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Die Caritas betreibt Krankenhäuser, Kitas und Altenpflegeeinrichtungen und beschäftigt fast 800 000 Mitabeiter.

© dpa/Christophe Gateau

Die Kirchen und der Dritte Weg: Das Privileg wackelt

Das Arbeitsrecht der Kirchen kennt weder Betriebsräte noch Streiks. Die Ampel will das überprüfen.

Die Massenaustritte der Mitglieder weisen den Bischöfen den Weg in die Moderne. Diesen Eindruck kann bekommen, wer sich den Mitte Juni vorgelegten Entwurf der Grundordnung der Katholiken anschaut: Die Mitgliedschaft in der Kirche ist nicht mehr Voraussetzung für ein Arbeitsverhältnis, und die sexuelle Orientierung auch nicht. An einem Punkt treten die Bischöfe auf der Stelle: „Wer sich kirchenfeindlich betätigt oder aus der katholischen Kirche ausgetreten ist, wird nicht angestellt“, heißt es im Entwurf der neuen Grundordnung, die nun diskutiert und vermutlich im November von den Bischöfen verabschiedet wird.

Immer weniger Mitglieder

Auf halben Wegen stehengeblieben, möchte man meinen, denn die 360 000 Christen, die im vergangen Jahr die katholische Kirche verlassen haben, kommen somit nicht in Betracht für eine Auf halben Wegen stehengeblieben, möchte man meinen, denn die 360 000 Christen, die im vergangen Jahr die katholische Kirche verlassen haben, kommen somit nicht in Betracht für eine Einstellung bei der Caritas, dem Wohlfahrtsverband der Katholiken, der für Krankenhäuser, Pflegeeinrichtungen und Kitas Arbeitskräfte sucht.

Caritas sucht Arbeitskräfte

„Wenn jemand nach dem Kirchenaustritt nicht mehr eingestellt werden darf, verschärft das für uns den Fachkräftemangel“, sagt Norbert Altmann, Sprecher der Arbeitgeber in der arbeitsrechtlichen Kommission der Caritas. „Ob sich jemand kirchenfeindlich verhält, muss im Einzelfall geprüft werden“, sagte Altmann dem Tagesspiegel und bewertete die Vorlage der Bischöfe insgesamt wohlwollend. „Positiv ist ganz klar: In welcher Beziehung jemand lebt, das hat uns künftig nicht mehr zu interessieren.“

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Die Grundordnung ist die kirchliche Arbeitsverfassung für etwa 790 000 Arbeitnehmer der Caritas und für weitere rund 250 000 Personen, die in der katholischen Kirche direkt beschäftigt sind. „Von allen Mitarbeitenden wird die Identifikation mit den Zielen und Werten der katholischen Kirche erwartet“, heißt es im Entwurf der neuen Ordnung, die eine Fassung aus dem Jahr 2015 ersetzen soll. Nur Beschäftigte mit pastoralen Tätigkeiten und Führungskräfte, „die das katholische Profil der Einrichtung inhaltlich prägen, mitverantworten und nach außen repräsentieren (…) sollen katholisch sein“.

Homosexuelle dürfen künftig für die Kirche arbeiten

Die Mitgliedschaft in der Kirche ist also künftig nur noch für wenige Bereiche Voraussetzung für eine Beschäftigung. Alles andere würde über kurz oder lang auch beim Bundesverfassungsgericht gelandet. Eine Initiative unter dem Motto #OutInChurch, mit dem queere Beschäftigte Anfang des Jahres gegen ihre Diskriminierung protestierten, wird künftig nicht mehr nötig sein. Dafür gibt es zwei Gründe. Die katholische Kirche muss sich öffnen, um im Wettbewerb um Arbeitskräfte bestehen zu können. Und zudem soll die Liberalisierung des individuellen Arbeitsrechts die Gefahr einer Änderung des kollektiven Arbeitsrechts reduzieren. Das sei „eindeutig“ ein Ziel der neuen Grundordnung, sagt Arbeitgebervertreter Altmann und begrüßt „das klare Bekenntnis zum Dritten Weg für katholische Einrichtungen“. Gemeint ist das Arbeitsrecht der Kirchen, in dem weder Betriebsräte noch Gewerkschaften und schon gar nicht Streiks vorkommen.

