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Umzugswagen dürften in Frankfurt demnächst häufiger vor den Wolkenkratzern parken.

© picture alliance / dpa

Banken ziehen um: Frankfurt hat den Standort-Wettbewerb um Brexit-Banken gewonnen

Infolge des Brexits ziehen 30 Banken nach Frankfurt, es entstehen zusätzlich 1500 Stellen. Im Sommer kommt ein zweiter Schwung.

Am 31. Januar ist es so weit. Großbritannien verlässt die Europäische Union – nach vier Anläufen. Damit scheidet der wichtigste Finanzplatz der EU aus. Wer in der Union weiter Finanzgeschäfte tätigen will, kann das nicht mehr aus London. In Frankfurt erhoffte man sich dadurch einen Schub. Tatsächlich aber ist der Drang von Banken und Finanzfirmen an den Main überschaubar.

Zumal auch Paris, Luxemburg, Amsterdam und Dublin angesteuert werden. Frankfurt dürfte zwar die meisten Firmen angelockt haben: Mit etwa 30 Banken und 20 Finanzdienstleistern, die von der Finanzaufsicht Bafin die Lizenz erhalten haben, und etwa 1500 Stellen ist das Ergebnis bislang deutlich niedriger ausgefallen als erwartet. Anfangs war die Rede von 8000 oder 10.000 zusätzlichen Arbeitsplätzen, die der Brexit nach Frankfurt bringen würde.

„Neue Adressen gibt es nur wenige“, sagt Oliver Wagner, Geschäftsführer des Verbandes der Auslandsbanken. „Es sind eher Institute, die ihre bestehende Einheit erweitert oder auch zusätzlich in eine Rechtsform umgewandelt haben.“ Der Landesbank Hessen-Thüringen (Helaba) zufolge haben etliche US-Großbanken Frankfurt als Sitz in der EU ausgewählt. Goldman Sachs hat die Goldman Sachs Europe SE mit etwa 300 Beschäftigten gegründet, JP Morgan hat, wie es heißt, einige Hundert Stellen von der Themse an den Main verlagert.

Barclays, die Royal Bank of Scotland und UBS kommen

Auch Barclays, die Royal Bank of Scotland und Standard Chartered sind nach Frankfurt gekommen, weiß die Helaba. Genannt werden auch japanische Institute wie Nomura, Mizuho oder Sumitomo und die schweizerische UBS und Credit Suisse, die ihre Einheiten am Main vergrößern. Laut Frankfurt Main Finance, dem Lobbyverein des Finanzplatzes, werden mindestens 750 bis 800 Milliarden Euro an Bilanzvolumen von London nach Frankfurt verlagert.

Die Brexit-Banken besitzen mit ihrer Niederlassung in Frankfurt den EU-Pass, der ihnen erlaubt, ab 1. Februar Geschäfte in den 27 EU-Staaten zu tätigen. Der Deutschen Bank ist das ohnehin möglich, aber auch sie hat einige Hundert Stellen von London nach Frankfurt verschoben.

In Bewegung: In Frankfurt am Main entstehen derzeit neue Jobs im Bankensektor.
In Bewegung: In Frankfurt am Main entstehen derzeit neue Jobs im Bankensektor.

© dpa

Wie viele Unternehmen möglicherweise noch nach Frankfurt kommen, hängt, so Witzler, auch von den Verhandlungen über die künftige Zusammenarbeit zwischen der EU und Großbritannien ab, die mit dem Austritt beginnen. Das deutsche Finanzzentrum hätte vom Brexit noch stärker profitiert, wenn auch die Europäische Bankenaufsichtsbehörde EBA von London gekommen wäre. Sie allerdings ist nach dem Willen der EU-Regierungen bereits nach Paris umgezogen.

Brexit-Banken im Herzen der Stadt

Frankfurt ist nach Ansicht von Helaba- Expertin Ulrike Bischoff trotzdem der Gewinner des Wettbewerbs der EU-Finanzplätze um Brexit-Banken und -Finanzdienstleister. „Das Ranking ist eindeutig“, heißt es in einer von Bischoff verfassten Analyse. „Mit großem Abstand“ folgten Paris mit elf, Dublin mit neun, Luxemburg mit acht sowie Amsterdam mit fünf Instituten, die wegen des Brexits umgesiedelt seien. „Im Stadtbild Frankfurts sind die Brexit-Banken inzwischen prominent vertreten“, sagt Bischoff. Sie seien im Herzen des Bankenviertels präsent.

Den meisten Brexit-Bankern gefällt es am Main, sagt Auslandsbanken-Vertreter Wagner. „Sie schätzen die kurzen Wege, die Schulen, die Infrastruktur, die ärztliche Versorgung.“ Die, die eigentlich nach Paris wechseln sollen, aber erst nach Frankfurt geschickt wurden, wollten jetzt gerne am Main bleiben. Gleich 100 Gründe, den Finanzplatz Frankfurt zu lieben, nennt die gebürtige Londonerin Louise Sagar, die – freilich nicht wegen des Brexits – bei der Europäischen Zentralbank (EZB) arbeitet. Alles sei einfach, sie könne am Main entlang zur Arbeit laufen, Taxis seien im Vergleich zu London billig. Sie sei verliebt in die Skyline. Und nicht zuletzt, sagt ein anderer, seien die Wohnungen deutlich günstiger als in London.

Immer noch wichtig: Trotz des Brexit bleibt London der wichtigste Finanzstandort Europas.
Immer noch wichtig: Trotz des Brexit bleibt London der wichtigste Finanzstandort Europas.

© AFP

Auslandsbanken-Vertreter Wagner erwartet im Sommer weitere 1000 Brexit- Banker – weil dann der Schulwechsel für die Kinder einfacher ist. Bei der Helaba rechnet man bis Ende 2021 mit 3500 Stellen, die wegen des Brexits am Main entstehen. Das gleicht den vierstelligen Abbau bei der Deutschen Bank und der Commerzbank bis 2023 nicht aus. Insgesamt soll es, so die Helaba, Ende 2021 in der Bankenbranche in Frankfurt rund 64.500 Jobs geben – 600 mehr als Ende 2018.

Zum Vergleich: London zählt in der Finanzbranche fast 380.000 Arbeitsplätze. Die britische Hauptstadt bleibt hinter New York weltweit das wichtigste Finanzzentrum. Über London werden, sagt Bundesbank-Vorstandsmitglied Joachim Wuermeling, unter anderem 85 Prozent aller globalen Geschäfte zur Absicherung von Zinsen und 37 Prozent des Devisenhandels getätigt. Das sind täglich gut 3,5 Billionen Dollar – mehr als vor dem Brexit- Referendum.

Selbst die Hälfte der Anleihekäufe der EZB liefen über London, sagt Wuermeling. Frankfurt hat trotz Brexit verloren. Dem Globalen Finanzplatz-Index zufolge, der die Wettbewerbsfähigkeit misst, ist das deutsche Finanzzentrum von März bis September 2019 von Platz zehn auf Platz 15 abgerutscht.

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