zum Hauptinhalt
Dieter Schweiger ist Obst- und Gemüsehändler in München.

© picture alliance / SZ Photo

Wie die Bayern wirklich ticken: „Am Obststand sind alle gleich“

Er umsorgt alte Damen, schwatzt mit Politikern. Dieter Schweiger verkauft vor der Münchner Uni Tomaten, Äpfel, Mangos – und verschenkt Lebensweisheiten. Zur Wahl erklärt er hier den Preißn die Bayern.

Herr Schweiger, ganz München kennt Sie, die „Süddeutsche Zeitung“ nennt Sie ein „Unikum“, und wenn Sie in einem Facebook-Video über den FC Bayern schimpfen, berichtet gleich das Boulevardblatt „tz“. Schon seit 1984 verkaufen Sie Obst an Ihrem Stand. Tun so langsam die Füße weh?

Meine Füße sind kaputt. Aber da bin ich selber schuld, ich habe einen Fehler gemacht: Obststandln ohne Stuhl. Ich stand immer vorne dran, weil dort die feschesten Mädchen von München vorbeigelaufen sind. Und irgendwann hab ich gemerkt, auwehzwick, mir tun die Haxn weh. Mein Orthopäde sagt, ich hätte die Knie von einem 150-Jährigen. Weil der Mensch nicht dafür geschaffen ist, 14 Stunden am Tag zu stehen. Der Esel schon, der hat vier Füße

Ihre Haut ist lederig.

Sie ist wettergegerbt, so wie ich! Ich bin ja immer draußen, auch im Winter. Aber dafür gehe ich jedes Jahr einmal zum Hautarzt und lasse mich durchchecken.

Heute ist Landtagswahl in Bayern. Welche Themen beschäftigen die Menschen gerade sehr, was ist der Tratsch am Standl?

Ich höre immer wieder, dass die Leute Angst haben. Davor, dass Deutschland destabilisiert wird. Dass die Muslime immer mehr werden. Dass es dem Land wirtschaftlich schlecht geht – und dass das Rentensystem schwächelt. Ich habe ja viele ältere Kunden. Außerdem fürchten die Menschen, sich München bald nicht mehr leisten zu können. Dafür wird sowohl der CSU als auch der SPD die Schuld gegeben, denn die Stadt hat seit Ewigkeiten SPD-Bürgermeister.

Kaufen bei Ihnen auch Politiker ein?

Natascha Kohnen, die Spitzenkandidatin der SPD, kenne ich seit Jahrzehnten. Sie wuchs unweit vom Stand auf und lief hier schon als Kind vorbei. Ludwig Spaenle, der ehemalige Bildungsminister, kauft seine Tomaten bei mir. Ich war sogar mal auf einem Plakat des CSU-Bundestagsabgeordneten Bernhard Loos zu sehen. Deswegen hat man mich CSU-Kasperl genannt. Meine Antwort an die Leute: Das müsst ihr aushalten.

Was würde Sie bei dieser Wahl richtig glücklich machen?

Ach, die CSU verkauft sich zur Zeit tatsächlich sehr schlecht. Kein Politiker begeistert mehr. Ich selbst war früher bei jeder Wahl glücklich – weil das Wahlbüro in meinem alten Klassenzimmer in der Schule war, super! Aber im vergangenen Jahr wurde das leider geändert.

In Ihrem Buch „Münchner Obststandl Gschicht’n“ erzählen Sie aus Ihrem Alltag. Sie kommen den Menschen sehr nahe. Was macht die Bayern aus?

Die Lebensfreude. Es ist gmiatlich. Mit seiner Art, Bayer zu sein, ist der Bayer völlig zufrieden. Typisch ist auch, dass er grantelt, obwohl er gar nicht grantig ist. Der Bayer sagt: Pfuideife, schmeckt das Bier gut. Oder: Meine Weißwürste waren wieder beschissen, bring mir noch zwei!

Die Kellner sind aber wirklich grantig, noch unfreundlicher als in Berlin.

Die spielen das bloß! Am Viktualienmarkt hier in München gab es früher einen, Mucksi, 40 Jahre ist es her. Der hat immer gesagt: „Was kriegst? Einen Scheißdreck kriegst.“ Und hat einfach eine Halbe Bier hingestellt, auch wenn jemand eine Maß bestellt hatte.

