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Identitätsfrage: Das Berliner Unternehmen WebID entwickelt ein Legitimationsverfahren per Video. Die Post will die Firma erst kaufen, dann macht sie ihr Konkurrenz.

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Klein gegen Groß: Die Berliner Firma WebID wehrt sich gegen die Macht der Post

Das Berliner Unternehmen WebID legitimiert Kunden via Videochat und greift damit das Monopol der Post an. Die Geschichte eines ungleichen Kampfs

Von Carla Neuhaus

Frank Jorga könnte längst in seinem neuen Büro sitzen, im 24. Stock des Post-Towers. Er könnte sich zurücklehnen und den Ausblick über die Dächer von Bonn genießen. Dass er das womöglich gar nicht will, dass er einen zweistelligen Millionenbetrag ablehnen würde, den die Post für seine Firma bot: Das konnten sich die Konzernchefs nicht vorstellen. So sicher waren sie sich ihrer Sache, dass sie Jorga schon mal in ein Büro führten und ihm erklärten, das würde künftig sein Arbeitsplatz sein. So erzählt Jorga es heute. Zum Angebot der Deutschen Post sagte er dennoch Danke. Nein, Danke.

Mit dieser Absage war die Sache für den Chef des Berliner Unternehmens WebID erledigt. Das Interesse eines so großen Konzerns an einer so jungen Firma wie seiner hatte ihm geschmeichelt. Doch er ist nun mal mehr Gründer als Konzernmanager. Er wollte nicht zusehen, wie seine Firma in einem Unternehmen wie der Post aufgeht – wie viele seiner Pläne begraben würden, weil sie zwar zu einem Start-up passen, nicht aber zu einem Konzern.

Statt Mitarbeiter ist Jorga nun also Konkurrent der Post. Doch was das bedeutet, das wird ihm erst jetzt so richtig klar.

Die Gründer haben eine Alternative zum Postident-Verfahren entwickelt

Drei Jahre lang hat Jorga mit seinem Geschäftspartner Thomas Fürst an einer Alternative zum Postident-Verfahren gearbeitet. Es geht um die Art und Weise, wie Kunden sich ausweisen, wenn sie zum Beispiel online ein Konto eröffnen oder einen Kredit beantragen. Bis vor zwei Jahren war Postident da fast die einzige Option: Das heißt, der Kunde musste in eine Postfiliale gehen und dort seinen Ausweis vorzeigen. Jorga nennt das einen „Medienbruch“: Der Kunde kann alles online machen – bis zu dem Punkt, an dem er sich ausweisen muss.

Jorga und Fürst fanden das ärgerlich und entwickelten ein Legitimationsverfahren via Videochat: Der Kunde hält seinen Ausweis in die Laptop-Kamera. Ein Mitarbeiter im Callcenter prüft, ob die Person vor der Linse auch diejenige ist, der der Ausweis gehört. Unterstützt wird er dabei von einer Software, die selbst Mikroschrift erkennt. Nach etwa fünf Minuten ist alles erledigt.

Schnell meldete sich die Post bei ihnen

„Wir waren weltweit die ersten, die einen solchen Dienst angeboten haben“, sagt Jorga. Entsprechend groß waren anfangs zwar die Bedenken der Behörden. Doch die beiden Gründer räumten sie aus dem Weg. Immer wieder wurden sie bei der Finanzaufsicht Bafin und im Bundesfinanzministerium vorstellig. Der Erfolg kam am 5. März 2014 per Rundschreiben. Darin erklärte die Bafin offiziell, dass unter Einhaltung strenger Sicherheitsvorkehrungen auch eine Legitimation per Video möglich sei.

Erste Kunden fanden Jorga und Fürst schnell – erste Neider gab es aber auch. Es dauerte nicht lange, da rief die Post an. Der Konzern hat schließlich über Jahre den Markt für die Identifikation von Personen dominiert. Durch seine Annahmestellen, in denen Kunden nicht nur Päckchen abgeben sondern sich auch per Postident ausweisen können, hatten Mitbewerber es schwer. Bis WebID auf den Markt kam.

Thomas Fürst (rechts) und Frank Jorga haben zusammen WebID gegründet.

