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Joachim Hunold, Gründer und langjähriger Vorstandschef der Fluggesellschaft Air Berlin.

© Air Berlin

Kolumne: Der Schritt zur Bürgerwehr ist nicht mehr weit

Die Geschehnisse im Görlitzer Park zeigen es: Berlins Polizei ist machtlos. Das liegt vor allem daran, dass sie systematisch kaputtgespart wurde, meint unser Kolumnist Joachim Hunold. Das ebnet den Weg für unangenehme Entwicklungen. Dass sich Reiche in ihren besseren Wohnvierteln einmauern ist da noch das geringere Problem.

Man regt sich in Berlin oft und gerne auf. Über schlechte Straßen, ungepflegte Parkanlagen, Ausfälle bei der S-Bahn, über die Dauerbaustelle BER sowie über die vermeintliche oder tatsächliche Verschwendung von Steuergeld ganz allgemein. Und von Fall zu Fall – immer aus aktuellem Anlass – über die zunehmende Kriminalität in der Stadt. Etwa dann, wenn die Zeitungen mal wieder über einen brutalen Überfall in der S-Bahn berichteten. Oder wenn in Nachbars Haus eingebrochen wurde und der erst nach Stunden am Tatort erschienene Polizeibeamte dem Geschädigten gleich von vornherein erklärt, dass sowohl die Ergreifung des Täters als auch eine Wiederbeschaffung des gestohlenes Gutes höchst unwahrscheinlich seien.

In solchen Fällen offenbart sich dann immer, wie es um die Polizei in der Hauptstadt steht – und damit um die Sicherheitslage der Bürger. Berlin hat sich zum Dorado für Einbrecher und Autodiebe und zum Tummelplatz für marodierende Chaoten entwickelt. Vorläufiger Höhepunkt dieser Entwicklung war, dass Dealer im Görlitzer Park ihre Drogen praktisch unter Polizeischutz verkaufen konnten. In jedem Wahlkampf versprechen Politiker eine Verbesserung der Lage. Danach passiert dann genau das Gegenteil.

Die Berliner Polizei ist hoffnungslos überaltert

Berlin hat seine Polizei kaputtgespart. Im alten West-Berlin gab es noch 18.400 Polizisten. Heute liegt die Sollstärke für die gesamte Stadt bei gerade mal 16.000 Beamten. 20 Prozent davon sind regelmäßig krank. Nicht etwa weil sie blau machen, sondern weil sie körperlich am Ende sind. Eine Million angesammelte Überstunden lassen erahnen, warum das so ist. Zudem ist die Berliner Polizei hoffnungslos überaltert. Das Durchschnittsalter der Beamten liegt knapp unter 50 Jahren. In manchen Funkstreifenwagen sind 120 Lebensjahre unterwegs. Schwer vorstellbar ist, dass ein 60 Jahre alter Polizist noch hinter einem flüchtigen Gewalttäter herspurtet. Unwahrscheinlich auch, dass ein jüngerer Beamter für ein Grundgehalt von 2064 Euro brutto Kopf und Kragen riskieren wird.

Sicherheit wird Mangelware

Ausgerechnet die Polizei der Hauptstadt ist die am schlechtesten bezahlte in ganz Deutschland. Das Einkommen der Berliner Beamten liegt sieben Prozent unter dem Bundesdurchschnitt. Entsprechend „hoch“ ist die Zahl der qualifizierten Bewerber. In der Senatsverwaltung überlegt man jetzt sogar ernsthaft, ob ein Anwärter tatsächlich noch gute Deutschkenntnisse haben muss. Man benötigt schon deshalb dringend Nachwuchs, weil demnächst 6000 Beamte in den Ruhestand gehen.

Sicherheit wird für die Berliner zunehmend zur Mangelware. Ständig werden Polizeiabschnitte aufgelöst und Reviere geschlossen. Die Fußstreife auf der Straße ist heute schon eine museumsreife Rarität. Es wird nicht mehr lange dauern, bis sich die Bewohner von besseren Wohnvierteln einmauern und private Sicherheitsdienste engagieren. Der Schritt zur Bürgerwehr ist dann nicht mehr weit.

Diese Kolumne erschien zuerst im Wirtschaftsmagazin "Köpfe" aus dem Tagesspiegel-Verlag, das Sie hier bekommen können: Tagesspiegel Köpfe bestellen

Joachim Hunold

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