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EZB-Chef Mario Draghi

© dpa/EPA/Olivier Hoslet

Vor der Ratssitzung der EZB: Der Zauberkoffer des Mario Draghi

Kurz vor dem Chefwechsel dürfte EZB-Präsident Mario Draghi an diesem Donnerstag die Geldpolitik lockern. Ein Überblick, welche Optionen er hat.

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In ihrer Kritik sind sich die Chefs der deutschen Banken und Sparkassen einig: Die Europäische Zentralbank (EZB) geht mit ihrer Geldpolitik zu weit und wird mit ihren Null- und Negativzinsen zu einer Belastung – für die Institute, die Sparer und die Wirtschaft insgesamt. „Langfristig ruinieren diese Niedrigzinsen das Finanzsystem“, poltert Deutsche Bank-Chef Christian Sewing. „Die EZB zeigt keine Verantwortung gegenüber den Banken“, ergänzt Banken-Präsident Hans-Walter Peters. Sparkassen-Präsident Helmut Schleweis beklagt „immense betriebs- und volkswirtschaftliche Kosten“.

Die Klagen werden aber wohl nichts ändern: Prognosen zufolge wollen EZB-Präsident Mario Draghi und seine Kollegen die Geldpolitik in ihrer Sitzung am Donnerstag weiter lockern und den Einlagezins für Banken noch tiefer ins Minus drücken.

Mit ihrer Politik zielt die EZB auf Preisstabilität. Die sieht sie bei einer Inflationsrate von knapp zwei Prozent gewährleistet. Liegt sie darüber, droht Inflation, deutlich darunter Deflation, also sinkende Preise bei sinkender Nachfrage. Im Juli und August lag die Inflationsrate nur bei 1,0 Prozent. Deshalb will die EZB mit einer weiteren Lockerung der Geldpolitik gegensteuern, um die Kreditvergabe der Banken anzukurbeln, mehr Wachstum zu bewirken und so die Inflationsrate nach oben zu treiben.

Der Einlagenzins für Banken dürfte sinken

Der Leitzins in Euroland liegt seit März 2016 bei Null, für Einlagen bei der EZB müssen Banken seitdem einen Minus-Zins von 0,4 Prozent bezahlen. Jetzt erwarten Volkswirte einen weiteren Schritt nach unten. Michael Schubert, EZB-Beobachter bei der Commerzbank, rechnet damit, dass der Einlagezins auf minus 0,6 Prozent gedrückt werde, immerhin verbunden mit einem Staffelzins: Für jede Bank würden also Freibeträge eingeführt, auf die die EZB keinen Strafzins erhebt.

Zusätzlich erwartet der Commerzbanker, dass die Notenbank die Ende vergangenen Jahres eingestellten Käufe von Staatsanleihen der Euroländer wieder aufnimmt und für 40 Milliarden Euro im Monat kauft, für zunächst neun Monate. Bereits bis Ende 2018 hatten die Notenbanker Staatsanleihen für rund 2,6 Billionen Euro gekauft. Die Notenbank werde ein starkes Signal senden wollen, sagt Schubert.

Im Rat selbst ist die weitere Lockerung allerdings so umstritten wie selten zuvor. Gleich sechs der 25 Mitglieder sehen neue Anleihekäufe skeptisch, darunter Bundesbank-Präsident Jens Weidmann und Sabine Lautenschläger, deutsches Mitglied im EZB-Direktorium. Weidmann betont zwar, dass die Geldpolitik derzeit expansiv, also großzügig sein solle. Aber er warnt vor übereilten Beschlüssen. Natürlich sei die konjunkturelle Lage eingetrübt, es gebe aber keinen Grund für „Panik“. Die Prognose-Unsicherheit sei sehr hoch. „Wir sollten weder in Aktionismus noch in Pessimismus verfallen.“ Erstaunlicherweise hat sich auch der französische Notenbank-Chef François Villeroy de Galhau zurückhaltend zu neuen Anleihekäufen geäußert. Er hat den Kurs von Draghi bisher fast uneingeschränkt unterstützt.

Nach Ansicht von Commerzbank-Ökonom Schubert werden weitere Maßnahmen der EZB kaum etwas bringen. An den Handelskonflikten würden sie ebenso wenig etwas ändern wie an der schwächeren Nachfrage aus China. Und dass Konsumenten wegen noch niedrigerer Zinsen zu mehr Käufen angeregt werden und Unternehmen mehr investieren bezweifelt er genauso.

Das sieht auch Deutsche-Bank-Chef Sewing so: „Gesamtwirtschaftlich wird eine weitere Zinssenkung auf dem aktuellen Niveau verpuffen.“ Kein Mittelständler würde auch nur einen Euro investieren, nur weil ein Kredit noch einmal zehn Basispunkte billiger werde.

Die Notenbanker könnten kreativ werden

Auch deshalb soll die EZB bereits prüfen lassen, welche Instrumente sie über Strafzinsen und Anleihekäufe hinaus noch einsetzen könnte. Diskutiert wird in Expertenkreisen zum Beispiel, ob Draghi und Co. nicht auch Aktien kaufen sollten. Einer, der das empfiehlt, ist Larry Fink, Chef der weltgrößten Vermögensverwaltung Blackrock. Durch Aktienkäufe, argumentiert er, könnte Draghi die Wirtschaft in der Eurozone ankurbeln. Für die EZB wäre ein solches Kaufprogramm aber ein Novum. Andere Zentralbanken hingegen setzen schon länger darauf: Sowohl die japanische Notenbank als auch die Schweizerische Nationalbank kaufen seit Jahren gezielt Anteilsscheine von Unternehmen. Die japanische Notenbank zum Beispiel zählt inzwischen bei mehr als der Hälfte der Konzerne im Leitindex Nikkei zu den drei größten Aktionären.

Und auch für die EZB könnte der Kauf von Aktien von Vorteil sein. Denn an Staatsanleihen hält sie bereits so viele, dass sie im Zuge eines neuen Kaufprogramms schnell an die selbstgesetzen Grenzen stoßen könnte: Die EZB hat sich auferlegt, nicht mehr als ein Drittel der ausstehenden Schuldtitel eines Landes zu halten.

Alternativ macht derzeit der Vorschlag vom Helikoptergeld wieder die Runde. Dabei würde die EZB das Geld direkt unter die Bürger bringen, statt die Banken lediglich dazu zu animieren, mehr Kredite auszureichen. Konkret vorgeschlagen hat das zuletzt der Brüsseler Think Tank Bruegel. In ihrem Papier schreiben die Experten, die EZB müsse Lösungen wie diese zumindest sorgfältig prüfen.

Wie Draghi selbst weiter vorgehen wird, erläutert der EZB-Chef am Donnerstag zum vorletzten Mal in seiner achtjährigen Amtszeit in einer Pressekonferenz. Am 24. Oktober tritt er zum letzten Mal auf, bevor Christine Lagarde, bisherige Chefin des Internationalen Währungsfonds (IWF), am 1. November an die Spitze der Notenbank rückt.

Beobachter rechnen allerdings nicht damit, dass sich unter ihr die Geldpolitik in der Eurozone grundlegend ändern wird. Als sie vergangene Woche vor dem Wirtschaftsausschuss des EU- Parlaments Rede und Antwort stand, nannte sie „innovative Maßnahmen“, zu denen die EZB jetzt bereit sein müsse. Der Frage, welche das sein könnten, wich sie jedoch aus.

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