gelockert und vom Sand bereinigt auf das Band. Mit geübten Handgriffen sortieren die Frauen Blatt für Blatt nach Qualitätsmerkmalen. Es sind die erfahrenen Helfer, die getrocknete Blätter nach Farbe und Druckstellen in drei Kategorien einteilen. Weil der deutsche Tabak geschmacksneutral ist, werden die Kisten später von den Zigarettenproduzenten als Fülltabak aufgekauft.

Molzahn ist der zweitgrößte Tabakbauer Deutschlands. Seit 2002 hat er den Anbau von 30 auf 75 Hektar ausgebaut. Gerade hat er seine Lagerhalle erweitert, und er würde gerne weiter investieren, auf über 100 Hektar möchte er kommen, so wie die großen Betriebe in Polen und Südeuropa. Schon jetzt liefert Molzahn mehr als ein Zehntel der 1000 Tonnen Tabak aus Ostdeutschland.

Jedes Jahr werden 10 000 Tonnen Virgin, Burley und Geudertheimer in Deutschland geerntet. Das ist nicht viel im internationalen Vergleich. In Europa sind es 250 000 Tonnen. Allein Italien, der wichtigste europäische Tabakstandort, produziert zehnmal so viel wie die deutschen Tabakbauern. Mit 2,5 Millionen Tonnen sind die Chinesen Weltmarktführer, aber auch Brasilien und zunehmend afrikanische Länder produzieren immer größere Mengen.

Zwischen einem und 1,30 Euro bekommen die Bauern für ein Kilo Rohtabak. 3,50 Euro müssten es sein, damit sich der Anbau für Landwirte wie Molzahn lohne, sagt Zeretzke. Ganz aufgegeben hat er die Hoffnung noch nicht, dass die Subventionen weiterlaufen oder die Industrie zu einem Kompromiss bereit ist. Neben den Bauern hingen schließlich noch weitere Arbeitsplätze am Tabakanbau. Etwa 3500 Beschäftigte leben in Deutschland vom Tabakanbau und der Verarbeitung, dazu kommen die 10 000 Saisonarbeiter aus Polen und Rumänien.

Wenn nur die wirtschaftlichen Voraussetzungen eine Rolle spielten, hätten die deutschen Pflanzer schlechte Karten, weiß auch Zeretzke. Allein wegen der Lohnkosten könnten die deutschen Bauern international nicht mithalten. Der Tabakbau ist arbeitsintensiv. Die Blätter werden mit der Hand geerntet, um die Qualität nicht durch Druckstellen zu mindern. Mit den deutschen Qualitätsstandards wirbt der Bundesverband massiv bei der EU und den Zigarettenherstellern. Eine kleine Chance erhofft sich Zeretzke auch, weil der deutsche Tabak wenig Nikotin enthält. Damit liegt er im Trend: Die Hersteller wollen zunehmend nikotinarme Zigaretten produzieren.

Alexander Glodzinski

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