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Fast alles richtig gemacht. Bundesforschungsministerin Anja Karliczek sieht sich vom Bundesrechnungshof bestätigt.

© dpa

Bundesrechnungshof kritisiert Ministerin Karliczek: Vergabe der Batteriezellenfabrik nicht einwandfrei

Die Forschungsfabrik in Münster regt immer noch die Gemüter auf. Vor allem in der Opposition und im Süden Deutschlands.

Ist die Bundesministerin für Bildung und Forschung noch „handlungsfähig“? Diese Frage stellte die Grünen-Abgeordnete Anna Christmann nach Lektüre des Prüfberichts des Bundesrechnungshofs über die Vergabeentscheidung der Forschungsfabrik Batteriezellenfertigung (FFB) im Juni 2019. Ein „vernichtendes Urteil“ habe der Rechnungshof gesprochen, meinte die Grünen-Politikerin am Mittwoch. Anja Karliczek dagegen sieht sich bestätigt in der Entscheidung, in Münster die neue Institution anzusiedeln. Das Konzept der westfälischen Stadt sei „das exzellenteste unter mehreren sehr guten Vorschlägen“ gewesen. Der Prüfbericht belege, „dass ich mich aus dem Verfahren zurückgezogen habe, nachdem deutlich wurde, dass sich eine Bewerbung auf den Standort Münster bezog und damit in die Nähe meines Wahlkreises fiel“. Sie selbst habe sich nichts vorzuwerfen.

700 Millionen Euro für die neue Anlage

Die FFB ist aus forschungs- und industriepolitischer Perspektive eines der herausragendsten Projekte der aktuellen Bundesregierung. Das BMBF stellt dafür 500 Millionen Euro bereit, weitere 200 Millionen Euro zahlt NRW. Von der FFB, die von der Fraunhofer Gesellschaft aufgebaut und betrieben wird, verspricht sich die Politik einen Schub für die Entwicklung und Produktion von Batteriezellen in Deutschland. Bislang gibt es hierzulande keine Zellenhersteller für die Batterien von Elektroautos. Das soll sich in den kommenden Jahren auch mit Hilfe der FFB ändern. Neben Münster hatten sich noch eine Handvoll weitere Städte beworben, als Favorit galt Ulm/Karlsruhe, gefolgt von Salzgitter/Braunschweig. Die Entscheidung für Münster kam dann überraschend - und veranlasste die Ministerpräsidenten von Bayern, Baden-Württemberg und Niedersachsen, sich bei Bundeskanzlerin Angela Merkel über die Bundesforschungsministerin respektive die Standortwahl des BMBF zu beschweren.

Stuttgarter Ministerin ist immer noch sauer

Die Stuttgarter Wirtschaftsministerin Nicole Hoffmeister-Kraut sah sich am Mittwoch in ihrer „Einschätzung bestätigt, dass die Vergabe der Forschungsfabrik nach Münster nicht nur industriepolitisch fragwürdig ist, sondern auch das Vergabeverfahren fehlerhaft war“. Nach ihrer „festen Überzeugung hätten die vorhandenen Kompetenzen am Standort Baden-Württemberg eine andere Entscheidung erfordert“, sagte Hoffmeister-Kraut dem Tagesspiegel. Soll heißen: Eigentlich war Ulm nicht zu schlagen. Tatsächlich hatte die baden-württembergische Bewerbung eine starke industrielle Komponente inklusive Abnehmer von Zellen, die in der Forschungsfabrik produziert werden. Im Münster dagegen gibt es kaum Industrie, was von den Industrievertretern in der Gründungskommission kritisiert worden war. Die Kommission mit beratendem Charakter war vom BMBF einberufen worden und hatte sich nach Informationen des Tagesspiegels mehrheitlich für Ulm ausgesprochen.  

