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Kampf um gesunde Ernährung: Alle auf Zucker

Noch immer wird zu viel Süßes, Salziges und Fettiges konsumiert. Die Bundesregierung will trotzdem keine Steuer auf einzelne Nahrungsmittel.

Von Heike Gläser

Zu wenig Bewegung und schlechte Ernährung sind die Hauptrisikofaktoren, um an Diabetes mellitus Typ2 oder Herz-Kreislauf-Krankheiten zu erkranken – was in der Folge zu Bluthochdruck und erhöhten Fettwerten führen kann. Die Zahl steigt laut Weltgesundheitsorganisation (WHO). Entsprechend wird vor einer „globalen Fettleibigkeitsepidemie“ gewarnt.

In Deutschland gelten etwa 60 Prozent der Erwachsenen als zu dick. Die Zahl der an Diabetes erkrankten Menschen liegt geschätzt bei 6,7 Millionen, eine Steigerung um circa 38 Prozent seit beginn des Jahrtausends, altersbereinigt fast um ein Viertel. Als wesentliche Ursache gilt Fehlernährung. Auch die Salzzufuhr ist nach Erkenntnissen des Robert-Koch-Instituts zu hoch. Die Menschen essen zu viel Fett, zu viel Zucker, zu viel Salz – und das gilt nicht nur für Erwachsene. Nach einer Langzeitstudie zur Gesundheit von Kindern und Jugendlichen in Deutschland (KIGGS), die das Robert-Koch-Institut durchführt, sind 15 Prozent der Kinder zwischen drei und 17 Jahren übergewichtig. Rund sechs Prozent sogar adipös, also fettleibig. Die Zahlen sind seit den 1970er Jahren stetig gestiegen, in den vergangenen 15 Jahren stabilisieren sie sich nun „auf hohem Niveau“. Die Fakten sind eindeutig, das Problem hinlänglich bekannt. Trotzdem passiert gesellschaftlich und politisch noch zu wenig. Dabei ist besonders bei Kindern und Jugendlichen die Prävention entscheidend, wie das Robert-Koch-Institut in seiner Studie deutlich macht: Im Vergleich zu Normalgewichtigen sind Kinder mit Übergewicht und Adipositas anfälliger für Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Stoffwechselstörungen. Zudem steigt die Wahrscheinlichkeit, durch einen hohen Body Mass Index (BMI) im Kindes- und Jugendalter später im Erwachsenenalter an Typ-2-Diabetes oder Bluthochdruck zu erkranken.

Die so genannte Zuckersteuer ist schon länger in der Diskussion

Anfang Mai dieses Jahres forderte ein breites Bündnis an Ärzteverbänden, Fachorganisationen und Krankenkassen in einem Offenen Brief an die Bundesregierung wirksame Handlungen gegen Fehlernährung. 2061 Ärzte und Ärztinnen schlagen nicht nur eine verständlichere Kennzeichnung, Beschränkungen von Lebensmittelwerbung, die sich gezielt an Kinder richtet sowie verbindliche Standards für die Schul- und Kitaverpflegung vor, sondern auch steuerliche Anreize für eine gesunde Ernährung – zum Beispiel in Form einer Umsatzsteuerbefreiung für Obst und Gemüse sowie eine Sonderabgabe für stark gesüßte Getränke.

Die letzte Forderung basiert auf der KIGGS-Studie. Danach trinken fast 14 Prozent der Mädchen und mehr als 17 Prozent der Jungen ein- bis dreimal pro Woche zuckerhaltige Erfrischungsgetränke. Mit zunehmendem Alter wird es immer mehr. Die sogenannte Zuckersteuer ist schon länger in der Diskussion, spätestens seit 2016, als ein entsprechendes Gesetz in Großbritannien verabschiedet wurde. Dort ist ein Drittel aller Jugendlichen übergewichtig. Im April 2018 trat das britische Gesetz in Kraft. Seitdem müssen Hersteller ab fünf Gramm Zucker pro 100 Milliliter eine Steuer von rund 20 Cent pro Liter zahlen, bei mehr als acht Gramm Zucker liegt die Steuer bei 28 Cent pro Liter. Zwei Jahre hatte die Lebensmittelindustrie Zeit, um sich auf das neue Gesetz einzustellen. Die Folge: Um die Steuern zu umgehen, haben die Hersteller tatsächlich den Zuckergehalt ihrer Produkte gesenkt – allerdings dafür vermehrt Süßstoff eingesetzt.

Die Bundesernährungsministerin hält nichts von Abgaben auf einzelne Nährstoffe

Julia Klöckner (CDU), zuständige Bundesministerin für Ernährung, steht der Zuckersteuer skeptisch gegenüber. Sie halte nichts von Abgaben, die sich lediglich auf einzelne Nährstoffe beschränken. Eine Reduzierung von Zucker mache die Lebensmittel nicht automatisch gesünder. Sie verweist auf sogenannte Low-Fat-Produkte, die zwar weniger Fett enthalten, dafür aber mehr Zucker – zur Geschmackserhaltung. „Das Ziel ist ja nicht die Steuer, sondern eine bessere Ernährungsweise. Und dazu gehört ein Gesamtkonzept, nicht nur eine Symbolaktion wie Steuererhöhung“, sagt Julia Klöckner.

Hinter dem „Gesamtkonzept“ steht die von der Bundesregierung angekündigte „Nationale Strategie zur Reduktion von Zucker, Fett und Salz in Fertigprodukten“, die gemeinsam mit der Industrie und dem Einzelhandel auf freiwilliger Basis umgesetzt werden soll. Und die lehnt die Einführung einer Zuckersteuer ab. Christoph Minhoff vom Spitzenverband für Lebensmittelwirtschaft BLL, spricht von einer „staatlichen Zwangsdiät“ und erinnert an das Diktum von Paracelsus, dass die Dosis das Gift mache. Das Maß müsse jeder für sich selbst finden.

Eine Mehrheit der Deutschen spricht sich inzwischen für eine „Limo-Steuer“ aus. Das ergab eine Umfrage des Meinungsforschungsinstituts Yougov, die der gemeinnützige Verein Foodwatch in Auftrag gab. Demnach würden 52 Prozent hierzulande eine Steuer für überzuckerte Getränke befürworten. Vor zwei Jahren lag die Zustimmung bei der gleichen Umfrage noch bei 45 Prozent.

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