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Coronakrise trifft die Armen besonders hart: Verteilung von Hilfsgütern in Guatemala

© dpa/AP/Moises Castillo

Bericht der Hilfsorganisation Oxfam: Coronakrise verschärft weltweit soziale Ungleichheit

In der Pandemie wird fast überall die Kluft zwischen Arm und Reich deutlich – und zwischen Hautfarben. Oxfam fordert einen radikalen Systemwechsel.

Die Coronakrise ist vorbei – für die Reichsten unter uns. Zu diesem Schluss kommt jedenfalls die Nicht-Regierungs-Organisation Oxfam in ihrem jährlich erscheinenden Ungleichheitsbericht. In diesem Jahr trägt er den Titel „Das Ungleichheits-Virus“. Dort prangern die Aktivisten an, dass die wenigen Milliardäre ihr Vermögen in der Krise sogar noch ausbauen konnten, während die vielen Armen auf dem Planeten wohl noch über Jahre an den Folgen der Pandemie zu leiden haben.

Die Ungleichheit wächst; mit diesem Satz oder Abwandlungen seiner konfrontiert Oxfam die Weltöffentlichkeit regelmäßig im Vorfeld des Weltwirtschaftsforum im schweizerischen Davos, wo sich einmal im Jahr die reichsten und mächtigsten Menschen der Welt treffen, um über die Probleme des Planeten zu diskutieren. In diesem Jahr findet der Gipfel nur virtuell statt; am heutigen Montag startet er.

Der Ungleichheitsbericht von Oxfam erscheint dennoch wie gewohnt. Doch während ihn ebenso ritualisiert Jahr für Jahr die Kritik verfolgt, wissenschaftlichen Standards nicht zu genügen, zeigt er in diesem Jahr Probleme auf, die nur schwer von der Hand zu weisen sind – und fordert radikale Maßnahmen.

Die Kernaussage des diesjährigen Berichts macht Oxfam an konkreten Zahlen fest. „Während die 1000 reichsten Menschen ihre Verluste in der Coronakrise in nur neun Monaten wettmachten, könnte es mehr als ein Jahrzehnt dauern, bis sich die Ärmsten von den wirtschaftlichen Folgen der Pandemie erholt haben“, lautet die These von Oxfam.

1,12 Billionen Dollar mehr für die Reichsten

Demnach soll das Vermögen der zehn reichsten Männer der Welt seit Februar 2019 um fast eine halbe Billion US-Dollar auf 1,12 Billionen US-Dollar angestiegen sein. Mit diesem Betrag könnte Oxfam zufolge die gesamte Weltbevölkerung gegen Covid-19 geimpft werden. Erstmalig drohe in fast allen Ländern gleichzeitig eine Verschärfung der Ungleichheit.

Oxfam macht diesen Begriff aber nicht nur am Wohlstand fest, sondern beleuchtet auch die Unterschiede zwischen Geschlechtern und Hautfarben. So sei in Brasilien die Gefahr, an Corona zu sterben, für Menschen mit nicht weißer Hautfarbe 40 Prozent höher als für weiße Menschen. In den USA würden laut Oxfam fast 22.000 schwarze Menschen und Menschen mit lateinamerikanischer Migrationsgeschichte noch leben, wäre die Gefahr an Covid-19 zu sterben für sie genauso groß wie für weiße Menschen.

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Frauen seien besonders von den Folgen von Corona betroffen, weil in den Sektoren, in denen durch die Pandemie besonders große Einkommens- und Arbeitsplatzverluste drohen, 49 Prozent der berufstätigen Frauen beschäftigt seien, aber nur 40 Prozent der Männer, so Oxfam. Für den Bericht hat die NGO 295 Ökonomen aus 79 Ländern befragen lassen.

"Symptome bekämpfen reicht nicht"

„Die tiefe Kluft zwischen Arm und Reich erweist sich als ebenso tödlich wie das Virus“, sagt Tobias Hauschild, Leiter des Teams „Soziale Gerechtigkeit“ von Oxfam Deutschland. „Konzerne und Superreiche müssen jetzt ihren fairen Beitrag leisten, um die Krise zu bewältigen.“ Doch das allein reiche nicht aus, fügt er an.

