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"Da kommt noch viel Arbeit auf uns zu", sagt Kanzlerin Merkel.

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Arbeitgebertag in Berlin: Bis Flüchtlinge am Arbeitsmarkt integriert sind, dauert es

Politik und Firmen wollen Flüchtlinge schnell in den Arbeitsmarkt integrieren. Nur wie? Die Arbeitgeber fordern Ausnahmen beim Mindestlohn - Gewerkschafter halten dagegen.

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Das Volumen des Applaus stand im merkwürdigen Kontrast zur Kritik der Verbandsoberen. Ingo Kramer (Bundesvereinigung der Arbeitgeberverbände), Ulrich Grillo (Bundesverband der Industrie) und Eric Schweitzer (Industrie- und Handelskammertag) gaben der von Angela Merkel geführten Bundesregierung am Dienstag schlechte Noten. Bestenfalls ein ausreichend. Als dann aber am Nachmittag die Bundeskanzlerin einzog ins Neuköllner Estrel-Hotel, gewissermaßen der Höhepunkt des diesjährigen Arbeitgebertags, gab es reichlich Beifall. Und an der Freundlichkeit gegenüber dem Ehrengast sollte sich auch durch ihre Ansprache nichts ändern. Im Gegenteil: Die Aussage der Kanzlerin, sie verstehe sich „als Wächterin des Koalitionsvertrages“, freute die Arbeitgeber sehr.

Merkel äußerte sich zu dem Gesetzentwurf der Bundesarbeitsministerin zur Regulierung von Werkverträgen und Leiharbeit, der nach Einschätzung der Wirtschaft ihre Flexibilitätsspielräume verengt. Und so weit, das versprach Merkel, werde sie es nicht kommen lassen.

"Da kommt noch viel auf uns zu", sagt Merkel

Die erste Hälfte ihrer Ausführungen widmete die Bundeskanzlerin aber der Außenpolitik und der Flüchtlingsproblematik. „Da kommt noch viel auf uns zu“, meinte Merkel, und bedankte sich bei der Wirtschaft für das teilweise „unglaubliche“ Engagement. Zu Beginn der Veranstaltung hatte Frank-Jürgen Weise, Chef der Bundesagentur für Arbeit und des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge zum Thema gesprochen: „Der Schlüssel zur Integration ist Arbeit.“ Klingt gut, und ist so schwer umzusetzen.

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Auf der einen Seite stehen die Unternehmen, die dringend Arbeitskräfte brauchen: Jede vierte Firma in Deutschland leidet unter Fachkräftemangel, wie Kramer sagte. Auf der anderen Seite kommen hunderttausende Flüchtlinge ins Land. Doch die zu integrieren, ist schwierig. Schweitzer zufolge finden bislang nur zehn Prozent aller Asylanten in den ersten fünf Jahren ihres Aufenthalts in Deutschland einen Arbeitsplatz.

Vielen Flüchtlingen fehlen Sprachkenntnisse

Nach Angaben der Bundesagentur für Arbeit sind von rund 500.000 Bleibeberechtigten 350.000 erwerbsfähig. Das heißt, sie könnten theoretisch arbeiten. Doch nur bei zehn bis 15 Prozent von ihnen reichen die Sprachkenntnisse aus, um sie tatsächlich schnell im Unternehmen einzusetzen. Kramer forderte verpflichtende Sprachkurse für die Flüchtlinge. Und: Er wünschte sich Ausnahmen für Flüchtlinge beim Mindestlohn – ähnlich wie es sie für Arbeitslose gibt.

Gewerkschafter weisen das zurück. Einige Arbeitgeberverbände versuchten, mit solchen Vorschlägen für eine Aufweichung bei der Lohnuntergrenze Kapital aus der Flüchtlingssituation zu schlagen, hieß es beim DGB. Auch die Grünen-Arbeitsmarktexpertin Brigitte Pothmer mahnte: „Die Chancen von Flüchtlingen am Arbeitsmarkt erhöht man nicht durch schlechtere Bezahlung, sondern durch passgenaue Unterstützung.“

Anträge zu bearbeiten dauert fünf Monate

Selbst mit Ausnahmen vom Mindestlohn dürfte die Integration der Flüchtlinge am Arbeitsmarkt noch dauern. So berichtete Weise am Dienstag von „gruseligen Arbeitsabläufen“ beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge, dessen Leiter er seit September ist. Vor allem die Bürokratie erschwere den Beamten die Arbeit. So würde Flüchtlingen zum Beispiel fünf Mal die Fingerabdrücke genommen, weil ein Amt die Daten nicht an das andere weitergebe. Bis die Pässe geprüft seien, vergingen zwei Monate. Die Bearbeitung von Anträgen ziehe sich oft über fünf Monate hin. Deshalb glaubt Weise auch nicht, dass die Geflüchteten hierzulande schnell arbeiten könnten – im Gegenteil. Er geht davon aus, dass die Hälfte von ihnen erst nach fünf Jahren in den Arbeitsmarkt integriert seien – nach zehn Jahren könnte der Anteil der Erwerbstätigen unter den Flüchtlingen dann bei 70 Prozent liegen.

Wirtschaftsminister Sigmar Gabriel (SPD) mischte sich in diese Debatte am Dienstag nicht ein. Er nutzte den Auftritt vor den Arbeitgebern stattdessen, um vor einer „Renationalisierung“ in Europa zu warnen. Es bestehe die Gefahr, dass die Staaten nun ausschließlich nationale Antworten auf globale Problem fänden. Dabei entspreche das nicht dem europäischen Gedanken. „Die europäische Einheit fußt darauf, dass wir gemeinsam stärker sind als alleine“, sagte er.

Der SPD-Vorsitzende und Vizekanzler betonte im Beisein vom französischen Wirtschaftsminister Emmanuel Macron vor allem den Zusammenhalt zu Frankreich. „Wenn Frankreich und Deutschland gemeinsam handeln, kann Europa stärker aus der Krise hervorgehen. “

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