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Axel Schweitzer, 1969 in Berlin geboren, führt als Vorstandsvorsitzender gemeinsam mit seinem Bruder Eric das Recyclingunternehmen Alba Group. Axel Schweitzer ist Inhaber eines Dauervisums für China und unterhält in Hongkong einen Zweitwohnsitz.

©  Mike Wolff

Alba-Chef im Interview: „Die Ungleichheit in Hongkong ist größer als in den USA“

Axel Schweitzer, Vorstandschef der Alba Group, über die Proteste, hohe Wohnungsmieten und die gut laufenden Geschäfte in der chinesischen Abfallwirtschaft.

Herr Schweitzer, wie nehmen Sie die Situation in Hongkong wahr?

Das mediale Bild erinnert mich teilweise an den 1. Mai in Berlin: Wenn man im Ausland ist und die Bilder sieht, dann hat man das Gefühl, ganz Berlin sei im Ausnahmezustand. Ähnlich ist es in Hongkong: Es gibt Demonstrationen, aber drei Straßen weiter ist das Leben normal. Klar ist auch: Gewalt darf auf keiner Seite ein Mittel der Auseinandersetzung sein.

Also alles nicht so schlimm?
Dass dort seit Monaten Hunderttausende jedes Wochenende auf die Straße gehen, ist schon bemerkenswert und zeigt gesellschaftliche Sorgen. Aber aus deutscher und internationaler Sicht neigen wir dazu, sehr schnell zu urteilen, meist ohne ausreichende Faktenkenntnis. Gleichermaßen würden wir Einlassungen anderer Länder bei uns als unpassende Einmischungen verstehen. Es gibt einen Grundlagenvertrag von 1997, der eine Laufzeit hat bis 2047. Heute schon verlässlich vorherzusagen, wie China, Hongkong oder Europa in 28 Jahren aussehen werden, würde ich zumindest mir nicht zutrauen. Deshalb wundere ich mich etwas über die Befürchtungen, die jetzt viele Menschen auf die Straße treiben.

Offenbar haben die Angst.
Was viele Menschen umtreibt, ist das Gefühl der Ungleichheit und mangelnder Aufstiegschancen. Statistiken zeigen, dass die Ungleichheit in Hongkong seit 1970 noch nie so hoch war wie heute – auch deutlich höher als in den USA. Mehr als 80 Prozent der Haushalte in China haben eigenes Immobilieneigentum. In Hongkong lebt fast die Hälfte der Bevölkerung in Mietwohnungen, die teilweise noch subventioniert werden müssen, weil die Wohnungspreise so hoch sind. In Schanghai ist die durchschnittliche Wohnung 36 Quadratmeter groß, in Hongkong 16 Quadratmeter. Kurzum: Die Probleme in Hongkong sind viel vielschichtiger, als hierzulande vermittelt wird und hängen auch mit den Lebensumständen und den Eliten zusammen.

Haben Sie nicht den Eindruck, dass der Durchgriff der Chinesen größer wird?
Ich nehme das so nicht wahr, aber als Gast maße ich mir auch kein Urteil an. Persönlich hatte ich in den vergangenen Wochen keine Beeinträchtigungen, weder am Flughafen noch in der Stadt. Ich sehe allerdings die Bilder und Übertragungen und empfinde die Bilder der Gewalt einiger Demonstranten als erschreckend und hoffe auf friedlichen Dialog.

Ihr Unternehmen bereitet in Hongkong Elektroschrott auf – business as usual?
Wir sammeln und verwerten in diesem Jahr in Hongkong rund 25 000 Tonnen Elektroschrott und sind mit dieser Menge schon viel weiter, als wir bei der Inbetriebnahme vor knapp zwei Jahren geglaubt haben. Die Beschwerdequote liegt bei 0,001 Prozent, nur bei weiter entfernten Inseln gibt es ab und zu ein Problem. Alles in allem eine tolle Leistung unseres Teams, weil das Sammeln in Hongkong nicht einfach ist.

Wie funktioniert das?
Wer sein Gerät abgeben möchte, zum Beispiel Kühlschrank oder Klimaanlage, kann uns informieren, und wir holen dann binnen zwei bis drei Tagen das Gerät ab. Oder er bringt es zu einer der zahlreichen Sammelstellen.

Das klingt ziemlich aufwendig!
Ein Sammelsystem für so eine Metropole einzuführen, ist naturgemäß aufwendig. Aber wir arbeiten bei unseren Projekten in China immer mit Partnern vor Ort zusammen, das erleichtert vieles.

