zum Hauptinhalt
Ohne „Om“ und Räucherstäbchen. Bei Chade-Meng Tan gibt es auch keine spirituellen Mantren. Der Kursentwickler ist Ingenieur und hat sein Konzept für andere Ingenieure entwickelt.

© Google

Entspannung für Manager: Der für Ruhe sorgt

In Zeiten des Dauerstresses werden meditierende Führungskräfte salonfähig. Wie der Google-Ingenieur Chade-Meng Tan ihre Herzen öffnen und Weltfrieden schaffen will.

Chade-Meng Tan galt sein Leben lang als Computer-Nerd: Mit zwölf Jahren brachte er sich in Taiwan selbst das Programmieren bei, mit 15 gewann er den ersten Talentwettbewerb. Tan studierte Informatik – zunächst in Singapur, dann im kalifornischen Santa Barbara, unweit der damals neuen Internetunternehmen im Silicon Valley. Nach seinem Abschluss im Jahr 2000 schickte er „nur mal so“ eine E-Mail mit seinem Lebenslauf an eines der vielen Start-ups.

Binnen fünf Minuten erhielt der junge Chinese ein Jobangebot. Es kam von Google. Tan ging als Mitarbeiter Nummer 107 zum Suchmaschinenbetreiber und ist wie viele Kollegen der ersten Stunde reich geworden. Doch glücklich wurde er nicht. Denn neben seiner Leidenschaft für Computer schwelte ein noch größerer Wunsch in ihm: „Ich wollte etwas bewegen. Die Welt verändern. Für Frieden sorgen“, sagt Tan. Nach drei Jahren als Programmierer im hektischen Google-Alltag beschloss der Ingenieur, endlich glücklich zu werden.

Heute ist der quirlige Chinese mit dem markanten Lächeln nur noch in Teilzeit für Google tätig, Computercodes programmiert er überhaupt nicht mehr. Stattdessen hält er Vorträge über Meditation. So wie an diesem Tag vor gestressten Geschäftsleuten in Rhinebeck, zwei Autostunden von New York entfernt. „Bei mir gibt es nur gute und bessere Nachrichten“, sagt er mit seinem chinesischen Akzent und liefert den anwesenden Managern, Ärzten und Ingenieuren ein Beispiel. „Die gute Nachricht: Der Geist lässt sich trainieren. Die bessere Nachricht: Schon in sieben Wochen sieht man Erfolge.“ Dann rollt der 41-Jährige den Ärmel seines T-Shirts hoch, grinst und entblößt seinen mageren Bizeps. „Es ist wie beim Gewichtheben. Macht man es oft genug, kriegt man starke Oberarme. Und wer beim Meditieren seine Aufmerksamkeit immer wieder zurück zu seinem Atem bringt, trainiert das Gehirn.“

Es geht darum, durch Meditation die eigene Aufmerksamkeit zu verbessern, Emotionen unter Kontrolle zu haben und auf Kollegen und Kunden besser einzugehen. Dazu hat der Softwareingenieur einen Kurs entwickelt. Der Titel: „Search Inside Yourself“. Das Konzept hat er mittlerweile auch in einem Buch veröffentlicht, das die Bestsellerliste der „New York Times“ gestürmt hat.

Tan hat offenbar einen Nerv getroffen und das Interesse vieler Unternehmen geweckt. Die Mitarbeiter des Rüstungskonzerns BAE Systems folgen zum Beispiel seinem Programm, ebenso wie die von SAP, Linked In und Genentech. Tans Kalender platzt aus allen Nähten.

Der Dalai Lama hat sein Buch gelesen und für gut befunden. Auf dem Umschlag lässt er sich mit einer kurzen Rezension zitieren. Im Weißen Haus und vor Bankern von Goldman Sachs hat Tan schon referiert, und die Händler der New Yorker Börse hat er für ein paar Sekunden zur inneren Ruhe geführt.

Bei Tan gibt es kein „Om“. Keine Räucherkerzen. Keine spirituellen Mantren. Er ist Ingenieur und hat sein Konzept für andere Ingenieure entworfen. Also nutzt er Bilder, die selbst die rationalsten Mathe-Cracks verstehen können. Das fünfte Kapitel seines Buches etwa hat die Überschrift „Zähmen Sie Ihre Emotionen wie ein Pferd“. Kapitel acht: „Wie man etwas bewirkt und trotzdem geliebt wird.“ Alles ist mit wissenschaftlichen Studien unterlegt. Damit hat er es geschafft, Meditation reif für die Konzernwelt zu machen.

Seine Workshops beginnt Tan gern mit einem Foto. Er zeigt das Bild eines roten Schmetterlings auf einer gelben Blume. „Stellt euch vor, der Schmetterling ist euer Geist, eure Gedanken. Und er ruht sich aus auf der Blume – eurer Atmung –, die sich im Wind sanft hin und herwiegt.“ Dann geht es zur Sache. „Schließt eure Augen. Und versucht, euch auf eure Atmung zu konzentrieren.“

Gut 50 Teilnehmer sind zu dem Wochenend-Workshop nach Rhinebeck gekommen. Plötzlich sollen sie das Gedankenkarussell in ihren Köpfen anhalten. Wenn auch nur für zwei Minuten.

Der Mittfünfziger in der zweiten Reihe ist unzufrieden. „Das war ganz schön schwer“, klagt er. Und Tan grinst. Das hat er schon tausendmal gehört.

Auch andere Unternehmen sind auf den Trend aufgesprungen. Der Lebensmittelkonzern General Mills gilt als Musterbeispiel für einen Konzern, der Yoga und Meditation in die Firmenkultur integriert hat. Janice Marturano, eine der führenden Juristinnen des Konzerns, hatte einige Kollegen einst zum Meditieren gebracht. Heute ist daraus eine ständige Einrichtung für alle Mitarbeiter geworden.

