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An mobilen Paketbussen konnten in Berlin im Dezember 2020 an verschiedenen Standorten im Rahmen eines Pilotprojektes Pakete abgeholt und abgegeben werden.

© imago images/photothek

Boom der Paketzustellungen: Die Branche, die vom eigenen Erfolg überrascht ist

Die Coronapandemie hat den Kurier-, Express- und Paketdienstleistern enorme Zuwachsraten beschert. Das verschärft auch die Verkehrs-Lage in den Innenstädten.

Die Branche ist von ihrem eigenen Erfolg überrascht: „Als wir vergangenes Jahr die Studie 2020 gemacht haben – das war zu Beginn der Coronapandemie –, haben wir mit dieser Entwicklung weiß Gott nicht gerechnet“, sagte Klaus Esser von der Beratungsfirma KE-Consult gestern bei der Vorstellung der aktuellen Studie für den Markt der Kurier-, Express- und Paketdienstleistungen (KEP). Sie wurde vom Bundesverband Paket und Expresslogistik (BIEK) in Auftrag gegeben.

Demnach sorgte die Pandemie dafür, dass das Sendungsvolumen sprunghaft um 400 Millionen Sendungen (plus 10,9 Prozent) stieg, mit 4,05 Milliarden Sendungen wurde zum ersten Mal die Vier-Milliarden-Marke geknackt. Auch der Gesamtumsatz legte um 10,5 Prozent auf 23,5 Milliarden Euro zu. „Das ist eine große, gewaltige Zahl“, sagte Esser.

Das Wachstum geht in erster Linie auf Privatkunden zurück, die wegen der geschlossenen Geschäfte kräftig im Internet einkauften und das boomende Online-Geschäft weiter befeuerten. Die Paketdienste hätten den Alltag in der Krise am Laufen gehalten, sagte Marten Bosselmann, BIEK-Vorsitzender. Vor allem im zweiten Halbjahr 2020 gab es einen enormen Wachstumssprung – auch wegen des starken Weihnachtsgeschäfts. Rückläufig war der Trend bei den Paketsendungen zwischen Unternehmen (B2B-Segment): Weil viele Firmen unter der Krise – insbesondere im stationären Handel – litten, sank das Sendungsvolumen hier um 5,2 Prozent.

Online-Handel dürfte auf hohem Niveau bleiben

Auch wenn die Wachstumsraten künftig nicht mehr so hoch sein dürften wie während der Pandemie, erwartet Esser, dass der Online-Handel auf hohem Niveau bleibt und das Sendungsvolumen weiter steigt. Fürs laufende Jahr erwartet der BIEK 320 Millionen zusätzliche Sendungen – ein Plus von acht Prozent. Außerdem korrigiert er seine mittelfristige Prognose nach oben: Statt eines jährlichen Sendungswachstums von rund vier Prozent geht er nun davon aus, dass es jeweils sieben Prozent beträgt. Damit wären die eigentlich erst für 2025 erwarteten 4,7 Milliarden Sendungen bereits kommendes Jahr erreicht.

Die Coronapandemie hat auch neue Wettbewerber wie den Lieferdienst Gorillas hervorgebracht, die sich auf Waren des täglichen Bedarfs konzentrieren. Noch sei ihre Auswirkung auf den Wettbewerb nicht besonders groß, weil der Markt stark wachse, meinte Esser. Ihre weitere Entwicklung müsse man aber beobachten: Es sei möglich, dass die neuen Anbieter künftig auch die Lieferung weiterer Waren in ihr Angebot aufnehmen würden.

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Die explodierenden Sendungsvolumen haben Konsequenzen auf die Beschäftigung und die Lage in den Ballungsräumen. Bosselmann zufolge wird die Branche 12000 zusätzliche Beschäftigte pro Jahr benötigen – vor der Corona-Pandemie rechnete er noch mit zusätzlichen 7000. Esser hält es für gut möglich, dass Menschen aus anderen Bereichen, die durch die Krise ihren Job verloren haben, nun auf die KEP-Branche aufmerksam werden. „Eine robuste Gesundheit ist förderlich, und je nachdem ist ein Führerschein nötig, aber im Grunde kann jeder bei uns anfangen und ist willkommen“, ergänzte Bosselmann. Gute Arbeitsbedingungen und eine Bezahlung wenigstens auf Mindestlohnniveau seien entscheidend, um Talente anzuwerben, sagte er.