Welche Projekte gibt es noch?
Gestern haben wir den Grundstein für unsere neue Kunststoffanlage gelegt. Hier arbeiten wir mit der Swire-Gruppe zusammen, das ist der größte Abfüller von Coca-Cola in der Region. Dazu kommt ein lokaler Partner, der im Bereich Sammlung tätig ist. In unserem Geschäft ist eine funktionierende Sammelstruktur wichtig. Es geht um PET-Getränkeflaschen und HDPE-Kunststoffe, die zum Beispiel für Shampoo-Flaschen benutzt werden. Die Anlage ist für 35 000 Tonnen ausgelegt und soll im zweiten Halbjahr 2020 in Betrieb gehen.

Und dann wird Kunststoffabfall so aufbereitet, dass daraus Cola-Flaschen gemacht werden können?
So ist der Plan. Im Foodbereich braucht man höherwertige PET-Recyclingrohstoffe, die wollen wir Swire zur Verfügung stellen. Die Anlage wird hoffentlich ein neues weiteres positives Demonstrationsprojekt für die ganze Region.

Trennen die Verbraucher in Hongkong so eifrig den Abfall wie in Berlin?
Bei den Sammelsystemen muss man es den Menschen so einfach wie möglich machen, den Abfall zu trennen. Heute geht in Hongkong der Hausmüll noch komplett auf Deponien, das wollen wir mit der Wiederverwertung zunehmend vermeiden. Die Abfallmenge pro Kopf ist in Hongkong so groß wie sonst nur noch selten auf der Welt. Abfallvermeidung ist also auch ein sehr wichtiges Thema.

Kommt überhaupt eine Kreislaufwirtschaft in China in Gang?
Das Recycling ist für die chinesische Regierung ein großes Thema und wird auch von Präsident Xi persönlich immer wieder betont. Zu Beginn dieses Jahres gab es die Maßgabe, dass in den 46 Provinzhauptstädten und einigen weiteren die Recyclingquote bis Ende 2020 auf 35 Prozent erhöht werden muss. Lebensmittelabfälle werden separat erfasst, die zu recycelnden Stoffe werden ebenfalls separat erfasst und Sondermüll und Restabfall auch. Das Thema wird also sehr stark gepusht. Da China seit 2004 der größte Abfallproduzent der Welt ist und die Abfallmenge noch steigt, ist Recycling auch für den Klimaschutz extrem wichtig, denn in den Deponien entsteht Methangas.

Wie macht sich die Abkühlung der Wirtschaft in Ihrem Geschäft bemerkbar?
China hat etwas früher die Auswirkungen des Handelskriegs gespürt als zum Beispiel Europa. Um dagegenzuhalten, forciert die Regierung unter anderem den Ausbau von Infrastruktur, auch von Umweltinfrastruktur, sodass die Recyclingwirtschaft davon durchaus profitiert.

Aber dem wichtigsten Alba-Partner, der Techcent-Gruppe, geht es schlecht.
Aufgrund der Situation an den Finanzmärkten – seit rund anderthalb Jahren fallen die Aktienkurse – ist die Notwendigkeit zum Schuldenabbau bei vielen Unternehmen größer geworden. Unser Partner Techcent plant deshalb, sich mit einem anderen chinesischen Unternehmen zu verbinden. An unserer Strategie ändert das nichts: Wir wollen mit verschiedenen Partnern in China wachsen. In Guandong zum Beispiel kooperieren wir mit einem staatlichen Unternehmen bei der Hausmüllentsorgung.

Wird nicht der Großteil deponiert?
Wir sprechen in der Hausmüllverarbeitung von drei Generationen. Die erste Generation ist die Deponie, die zweite die Verbrennung und die dritte die Wiederverwertung. Deponie ist mit Abstand die schlechteste Lösung, weil Wertstoffe verloren gehen und Methangas entsteht. Beim Verbrennen gehen auch Wertstoffe verloren und Schadstoffe entstehen. Bei der dritten Generation sprechen wir von der „grünen Kohle“: Wir holen die Wertstoffe aus dem Abfall heraus, separieren die Schadstoffe und machen aus dem Rest grüne Kohle, die dann im Kraftwerk zu Wärme und Strom umgewandelt wird.

Gibt es einen Markt für Sekundärrohstoff ?
Durch das Importverbot muss sich China selbst um die Verfügbarkeit solcher Wertstoffe kümmern. China will nicht die Müllkippe der Welt sein und seine eigenen Ressourcen stärker nutzen. Das finden wir richtig, und wir unterstützen es aktiv. Zum Beispiel in Shenzhen, vor ein paar Jahrzehnten noch ein Fischerdorf, heute eine der größten Städte der Welt. Da wird nun ein neues Manhattan gebaut und wir helfen mit. Bei der Planung dieses Quartiers kümmern wir uns um ein neues, hoch innovatives digitales Entsorgungskonzept.

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