Der Kabarettist Gerhard Polt hat mal die Beleidigung „Hämorrhoidenpritsche“ benutzt. Welches bayrische Schimpfwort ist das schönste?

Ich schimpfe ja wenig. Ich habe am Stand einen super Schnitt: 1000 nette Leute und nur ein Arschloch. Und das Arschloch schicke ich weg. Geh zum Supermarkt, sag ich, und sogar noch höflich! Wenn mir etwas rausrutscht, dann ist es oft Volldepp – mit oi, Voidepp. Oder ich sage „Ganz wasserdicht bist du auch nicht“, das ist dann nicht beleidigend, sondern eher ein kleiner Hinweis.

Sie selbst sind ein Ur-Bayer …

… mit der schönsten Kombination. Meine Mutter kommt aus Oberbayern, der Gegend um München herum, mein Vater aus Niederbayern, das ist die Ecke bei Landshut und Passau. Für einen Bayern ist das eigentlich die Krönung. Die Niederbayern sind a bissl krachada, laut, aber bauernschlau, und die Oberbayern mehr München, versnobter. Außerdem besteht das Land für die meisten hier bloß aus diesen zwei Gegenden. Die Franken gehören zwar auch zu uns, aber so wird das nicht wahrgenommen.

Die Uhren in Bayern gehen anders, meinte Franz Josef Strauß mal. Er nahm es als Kompliment: Man richte sich nicht ständig nach dem Zeitgeist.

Mit den Leuten hier ist es ähnlich wie mit dem FC Bayern, und das sage ich als 1860-München-Fan. Der FCB hat viele Neider und einen guten Spruch: Euer Hass ist unser Stolz. Als Bayer kann ich das nachvollziehen. Denn wir bilden uns ja nicht nur ein, besser zu sein. Wir sind besser! Zu dieser Überheblichkeit stehen wir. Trotzdem machen alle im Allgäu Urlaub.

Von München aus ist man mit dem Auto in einer Stunde in Österreich. Fühlen Sie sich den Leuten dort näher als den Berlinern?

Ja, die Österreicher und die Südtiroler sind uns ja ein bisschen ähnlicher als der Rest der Deutschen. Ich für meinen Teil möchte sowieso nur dahin, von wo aus ich mit dem Radl wieder zurückfahren kann. Von Kufstein geht das, von Berlin nicht.

Ist es schlimm, wenn sich ein Preuße am bayerischen Dialekt versucht?

Schlimm nicht, ich finde es witzig. Mit der Sprache verhält es sich wie mit der Lederhose. Wenn es eine schöne Hose ist, darf sie auch der Preiß anziehen. Ist sie hässlich, soll sie auch der Bayer nicht tragen.

Ihr Stand befindet sich an einem der internationalsten Orte Münchens: der Universität. Die Studenten laufen in Scharen vorbei, es wuselt wie auf einem Marktplatz, man hört Deutsch, Englisch, Arabisch, alle möglichen Dialekte. Wie verkauft man, wenn man keine gemeinsame Sprache hat?

Beim Obst funktioniert alles mit Mimik. Augen auf, Hände zum Mund führen. Einfacher geht es nicht. Vor allem gibt es keine kulturellen Unterschiede. Am Obststand sind alle gleich.

Was ist das Lieblingsobst der Bayern?

Da gibt es einen klaren Generationenunterschied. Die Alten wollen Äpfel, Birnen, Zwetschgen. Klassisches, regionales Obst. Der junge Bayer mag natürlich auch die Mango aus Brasilien, Papayas oder Ananas.

Kaufen CSU-Abgeordnete exotische Früchte?

Alle. Ich war schließlich Vorreiter und hatte als einer der ersten Stände Mangos.

Herr Schweiger, bevor Sie an den Stand wechselten, arbeiteten Sie zehn Jahre lang beim Münchner Arbeitsamt, unter anderem als Ermittler.

Ich musste herausfinden, ob Firmen Schwarzarbeiter beschäftigen. Einer meiner ersten Aufträge war am Chinesischen Turm, einem der bekanntesten und größten Biergärten der Stadt. Es gab den Verdacht, dass ein türkischer Arbeitsloser da als Spüler arbeitet. Also bin ich hingefahren und habe mir die Unterlagen geben lassen, in den Büchern nachgeschaut, nachgefragt. Aber der hat nicht da gearbeitet. In meinen Bericht schrieb ich einfach: Person nicht angetroffen.