Kampf um den Straßenraum

In den Ballungsräumen verschärft sich unterdessen der Kampf um den Straßenraum, das Problem des Zweite-Reihe-Parkens von Lieferdiensten ist weiter ungelöst. „Unsere Fahrerinnen und Fahrer möchten nicht in der zweiten Reihe stehen“, sagte Bosselmann wie schon im vergangenen Jahr. Doch mit dem vom BIEK seit Jahren geforderten Ladezonen-Verkehrsschild geht es nicht voran.

Problemlöser? Würden mehr Pakete per Drohne kommen, würde das einige Staus auflösen.

© Ingo Wagner/dpa (z

„Das Bundesverkehrsministerium ist der Auffassung, dass die derzeitige Straßenverkehrsordnung nicht die formalen Voraussetzungen enthält, um ein derartiges Schild anzuordnen“, sagt Carsten Hansen, BIEK-Beauftragter für Innenstadtlogistik. Der Verband setzt nun für einen neuen Anlauf auf die neue Legislaturperiode. Weil sich die Verkehrslage in den Städten immer weiter verschärft, wünscht sich der BIEK von der neuen Regierung ein Wirtschaftsverkehrsgesetz. Damit könnten verschiedene Punkte in einem Schwung geregelt werden: Nicht nur die Einrichtung von Ladezonen, sondern zum Beispiel auch, dass Verkehrsflächen den Bedarfen des Wirtschaftsverkehrs gewidmet werden dürfen. Öffentlicher Straßenraum könne so für mobile Mikro-Depots „rechtssicher und privilegiert kommunal vergeben werden“, heißt es in einem Positionspapier.

Entsprechende Flächen in urbanen Zustellbezirken zu finden, sei eine große Herausforderung, klagte unter anderem DPD-Sprecher Peter Rey. Hier wünschen sich die Paketdienstleister mehr Kooperation mit den Kommunen. Das Bewusstsein dafür, genügend Raum für Zustelldienste zu schaffen, sei in den Städten „unterschiedlich vorhanden“.

Alternative Antriebe in der Diskussion

Ebenfalls auf der Wunschliste des Verbands: das Ermöglichen von digitalem Verkehrsmanagement, zum Beispiel von Parkplätzen. So könne der Flächenbedarf besser erfasst und geregelt werden, ohne dass in Kommunen ein Schilderwald entstehe. Auch dies will der BIEK im Straßen- und Straßenverkehrsrecht verankert sehen.

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Weil der Trend zum Einkaufen im Internet von zu Hause aus dauerhaft ist, hält er zudem Änderungen im Planungsrecht für angebracht. „Das Baugesetzbuch sollte den Bedarf für die logistische Nutzung von Flächen als Planungsbelang aufnehmen“, heißt es im Positionspapier. Dann ließen sich von vornherein Haltemöglichkeiten für Zustellfahrzeuge und Standorte für Paketstationen oder Mikro-Depots im direkten Umfeld von Wohnungen einplanen. In der Baunutzungsordnung ließe sich zudem verpflichtend regeln, dass neue oder sanierungsbedürftige Gebäude eine Paketkastenanlage bekommen – analog zu Briefkastenanlagen.

Auch das Thema alternative Antriebe beschäftigt die KEP-Branche. Im innerstädtischen Bereich sei es deutlich einfacher, nachhaltig zu operieren als im Fernverkehr – mit Lastenrädern und E-Fahrzeugen, sagte Ines Rosenbusch vom Logistikdienstleister Go!. „Wie ein Booster“ habe die Pandemie zudem auf die digital unterstützte Tourenoptimierung gewirkt, um CO2 einzusparen.

Die Überwindung großer Distanzen sei hingegen „mit den heute zur Verfügung stehenden Fahrzeugen elektrisch kaum machbar“, konstatierte Rosenbusch. Der BIEK plädiert deshalb für eine zeitlich begrenzte Förderung von Elektrofahrzeugen im städtischen Verkehr in voller Höhe der Kostendifferenz zu Verbrennern.

Jutta Maier

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