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Bosch, größter Autozulieferer der Welt, hat in Dresden eine Chipfabrik gebaut.

© picture alliance/dpa

Schwächeres Wachstum: Chips aus der Waschmaschine

Die Wachstumsprognose wird wegen Corona und Materialmangel korrigiert. Ende 2021 schrumpfte die Wirtschaft um 0,7 Prozent

Not macht erfinderisch. Ein Maschinenhersteller in Baden-Württemberg kaufte sich ein paar hundert Waschmaschinen, zerlegte sie und baute die dabei gewonnen Chips in seine Werkzeugmaschinen ein. Peter-Michael Dick, Chef des Arbeitgeberverbandes Südwestmetall, erzählte diese Geschichte am Freitag, um die Situation im Kernland der deutschen Industrie zu schildern. Wenn die Unternehmen überhaupt Halbleiter bekommen, müssten sie bis zu 1000 Prozent höhere Preise zahlen. „Im Vergleich zu Herbst hat sich die Situation nochmal verschärft“, sagte Dick.

Vor Weihnachten schwächelte der Konsum

Dabei war der Herbst auch nicht gut. Das Statistische Bundesamt teilte am Freitag eine ziemliche Wachstumsdelle mit: Gegenüber dem dritten Quartal schrumpfte die Wirtschaftsleistung zwischen Oktober und Dezember um 0,7 Prozent. Nachdem es Sommer aufwärts gegangen war, „wurde die Erholung der Wirtschaft durch die vierte Corona- Welle und erneute Verschärfungen der Corona-Schutzmaßnahmen zum Jahresende gestoppt“, schreiben die Statistiker. Besonders bemerkenswert: Im „Weihnachtsquartal“ fiel der private Konsum und drückte die Wachstumsrate nach unten. Aber auch die Bauinvestitionen gingen zurück, was mit Lieferengpässe und gestiegenen Materialpreisen zusammenhängen dürfte. Für 2021 insgesamt haben die Statistiker nun eine Wachstumsrate von 2,8 Prozent ermittelt.

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Vier Prozent Wachstum unwahrscheinlich

In diesem Jahr sollten das deutlich mehr werden. Eigentlich. Im November letzten Jahres stellte der Sachverständigenrat seine Prognose für 2022 vor: 4,6 Prozent. Das glaubt inzwischen kein Ökonom mehr. Und die Politik auch nicht. Die Bundesregierung kalkuliert mit einem Plus von 3,6 Prozent. Das zumeist optimistische Institut IMK teilte am Freitag mit, nach dem schlechten vierten Quartal 2021 habe sich die Ausgangslage für 2022 verschlechtert. „Derzeit rechnen wir noch mit 4,5 Prozent“, teilte IMK-Chef Sebastian Dullien mit. Doch „rein rechnerisch würden die neuen Zahlen eine Abwärtsrevision von etwa einem halben Prozentpunkt bedeuten“. Dann wäre es immerhin noch vier Prozent.

200 Milliarden gespart

Im Frühling sollte es aufwärts gehen. „Sobald die Covid-Welle abflacht, dürften die Menschen wieder mehr für den Konsum ausgeben“, meint das gewerkschaftliche IMK. Zwar schmälerten die hohen Energiepreise die Kaufkraft, „aber die Deutschen haben dafür in der Corona-Zeit rund 200 Milliarden Euro zusätzlich gespart, von denen einiges in den Konsum fließen dürfte“. Außerdem habe die Industrie ja volle Auftragsbücher, die jedoch wegen der Lieferprobleme bei Vorproduktion nicht abgearbeitet werden könnten. „Dies dürfte sich im Jahresverlauf allmählich bessern, sodass die Industrie dann durchstarten dürfte.“

In Baden-Württemberg, dem Mutterland des Maschinenbaus und der Fahrzeugbranche, ist die Industrie skeptischer. Frühestens Ende des Jahres, womöglich aber erst 2023 dürfte die Knappheit von elektronischen Bauteilen überwunden sein, heißt es bei Südwestmetall.

Lockeres Kartellrecht gefordert

Der Verband wünscht sich von der Politik Änderungen am Kartellrecht, damit kleinere Unternehmen Einkaufsgemeinschaften bilden dürfen. Das sollte deren Erfolgsaussichten auf dem weltweiten Halbleitermarkt erhöhen. Mittel- und langfristig müssten Chipfabriken in Europa entstehen. Dazu will die EU-Komission im Februar einen European Chips Act vorstellen, der rund 150 Milliarden Euro für Fabriken in der EU mobilisieren könnte. Für eine Fabrik werden mindestens zehn Milliarden Euro benötigt.

EU plant Chipfabriken

Der US-Konzern Intel hat bereits Interessen bekundet. Auch der taiwanesische Konzern TSMC möchte nach Angaben von Südwestmetall in Europa eine Fertigung aufbauen. Digitalisierung und Elektromobilität forcieren die Nachfrage nach elektronischen Bauteilen enorm. „Das ist die schlimmste Situation, die wir jemals hatten“, hieß es am Freitag bei Südwestmetall zum aktuellen Chipmarkt.

Die wird sich noch verschärften, sofern Omikron in China zu neuen Lockdowns führt. Neun Prozent der Vorleistungsgüter der deutschen Industrie kommen aus China, schreibt das Beratungsinstitut Prognos in einer Studie. Noch erwartet Prognos hierzulande eine Wachstumsrate von vier Prozent. Doch falls Omikron die Chinesen ähnlich trifft wie andere Ländern, könnte das „die Zuwachsrate auf nur 2,1 Prozent halbieren“. In absoluten Werten würde die deutsche Wirtschaftsleistung dann in diesem Jahr um 61 Milliarden Euro geringer ausfallen als bislang erwartet.

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