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Für das Gespräch mit der Post waren die Gründer offen. „So etwas schlägt man nicht aus“, sagt Jorga. Anfangs sprachen sie mit den Konzernvertretern über eine Kooperation, dann ging es um eine Beteiligung. Schließlich wollten sie die Firma ganz kaufen. Die Motivation dahinter war für Jorga klar: „Die Post wollte ihr Monopol verteidigen.“ Nach der Absage des Kaufangebots wunderte es die beiden deshalb kaum, dass der Konzern mit einem eigenen Verfahren zur Videolegitimation auf den Markt kam: Postident durch Videochat. Jorga und Fürst entdeckten Ähnlichkeiten zu ihrem Dienst, ließen sich aber nicht beirren. Ihre Firma wuchs schnell. Binnen zwei Jahren haben sie gut 80 Großkunden gewonnen, 120 Mitarbeiter eingestellt. Neben dem Hauptsitz in Berlin bauten sie ein Callcenter in Solingen auf, auch in Hamburg und Kiel sind sie vertreten.

Plötzlich zog ein Großkunde seine Aufträge ab

Doch dann passiert etwas für sie Unerklärliches. Ihr bislang wichtigster Kunde, eine große Direktbank, zieht plötzlich einen Großteil der Aufträge ab. „Die Projektmanager haben uns kurz vorher noch berichtet, wie zufrieden sie mit uns sind“, sagt Jorga. Die Gründer hatten allein für diesen einen Kunden etliche Mitarbeiter eingestellt, er stand für 20 Prozent ihres Geschäfts. „Hätten wir das nicht durch andere Neukunden ausgleichen können, wir hätten Leute entlassen müssen“, sagt Jorga. Sie erfahren: Das Institut ist zur Post gewechselt. Warum, bleibt unklar. Dann hören sie von anderen Kunden, dass die Post auch auf sie zugekommen sei. Und zwar mit einem unschlagbaren Angebot.

Denn: Die meisten Banken nutzen neben der Video-Legitimation weiter auch das Postident-Verfahren. Schließlich sollen ihre Kunden die Wahl haben, ob sie sich vor Ort oder per Video ausweisen wollen. Der Post kommt das entgegen. Sie gewährt Kunden einen Preisvorteil, wenn sie gleich beide Dienste bei ihr buchen – statt einen bei der Konkurrenz. So kostet das klassische Postident-Verfahren für Großkunden normalerweise fünf Euro pro Identifizierung, nutzt der Kunde auch die Video-Option sind es nur vier Euro. Die Deutsche Post nennt das einen „First-Mover-Preisnachlass“. Er werde dem Kunden „für seine Unterstützung“ gewährt. So steht es in einem Vertrag mit einer Großbank, der dem Tagesspiegel vorliegt. Jorga sagt, zu diesem Preis könne man die Video-Identifizierung keinesfalls kostendeckend durchführen. „Sechs Euro für Großkunden – darunter geht es nicht“, sagt er.

Die Post weist die Vorwürfe zurück

Die Post sieht das anders und weist jeglichen Vorwurf von sich, die eigene Marktstellung auszunutzen. „Unserer Überzeugung nach stehen unsere Identifizierungsleistungen im Einklang mit den aufsichtsrechtlichen, datenschutzrechtlichen und wettbewerbsrechtlichen Vorschriften“, sagt ein Sprecher auf Tagesspiegel-Anfrage. Die Preise der Deutschen Post seien zudem kostendeckend.

Hinter dieser Tür verbirgt sich die Sicherheitsschleuse zum Callcenter.

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Jorga argumentiert dagegen vor allem mit den hohen Personalaufwendungen. Schließlich müssen die Mitarbeiter besser qualifiziert sein als klassische Callcenter-Angestellte. Regelmäßig lässt WebID seine Mitarbeiter schulen und zwar von Kriminalbeamten, die sich mit Ausweisdelikten auskennen. Dazu kommt die Sicherheitsausstattung. In den Bereich mit den PCs, an denen die Mitarbeiter die Videolegitimation durchführen, kommt man nur durch eine Schleuse. Angestellte müssen ihren Chip vorhalten. Ein Scanner misst ihren Venenpuls, erkennt so ihre Identität. Eine Waage kontrolliert, dass auch nur diese eine Person eintritt und keine zweite. Das alles kostet. Preise, wie sie die Post aufruft, seien da nicht machbar, sagt Jorga. Auf eine Klage haben die Gründer dennoch bislang verzichtet. „Die Post hat mehr Anwälte als wir Mitarbeiter“, sagt Jorga. Er hofft, dass das Bundeskartellamt von sich aus aktiv wird und den Fall von Amts wegen untersucht. Danach sieht es derzeit allerdings nicht aus.

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