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Die „Akademik Lomonossow“ im Hafen von Murmansk.

© imago images / ITAR-TASS

„Akademik Lomonossow“ nimmt Betrieb auf: Was Russland mit dem schwimmenden Atomkraftwerk plant

Russland nimmt mit der „Akademik Lomonossow“ das erste schwimmende Atomkraftwerk in Betrieb. Umweltschützer warnen vor einem „Tschernobyl auf dem Wasser“.

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Als das russische Atomunternehmen Rosenergoatom, Teil der staatlichen Atom-Agentur Rosatom, die „Akademik Lomonossow“ Ende April einsatzbereit meldete, läutete der Konzern zugleich eine neue Ära ein: In dem Schiff, in Anlehnung an die russische Trikolore weiß, blau und rot gestrichen, sind zwei Druckwasserreaktoren installiert. Wenn diese in Kürze Brennelemente aufnehmen, wird das erste schwimmende Atomkraftwerk der Welt fertiggestellt sein.

Derzeit liegt das Kernkraftwerk noch im Hafen der nordrussischen Stadt Murmansk. Im August soll das Schiff, rund 140 Meter lang und 30 Meter breit, von Schleppern durch die Barentsee und rund 5000 Kilometer in den äußersten Nordosten Russlands gezogen werden, um dort die Hafenstadt Pewek sowie Gas- und Ölbohrinseln vor der Küste mit Energie zu versorgen. In wenigen Monaten soll das Akw in Betrieb gehen.

Längst hat die „Akademik Lomonossow“ die Kritik von Umweltverbänden auf sich gezogen. Greenpeace spricht von einem „Tschernobyl auf dem Wasser“. Wladimir Sliwjak, Vorsitzender der russischen Umweltschutzorganisation Ecodefense, einer der ältesten des Landes, sieht in dem schwimmenden Kernreaktor ein „gefährliches Projekt“ – im Falle eines Unfalls könne radioaktives Material ins Meer, warnt er.

Auch von Bundestagsabgeordneten wird das Projekt kritisiert. „Das russische Akw-Boot ist gefährlicher Unsinn und eine weitere Volte in Russlands verantwortungsloser atomarer Geopolitik“, sagte Sylvia Kotting-Uhl, Vorsitzende des Umweltausschusses im Bundestag. Dabei gehe es Russland um das Schaffen von Abhängigkeiten und um machtpolitischen Einfluss auf Kosten von Mensch und Umwelt, so die Grünen-Politikerin.

Russland geht es um Rohstoffe und geopolitischen Einfluss

Tatsächlich ist das Akw Teil einer Strategie, die es auf geopolitischen Einfluss und auf Ressourcen abgesehen hat. Zwar ist die Leistung der Reaktoren mit 70 Megawatt vergleichsweise niedrig, Kraftwerke in Deutschland erzeugen um die 1400 Megawatt Strom. Doch bringt die „Akademik Lomonossow“ Energie in Regionen, in denen sich fossile Rohstoffe wie Öl, Gas oder Kohle ausbeuten lassen.

Russland unterstreicht damit auch seinen Machtanspruch in der Arktis. Der Klimawandel lässt das Eis in der Region schmelzen und eröffnet neue Seewege in schwer zugängliche Regionen, die mitunter reich an Bodenschätzen sind. Rund um den Nordpol werden große Vorkommen an Rohstoffen vermutet – an denen auch die USA Interesse angemeldet haben.

In einem der Maschinenräume bereiten Mitarbeiter die Installation und Inbetriebnahme des Akw vor.
In einem der Maschinenräume bereiten Mitarbeiter die Installation und Inbetriebnahme des Akw vor.

© imago images / ITAR-TASS

Ohnehin spielt die Atomkraft in Russland weiter eine entscheidende Rolle – nicht nur wirtschaftlich, sondern auch als Möglichkeit der Einflussnahme über Exporte ins Ausland. „Für den Kreml ist die Kernenergie ein wichtiges geopolitisches Instrument“, sagt Sliwjak, „äußerst effektiv, um Abhängigkeit von Russland und seiner Technologie zu schaffen.“ Rosatom ist vor allem in Schwellen- und Entwicklungsländern aktiv, aber auch in Europa, beispielsweise in Ungarn und Finnland.

Im vergangenen Jahr erklärte das Unternehmen, es baue 36 neue Kernreaktoren in verschiedenen Ländern. Rosatom schätzte den Gesamtwert seiner ausländischen Aufträge auf mehr als 130 Milliarden US-Dollar. Ecodefense rechnete im Frühjahr allerdings vor, dass derzeit nur sieben Rosatom-Reaktoren im Bau seien. Die Gesamtkosten dieser Reaktoren belaufen sich laut der Umweltorganisation auf etwa 36 Milliarden US-Dollar. Weitere Kraftwerke befänden sich derzeit nicht im Bau, es gebe jedoch Abkommen über weitere Projekte.

Russland soll bereits weitere Reaktoren planen

Umweltverbände und Politiker sorgen sich, dass nicht nur Russland, sondern auch die USA und China auf kleinere, mobile Reaktoren setzen könnten, sogenannte Small Modular Reactors (SMR). „Mit dem Einsatz solcher mobilen Reaktoren steigen weltweit nicht nur die nuklearen Risiken von schweren Unfällen und Terrorangriffen mit Freisetzung von Radioaktivität“, sagt der Bundestagsabgeordnete Hubertus Zdebel (Die Linke). „Kommt höher angereichertes Uran zum Einsatz, wachsen auch die Risiken, dass es in falsche Hände gelangen könnte.“

Auch Russland soll bereits weitere SMR-Reaktoren planen. „Große Sorge bereitet, dass Rosatom versucht, schwimmende Reaktoren an andere Länder zu verkaufen, auch in Regionen mit hoher terroristischer Bedrohung“, sagte Sliwjak.

Die größten Kopfschmerzen bereiten den Kritikern des russischen Projekts allerdings die Umweltrisiken. Russland habe die Umwelt bereits zuhauf radioaktiv verseucht, sei mit seinen strahlenden Altlasten an Land und auf See überfordert und bedürfe dafür der Unterstützung anderer Staaten, so die Grünen-Politikerin Kotting-Uhl.

[Dieser Artikel stammt vom Tagesspiegel Background Energie & Klima. Das Team veröffentlicht täglich Newsletter mit höchster Relevanz für Top-Entscheider, Kommunikationsprofis und Fachexperten. Hier können Sie die Newsletter vom Tagesspiegel Background abonnieren.]

Aus einer Antwort der Bundesregierung auf eine Anfrage von Kotting-Uhl ging 2018 hervor, dass die „Akademik Lomonossow“ keinen eigenen Antrieb hat. Somit bleibt sie in bedrohlichen Situationen auf die Hilfe von Schleppern angewiesen. Zwar sollen die Reaktoren stabiler als herkömmliche Druckwasserreaktoren sein. Doch aus der Antwort der Bundesregierung ging hervor, dass das Schiff lediglich gegen einen Hubschrauberabsturz geschützt ist, anders als an Land errichtete Akw. Gegen Flugzeugabstürze scheint es nicht gesichert zu sein.

Der Schutz vor Erdbeben, Sturmwellen und Tsunamis braucht laut Antwort der Bundesregierung ergänzende Maßnahmen, also Barrieren, die noch zu errichten wären. Schließlich würde das Akw nach einer Zeit von zehn bis zwölf Jahren mit dem abgebrannten Brennstoff an Bord eine Werft ansteuern. Das Schiff sei unsinkbar, heißt es indes bei Rosatom. Auch auf potenzielle Terrorangriffe sei man vorbereitet.

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