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Hat sich in diversen Talkshows als Erneuerer des VW-Konzerns in Szene gesetzt: Herbert Diess.

© dpa

Update

Anklage wegen Marktmanipulation: Anwälte von Winterkorn, Pötsch und Diess weisen Vorwürfe zurück

Strafverfolger wollen das Top-Management persönlich zur Rechenschaft ziehen. Winterkorn-Anwalt zeigt sich „überrascht“.

Verschwiegene Milliardenrisiken, verspätete Information der Aktionäre: Die Führungsspitze von Volkswagen ist wegen Marktmanipulation angeklagt. Die Staatsanwaltschaft Braunschweig wirft Aufsichtsratschef Hans Dieter Pötsch, Vorstandschef Herbert Diess und dem Ex-Vorstandsvorsitzenden Martin Winterkorn vor, Anleger im Jahr 2015 „vorsätzlich zu spät“ über die Risiken der Dieselaffäre informiert zu haben. Das teilten die Strafverfolger am Dienstag mit. Inzwischen haben die Anwälte aller drei Manager die Vorwürfe zurückgewiesen. Die VW-Aktie gab nach Bekanntwerden der Anklage um 2,5 Prozent nach.

Die Staatsanwälte hatten untersucht, ob die VW-Manager früher als bisher eingeräumt von konkreten Täuschungen bei den Abgasdaten in den USA wussten. Den Ermittlungen zufolge war dies der Fall. In der Mitteilung hieß es: „Den genannten - ehemaligen oder amtierenden - Vorstandsmitgliedern der Volkswagen AG wird vorgeworfen, entgegen der ihnen obliegenden gesetzlichen Pflicht den Kapitalmarkt vorsätzlich zu spät über die aus dem Aufdecken des sogenannten Diesel-Skandals resultierenden erheblichen Zahlungsverpflichtungen des Konzerns in Milliardenhöhe informiert und damit rechtswidrig Einfluss auf den Börsenkurs des Unternehmens genommen zu haben.“

In Braunschweig klagen auch die Anleger auf Schadenersatz

Investoren verlangen Entschädigung für den damaligen Einbruch des Aktienkurses: Sie argumentieren, dass die VW-Spitze die Finanzwelt früher über die Risiken der Dieselkrise hätte ins Bild setzen müssen. Dazu läuft auch ein Kapitalmarkt-Musterverfahren in Braunschweig.

Die drei von der Anklagebank: Ex-VW-Chef Martin Winterkorn, Hans Dieter Pötsch, Aufsichtsrats-Vorsitzender und der jetzige CEO Herbert Diess.
Die drei von der Anklagebank: Ex-VW-Chef Martin Winterkorn, Hans Dieter Pötsch, Aufsichtsrats-Vorsitzender und der jetzige CEO Herbert Diess.

© Wolf, Hase, Pförtner/dpa

VW hatte nach Prüfungen von US-Umweltbehörden und -Forschern zugeben müssen, die Abgas-Software bestimmter Dieselmotoren so eingestellt zu haben, dass im tatsächlichen Betrieb auf der Straße deutlich mehr giftige Stickoxide (NOx) ausgestoßen wurden als in Schadstofftests. Am 18. September 2015 wurden die Manipulationen bekannt – die Manager standen im Verdacht, trotz möglicher Hinweise lange vor diesem Datum nicht auf die drohenden finanziellen Folgen eingegangen zu sein.

Eine rechtzeitige sogenannte Ad-hoc-Mitteilung wäre nach Auffassung der Staatsanwaltschaft zwingend nötig gewesen. Denn neben „Schadensersatzforderungen aller Art“ habe 2015 bereits ein Rückkauf aller betroffenen Dieselwagen auf dem US-Markt gedroht – allein hierdurch hätte VW demnach Zusatzkosten von rund 16 Milliarden Euro einkalkulieren müssen. Durch absehbare Strafzahlungen wären nach Überzeugung der Ermittler noch einmal etwa 19 Milliarden US-Dollar dazugekommen. Und die gefährdete Zulassung neuer Modelle 2016 hätte die Umsatzerwartungen mit weiteren 4 Milliarden Euro belasten müssen.

Den Angeschuldigten sei „aufgrund der sich aus der Brisanz der Thematik ergebenden erheblichen finanziellen Folgen bewusst gewesen, dass diese dem Kapitalmarkt mitzuteilen gewesen wäre“, so die Staatsanwaltschaft. Sie hätten allerdings „jeder für sich bewusst und gewollt von der erforderlichen Ad-hoc-Meldung abgesehen“, damit der Börsenkurs gehalten und Verluste vermieden werden konnten.

Anwälte von Vorstandschef Diess: Anklageerhebung ist unverständlich

Der heutige Vorstandschef Diess kam im Juli 2015 in den Konzern und war zunächst nur Chef der Volkswagen-Kernmarke. Die Anklageerhebung sei unverständlich, erklärten seine Verteidiger von der Kanzlei Park: Weder Fakten- noch Rechtslage rechtfertigten den Vorwurf, Diess habe den Tatbestand einer strafbaren Marktmanipulation verwirklicht. Für ihn sei bis zur öffentlichen Bekanntmachung in keiner Weise absehbar gewesen, dass die Dieselaffäre zu finanziellen Konsequenzen in einer für den Kapitalmarkt relevanten Größenordnung führen könnte.

Verteidiger Tido Park sagte, die Anklage werde Diess in Bezug auf seine Verantwortung als Vorstandsvorsitzender nicht einschränken: „Er wird weiterhin mit vollem Engagement seine Aufgaben im Konzern wahrnehmen.“

Pötsch war VW-Finanzvorstand, als der damalige Konzernchef Winterkorn die Abgastricks einräumte. Pötschs Anwalt Norbert Scharf sagte, sein Mandant müsse sich nichts vorwerfen: „Anklagethese und -erhebung sind unbegründet.“ Pötsch habe zwar schon im Sommer 2015 „mehrfach Berührung mit der US-Dieselproblematik“ gehabt. Scharf erklärte jedoch: „Keine dieser Informationen hatte vor der Veröffentlichung der Notice of Violation (Bekanntmachung der Verstöße durch US-Behörden) am 18.09.2015 Inhalt und Qualität, dass für ihn daraus eine kapitalmarktrechtliche Relevanz erkennbar war.“

Winterkorns Anwalt weist Vorwürfe zurück

Winterkorns Anwalt Felix Dörr wies die Vorwürfe „mit aller Entschiedenheit“ zurück. „Herr Prof. Dr. Winterkorn hatte keine frühzeitige Kenntnis von dem gezielten Einsatz einer verbotenen Motorsteuerungssoftware in US-Diesel-Pkw“, erklärte der Jurist. „Wesentliche Informationen, die ihn in die Lage versetzt hätten, bereits bekannte Probleme mit den US-Dieselmotoren zutreffend einzuordnen, erreichten ihn damals nicht.“

Dörr zeigte sich „überrascht“ von der Sicht der Strafverfolger. „Erkannte Probleme bei der Abgasreinigung von älteren Pkw wurden ihm (Winterkorn) als technisch lösbar und rechtlich beherrschbar geschildert. Vor diesem Hintergrund gab es bei Herrn Prof. Dr. Winterkorn die nachvollziehbare Erwartung an die Verhandlungsführer von VW, dass zeitnah eine Lösung gemeinsam mit den US-Behörden erzielt werden würde. Eine Eskalation war für ihn nicht vorstellbar.“ (dpa)

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