Frank Bsirske ist inzwischen arbeits- und sozialpolitischer Sprecher der Grünen im Bundestag.

© picture alliance / Sophia Kembow

Im Koalitionsvertrag der Ampel-Regierung heißt es, man wolle „gemeinsam mit den Kirchen prüfen, inwiefern das kirchliche Arbeitsrecht dem staatlichen Arbeitsrecht angeglichen werden“ könne. „Verkündigungsnahe Tätigkeiten“, sollen davon ausgenommen bleiben. Verkündigungsnah sind die Beschäftigtengruppen, die mit der Bibel arbeiten, vor allem Priester und Gemeindereferenten. Der ganz überwiegende Teil der Beschäftigten ist nicht mit Verkündigung beschäftigt, sondern mit Erziehung und Versorgung von Kindern, Kranken und Alten. Warum sollte für diese Beschäftigten nicht das Betriebsverfassungsgesetz gelten und warum sollten diese Arbeitnehmer nicht streiken dürfen?

Auf dem Dritten Weg werden die Löhne in paritätisch besetzten Kommissionen ohne Beteiligung der Gewerkschaften ausgehandelt, Streiks sind ausgeschlossen. Kirchen und Wohlfahrtsverbände berufen sich dabei auf das im Grundgesetz verankerte Selbstbestimmungsrecht der Kirchen. Und das Betriebsverfassungsgesetz, das seit 1952 die betriebliche Mitbestimmung regelt, gilt auch nicht für die Kirchen.

Die Kirchen intervenierten bei Adenauer

Im Sommer 1951 wandten sich erst der Rat der Evangelischen Kirche und wenig später der Vorsitzende der katholischen Bischofskonferenz an den katholischen Bundeskanzler Konrad Adenauer (CDU). Das neue Betriebsverfassungsgesetz möge doch bitte keine Anwendung finden „auf (...) Arbeitnehmer der Religionsgesellschaften und ihrer Einrichtungen, die kirchlichen, gemeinnützigen oder mildtätigen Zwecken dienen“. Als Begründung führten die Kirchen den Artikel 140 Grundgesetz an, der den Artikel 137 Absatz 3 der Weimarer Verfassung aus dem Jahr 1919 übernommen hatte und den Religionsgemeinschaften weitgehende Autonomie zugesteht. So kam es dann auch, Adenauer folgte der Bitte der Bischöfe. Die Kirchen haben auf der Grundlage der Weimarer Verfassung ein spezielles Arbeitsrecht. Das ärgert Gewerkschaften.

Das Arbeitsministerium soll einen Vorschlag machen

Der Marburger Bund, der unter anderem rund 45 000 Ärzte in katholischen Krankenhäusern vertritt, möchte den Dritten Weg ebenso abschaffen wie die Dienstleistungsgewerkschaft Verdi. „Tarife werden zwischen Arbeitgebern und Gewerkschaften ausgehandelt, nicht in pseudoparitätischen Kommissionen ohne Verhandlungsmacht auf der Arbeitnehmerseite“, heißt es bei der Ärztegewerkschaft. Frank Bsirske, von 2001 bis 2019 Vorsitzender von Verdi und seit Herbst letzten Jahres für die Grünen im Bundestag, will „auf die Umsetzung des Koalitionsvertrages drängen“. Bsirske, inzwischen Sprecher für Arbeit und Soziales der Grünen, erwartet Vorschläge von Arbeitsminister Hubertus Heil (SPD) im nächsten Jahr.

„Unsere Arbeitsbedingungen sind gut, die Caritas zahlt besser als viele vergleichbare Arbeitgeber“, sagt Caritas-Arbeitgeber Altmann. Also gebe es keinen Grund, den Dritten Weg zu verlassen. Aber die Zeiten ändern sich. Olaf Scholz ist der erste konfessionslose Bundeskanzler. Die Bindungskraft der Kirchen schrumpft: nur noch knapp die Hälfte der Bundesbürger ist katholisch oder protestantisch.

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