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Rund 20 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer müssen jeden Tag zum Arbeitsplatz fahren.

© picture alliance/dpa

Sozialverträgliche Mobilität: Damit der Arbeitsweg bezahlbar bleibt

Ein Bündnis aus Umweltschützern, Verbänden und Gewerkschaften möchte die Mobilitätswende mit Rücksicht auf die sozial Schwachen gestalten.

Noch liegen nicht alle Wahlprogramme der Parteien vor, doch Verbände und Interessengruppen positionieren sich bereits mit Blick auf die nächste Legislaturperiode. Eine Grundannahme ist dabei allgegenwärtig: Die Grünen werden eine prägende Rolle spielen in der kommenden Bundesregierung. Und das bedeutet schärfere Maßnahmen gegen den Klimawandel, konkret die Verteuerung fossiler Energieträger. Damit steigende Preise für Benzin, Gas und Öl aber nicht überproportional die unteren Einkommensschichten belasten, haben sich Umweltschützer, Gewerkschaften, Sozialverbände und die evangelische Kirche zu einem „Bündnis sozialverträgliche Mobilitätswende“ zusammengefunden.

Höhere Schulden für den ÖPNV

Alle wollen das Klima schützen, aber auch den Verbraucher vor hohen Belastungen bewahren. Wenn das überhaupt funktionieren kann, dann mithilfe des Kapitalmarktes: Das DGB- Vorstandsmitglied Stefan Körzell beispielsweise möchte den Ausbau des Öffentlichen Personennahverkehrs (ÖPNV) mit Krediten finanzieren.

Der Verkehr, und das ist vor allem der Individual- und der Schwerlastverkehr auf der Straße, verursacht jedes Jahr allein in Deutschland 160 Millionen Tonnen CO2, sagte der Nabu-Präsident Jörg- Andreas Krüger am Donnerstag bei der Vorstellung des „illustren Bündnisses“ (Krüger). Das muss deutlich weniger werden, wie auch die Gewerkschaften einräumen, deren traditionell kampfstärksten Truppenteile in den Belegschaften der Autoindustrie zu finden sind.

20 Millionen fahren täglich zur Arbeit

Deutlich weniger Wege sollen mit dem privaten Pkw zurückgelegt werden, heißt es in dem Bündnispapier. Aber bedeutet das auch weniger Autos? Das sei nicht einfach zu beantworten, meinte Nabu-Chef Krüger. Schließlich legen rund 20 Millionen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer jeden Tag einen längeren Arbeitsweg zurück. In größeren Städten mag das gut mit Bus und Bahn funktionieren, aber auf dem Land?

Das Auto ist ganz wichtig in Deutschland“, sagte Verena Bentele, Präsidentin des Sozialverbandes VdK, und bekannte sich zu der grundsätzlichen Methodik, jeden zahlen zu lassen, der das Klima belastet. Tanken darf oder muss also teurer werden, um den Autoverkehr zu reduzieren, doch Innenstadtverbote für alte, schmutzige Autos lehnt Bentele ab. Solche Maßnahmen belasteten Menschen mit geringen Einkommen, die sich nicht alle paar Jahre einen neuen Pkw kaufen könnten, aber auf das Auto angewiesen seien. Diese Gruppe sei im Übrigen nicht klimaschädlicher unterwegs als die sich umweltbewusst gebende obere Mittelschicht, die sich gern mit dem Flugzeug auf Fernreise begebe, meinte Bentele.

Mobilitätsgeld statt Pendlerpauschale

Verteilungskonflikte hören beim Klimaschutz nicht auf. Im Gegenteil. DGB-Vorstand Körzell möchte gerne die Pendlerpauschale, von der nur die Arbeitnehmerinnen profitieren, die auch Steuern zahlen, durch ein Mobilitätsgeld ersetzen, das dann eben auch denen mit geringem Einkommen zugute kommt. Das wird den sehr gut verdienenden Facharbeitern in der Industrie vermutlich nicht gefallen.

„Keine Mobilitätswende zulasten der Schwächeren“, dieses Ziel verbindet die Bündnispartner, wie Ruth Gütter von der evangelischen Kirche sagte, die den Kreis der Schutzbedürftigen bis in den Kongo zog, wo teilweise Kinder unter schäbigsten Bedingungen Kobalt fördern für die Batterien der modernen E-Autos. „Wir wollen nicht auf Kosten der Schöpfung und nicht auf Kosten anderer Menschen leben“, sagte Gütter. Das klingt nach Sonntagsgottesdienst mit geringem Realitätsbezug, und Gütter ergänzte die Aussage mit dem Wunsch nach einem „Kulturwandel“: Raus aus dem Hamsterrad und dem Stress im Verkehr; Entschleunigung statt Steigerung des Bruttosozialprodukts zulasten der Gesundheit, des Klimas und guter Arbeitsplätze.

Sorge um die Arbeitsplätze in der Autoindustrie

„Wer die Mobilitätswende sozial gestalten will, muss auch die Interessen vieler Hunderttausend Menschen in der Automobil- und Zulieferindustrie im Wandel berücksichtigen“, sagte der IG Metall-Vorsitzende Jörg Hofmann. Nur mit einer guten Vermittlung zwischen ökologischer und sozialer Perspektive „ kann dieses gesellschaftliche Mega-Projekt gelingen“. Dazu bedürfe es staatlicher Flankierung mit industrie- und regionalpolitischen Instrumenten und einer breit angelegten Qualifizierungspolitik.

"ÖPNV ist das Rückgrat der Wende"

Am ehesten auf einen gemeinsamen Nenner bringen lassen sich die unterschiedlichen Sichtweisen der Bündnispartner beim ÖPNV, der attraktiv und barrierefrei sein müsse. Auch auf dem flachen Land, das inzwischen häufig vom öffentlichen Verkehr abgekoppelt ist. „Der ÖPNV ist das Rückgrat einer Mobilitätswende für alle“, meinte DGB-Vorstand Körzell. Der Investitionsbedarf ist enorm. Bis 2030 würden 100 000 neue Beschäftigte für Busse und Bahnen benötigt, rechnete Christine Behle, stellvertretende Vorsitzende von Verdi, vor. „Zugleich schrecken die Arbeitsbedingungen viele Bewerber*innen ab.“ Mit dem Ausbau des ÖPNV und Investitionen ins Personal könne die Mobilitätswende ins Rollen gebracht werden, „sodass die Umwelt, die Beschäftigten und die Nutzer*innen profitieren“.

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