Befangenheit der Fraunhofer Gesellschaft

In seinem Bericht kritisiert der Bundesrechnungshof nun die Befangenheit der Fraunhofer Gesellschaft, die als Betreiber der FFB im Vergabeprozess beteiligt war, und ebenso Interessenkonflikte in der Gründungskommission, in der ein halbes Dutzend Industrievertreter eine Standortempfehlung abgeben sollten. Ferner, so fährt der Bericht fort, sei das Bewerberland NRW begünstigt worden, indem es „wesentliche Informationen“ zum Grundstück und Gebäude frühzeitig vom BMBF bekommen haben. Schließlich „wurden die Wertungen der Kriterien im Laufe des Verfahrens mehrfach geändert“, heißt es in dem Bericht weiter. „Dies führte jeweils zu veränderten Rangfolgen, wobei der Standort Münster im zeitlichen Verlauf jeweils um einen Platz nach vorne rückte.“ Die Gründe dafür seien „nicht oder kaum nachvollziehbar“.

An dieser Stelle setzt die Grüne-Bundestagsabgeordnete Christmann an. Der Bericht belege, „dass im Zeitverlauf gleich drei Bewertungen inklusive Rangfolge vorlagen“. Es sei „hochnotpeinlich, wie das Ministerium selbst gegenüber dem Rechnungshof versucht, die offenkundig vorhandenen Rangfolgen durch Sprachakrobatik weg zu argumentieren“, heißt es in einer Stellungnahme von Christmann.

Der Rechnungshof ist nicht überzeugt 

Nach Einschätzung des Bundesrechnungshofes „fehlt eine unabhängige Auswertung und Bewertung aller Bewerbungen anhand der in den Bewerbungsunterlagen festgelegten Kriterien“. Auch sei „nicht überzeugend“, wie sich das BMBF zum Kriterium der „Anschlussfähigkeit an die IPCEI-Maßnahmen des BMWi“ geäußert habe. Das Bundeswirtschaftsministerium (BMWi) fördert mit rund drei Milliarden Euro Batteriezellenprojekte als Important Projects of Common European Interest (IPCEI). Die Projekte sind bislang vorrangig im Süden ansässig, beispielsweise bekommt der schwäbische Zellenhersteller Varta 300 Millionen Euro vom Bund und den Bundesländern Bayern und Baden-Württemberg. Im Raum Münster dagegen gibt es keine IPCEI-Projekte. „Auch wenn sachlich bedeutsame Gründe für die Entscheidung für den Standort in Nordrhein-Westfalen vorlagen, entstand an vielen Stellen des Verfahrens zumindest der Anschein, dass es eine Fokussierung auf diesen Standort gegeben hat“, schreibt der Bundesrechnungshof. Und schließlich: „Das BMBF konnte die wesentlichen Beanstandungen nicht entkräften.“

Anfang 2023 die ersten Zellen 

Anja Karliczek sieht das anders. Mit dem Bericht sei das Thema nun abgehakt, bei künftigen Großprojekten werde man die Empfehlungen der Gutachter beherzigen, kündigte die Ministerin an und schaute in die Zukunft. „Die Forschungsfabrik Batteriezelle wird ein großer Gewinn für das Innovationsland Deutschland sein und ihren Beitrag dazu leisten, dass Deutschland und Europa in der Batterieforschung in eine weltweite Spitzenposition kommen", sagte Karliczek. Indes kommen die Planungen in Münster nur langsam voran. Die öffentlichen Ausschreibungen für die verschiedenen FFB-Teile stehen erst in den nächsten Monaten an. Trotzdem sehen sich die zuständigen Wissenschaftler der Fraunhofer Gesellschaft im Zeitplan. Ende 2022 soll die Anlage fertig sein und dann Anfang 2023 die ersten Zellen produzieren.

Grob gesagt besteht die FFB aus zwei Teilen: Eine große Produktionsanlage und eine kleinere Straße für die Herstellung von Mustern. Das Prinzip:  Zellenhersteller können mit ihrer Rezeptur zur FFB kommen und da die Produktion ausprobieren, bevor es in die großindustrielle Fertigung geht.  

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