Jedes Gebäude auf dem Firmencampus in Minneapolis hat einen Meditationsraum, ausgerüstet mit Sitzkissen und Yogamatten. Für Einsteiger gibt es ein siebenwöchiges Programm, das auf buddhistischer Meditation und Yoga basiert. Das funktioniert in Büroklamotten – nur die Schuhe bleiben draußen. Mehr als 600 Manager haben ihre Kurse bislang belegt, einige davon aus den obersten Führungsebenen. Die Nachfrage ist so groß, dass Marturano das Unternehmen mittlerweile verlassen hat, um ihr eigenes Institut zu gründen. Zu ihren Kunden zählen Procter & Gamble und die US Airforce.

„Viele Führungskräfte stellen fest, dass in der heutigen Welt irgendetwas falsch läuft. Dass sie so viele Dinge gleichzeitig um die Ohren haben und sich deshalb nicht mehr auf eine Sache konzentrieren können. Aber so können sie keine guten Führungskräfte sein“, sagt Marturano, die Anfang des Jahres auch auf dem Weltwirtschaftsforum in Davos gesprochen hat.

Das Geschäft mit dem Geist boomt. „Mindfulness“, am ehesten zu übersetzen mit „Achtsamkeit“, heißt das Stichwort, das für ein Lebensgefühl rund um Meditation, Yoga, Stressmanagement und Empathie steht. Es gibt Tausende Bücher, die sich mit „Mindfulness“ befassen. Im Februar ist das „Mindful Magazine“ gestartet. Apples App-Store bietet die „Mindfulness App“ mit der man via iPhone oder iPad seinen Geist trainieren kann.

Die Befürworter der Achtsamkeitsbewegung sprechen von Vorteilen sowohl für Arbeitnehmer als auch Arbeitgeber. Studien zeigen: Wer regelmäßig meditiert oder Yoga macht, ist glücklicher, produktiver – und weniger krank. Der Chef des drittgrößten amerikanischen Krankenversicherers Aetna, Mark Bertolini, hat das in einer Studie mit seinen 30 000 Mitarbeitern durchrechnen lassen. „Wir haben die Krankheitskosten im vergangenen Jahr um sieben Prozent gedrückt“, sagt Bertolini stolz. Ein Skiunfall hatte den zunächst skeptischen Topmanager selbst zu Yoga und Meditation als Alternative zu Tabletten gegen ständige Schmerzen geführt.

Googles Tan wiederum führt seine Kursteilnehmer von der Vorstellung eines Schmetterlings zu der Vision eines klaren Bergsees. „Wir wollen unseren Geist in einen Zustand bringen, in dem er ruhig und konzentriert ist. Und zwar auf Abruf. In schwierigen Meetings“, erklärt er seinen Zuhörern. Viele nicken zustimmend. Unter Stress cool bleiben – wer will das nicht?

Tan ist überzeugt: „Die Zeit für diese Bewegung ist gekommen. So wie Manager erkannt haben, dass Sport gut für sie ist, erkennen sie jetzt, dass sie auch ihren Geist trainieren müssen.“ Dabei ist es noch gar nicht so lange her, dass alles, was mit Yoga und Meditation zu tun hatte, in der kapitalistischen Welt als „Hippie-Bullshit“ belächelt wurde.

Das hat sich geändert. „Wenn ich meditiere, dann öffnet sich mein Geist, es entspannt und erdet mich.“ Was klingt wie die Worte eines Yoga-Lehrers, kommt in Wahrheit aus dem Mund von Ray Dalio. Der Gründer des weltgrößten Hedgefonds Bridgewater Associations verwaltet 150 Milliarden Dollar an Vermögen – und geht jeden Tag zweimal für 20 Minuten in sich. Bereitwillig gibt der mächtige Investor dem Zentrum für Meditation der Washingtoner George-Mason-Universität ein Interview und verrät: „Meditation war mehr als alles andere in meinem Leben der wichtigste Faktor für jeden Erfolg, den ich hatte.“ Auch Bill Gross, Mitgründer des weltgrößten Anleihe-Investors Pimco, meditiert regelmäßig. Ebenso wie William George, der im Direktorium von Goldman Sachs sitzt.

Bedacht entscheiden. Viele Manager fühlen sich im Dauerstress. Sie müssen lernen, sich zu fokussieren.

© dpa

In Deutschland kommt die Achtsamkeitswelle gerade erst an. Die Uni München untersucht die Auswirkungen gemeinsam mit dem Bergisch Gladbacher Weiterbildungsinstitut Kalapa Leadership Academy in deutschen Firmen. Neun Unternehmen haben sie für das Projekt gewonnen, darunter auch Dax-Konzerne und bekannte Mittelständler.

„Achtsamkeit ist in der deutschen Firmenwelt noch relativ wenig verbreitet“, sagt Christoph Tamdjidi, Leiter der Kalapa-Akademie. „Es hat einen religiösen Beigeschmack und schreckt deshalb viele ab. Tamdjidi gilt als eine der treibenden Kräfte, um deutsche Manager zur inneren Ruhe zu führen.

Meditationsprofi Tan ist der erste und einzige Ingenieur, der in Googles Personalabteilung gewechselt ist. Nebenbei hat er sein eigenes Meditations-Institut gegründet. Seine Mission heißt: Managern helfen, das Gute in sich zu finden. Und endlich lautet auch seine Jobbeschreibung: „Gemüter erleuchten, Herzen öffnen, Weltfrieden schaffen“. Seine Visitenkarte hat Tan entsprechend angepasst. Unter seinem Namen steht dort: „Jolly Good Fellow“ – zu Deutsch etwa: „ein echt feiner Kerl“. HB

Astrid Dörner

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false