Und tatsächlich geht es Oxfam um nichts weniger als einen radikalen Systemwechsel. „Märkte und Politik sind weltweit so gestaltet, dass kurzfristige Gewinninteressen zu oft über das Gemeinwohl triumphieren“, so Hauschild. Diese zerstörerische Logik müsse umgedreht werden, fordert er, meint jedoch, dass „mächtige Wirtschaftsinteressen“ bislang den Wandel verhindern. „Deshalb reicht es nicht, Symptome zu bekämpfen“, lautet seine Schlussfolgerung. „Wir müssen die Ursachen sozialer Ungleichheit an der Wurzel packen und unsere Wirtschaft solidarisch und ökologisch gerecht umgestalten.“

Neues Kartellrecht, Haftung für Vorstände

In dem Bericht fordert Oxfam dann auch, „Profitmaximierung zum alleinigen Wohl“ der Kapitalgeber oder Eigentümer nicht mehr zu erlauben. Stattdessen müssten die Interessen aller Betroffenen in Entscheidungsprozessen berücksichtigt werden. Um zu kontrollieren, dass die Gewinnausschüttung an Eigentümer auch wirklich begrenzt wird und Investitionen in eine sozial und ökologische Transformation auch wirklich getätigt werden, sollen Aufsichtsräte und Vorstände dafür haften. Zudem soll das Kartellrecht nach Oxfams Vorstellungen nicht mehr länger das Wohl der Konsumenten, sondern das Gemeinwohl im Blick haben.

Profiteur der Krise: Amazon-Chef Jeff Bezos.

© REUTERS/Clodagh Kilcoyne

Auch eine einmalige Steuer auf die Gewinne der Konzerne, die in der Coronakrise am meisten dazugewonnen haben, bringt Oxfam ins Gespräch und erhofft sich davon 104 Milliarden US-Dollar zur Bekämpfung der Krise. Mit diesen Forderungen ist Oxfam auf Linie mit Teilen der Klimabewegung, die der Ansicht sind, die ökologischen und sozialen Probleme der Welt nur mit einem anderen Wirtschaftssystem ändern zu können.

Seit Jahren Kritik am Ungleichheits-Bericht

Der Ungleichheitsbericht ist jedoch umstritten. „Oxfams jährliche, plakative Ungleichheits-Statistiken zeichnen regelmäßig ein falsches Bild“, sagt etwa Sam Dumitriu, Direktor des neoliberalen Ten-ThinkTanks in London. „In Wirklichkeit ist die globale Ungleichheit in den vergangenen Jahrzehnten massiv zurückgegangen.“

Zudem wird seit Jahren beanstandet, dass Bildung als Kapital zu wenig Berücksichtigung fände. Menschen mit Studienkrediten gelten bei Oxfam demnach häufig als arm, auch wenn sie an Ivy-League-Universitäten studierten und große Karrierechancen hatten. Als Beleg für die mangelnde Aussagekraft führten Kritiker Statistiken etwa der Weltbank an, die besagten, dass die Armut weltweit zurückgeht und mehr Menschen der Weg in ein selbstbestimmtes Wirtschaftsleben ermöglicht werde.

Die Coronakrise ändert nun aber auch die Perspektive. Denn tatsächlich wurden in den vergangenen Monaten zahlreiche Studien veröffentlicht, die besagen, dass sich die Kluft zwischen arm und reich durch die Folgen von Corona tatsächlich öffnet. So rechnet auch die von den Kritikern angeführte Weltbank damit, dass die Krise 60 Millionen Menschen in „absolute Armut“ stürzen werde, wie ihr Präsident David Malpass sagte.

Während die meisten Industrienationen in der zweiten Hälfte dieses Jahres wieder mit Wachstum rechnen, hält die Weltbank es für wahrscheinlich, dass in vielen ärmeren Ländern auf die Rezession eine Phase von Stagnation folgen wird. Auf fünf Jahre betrachtet könnten die Folgen der Krise ein Schwellenland demnach acht Prozent Wachstum kosten.

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