Sie waren kein strenger Ermittler.

Ich habe den Job nicht wie ein Streifenbeamter gemacht. Das wäre mir gegen die Hutschnur gegangen, gegen mein Lebensmotto: S’Lebn is a Freid, das Leben ist eine Freude.

Warum haben Sie den Beruf gewechselt?

Ich habe von Montag bis Freitag mehr oder weniger gearbeitet. Wirklich arbeiten ist das ja nicht im öffentlichen Dienst, ohne, dass ich jetzt gemein bin. Ich war da einfach nicht ausgelastet. Von 100 Leuten trifft das vielleicht auf zwei zu, weil sie alles viel zu genau nehmen. Die anderen 98 sind entspannt, und ich war’s auch. Also habe ich am Wochenende am Obststand von meinem Bruder mitgeholfen.

Was ist der größte Unterschied?

Wenn man als Arbeitsamtler rausgeht, schauen einen die Leute von unten an. Die haben Respekt und Angst vor dir. Dieses Gefühl hat mir nicht gefallen. Dabei hatten wir es oft mit hilflosen, arbeitslosen, bedürftigen Menschen zu tun. Wenn man denen mit Souveränität und nicht mit Hochnäsigkeit entgegentritt, kommt ein Gespräch zu einem besseren Ende. Am Obststand begegnen einem die Leute mit Freude.

Bei der Arbeit sieht man Sie ständig plaudern, mit Jungen und Alten, Freunden und Fremden. Manchmal nehmen Sie sich lange Zeit für ein Gespräch. Es wirkt, als wären Sie für einige Menschen eine Stütze, ein Stück Beständigkeit in einer schnellen Welt.

Ich rede mit den Leuten wie ein Vater oder eine Mutter. Letztens kam einer und sagte: Didi, bei der Arbeit läuft es nicht, ich möchte kündigen. Oder die wollen über anderen Kummer sprechen. Ein Stammkunde von mir hat sich zum Beispiel gerade auf dem Oktoberfest verliebt, aber die Angebetete ist verlobt. Da hab ich ihm erklärt, dass eine Wiesn-Affäre eigene Gesetze hat, und er die Frau in Ruhe heiraten lassen soll. Ich bin eigentlich Psychologe. Das habe ich aber erst am Obststand gelernt. Vor allem ältere Frauen erzählen mir von ihren langen Abenden allein. Die kaufen gelbe Rüben, eine Stange Lauch, für eine Suppe, und wir ratschen eine halbe Stunde.

Was haben Sie von den älteren Damen gelernt?

Menschlichkeit. Wie man mit einfachen Dingen zufrieden sein kann. Aber auch, wie man Gemüse kocht. Wenn eine Frau einen Blumenkohl gekauft hat, habe ich immer gefragt: Wie machen Sie den? Ich war ja nicht vom Fach, bin kein Koch, habe keine Lehre im Einzelhandel gemacht. Mittlerweile könnte der Herr Witzigmann bei mir nachfragen, wie was geht in der Küche. Der Blumenkohl kommt übrigens mit Salz, Zucker und Zitrone ins Wasser. Daneben setzt man eine Rahmsauce an, mit Lauchzwiebeln und Knoblauch. Dazu kleine Kartoffeln. Mit Schale!

Eine halbe Stunde am Stand bleiben aber vermutlich nur Stammkunden.

Richtig. Das Problem mit meinen langjährigen Stammkunden ist, dass die so langsam ins Altersheim gehen. Das tut schon sehr weh. Da sind Leute darunter, die von Anfang an bei mir eingekauft haben. Eine Kundin hat mir im Winter jeden Tag Suppe gebracht, die ich dann gelöffelt habe – mit dem Essbesteck von ihrem Mann aus dem Krieg! Die sterben mir alle weg. Und die jungen Leute gehen lieber zum Supermarkt. Zeit sparen, Geld sparen.

Inzwischen bestellen viele ihr Essen bei Lieferdiensten, Supermarktketten bringen den Einkauf bis zur Haustür. Wird es Obststände noch lange geben?

Wenn mich heute jemand fragen würde, ob er einen Obststand machen soll, mit dem Aufwand, würde ich sagen: Nein, mach etwas anderes. Von 350 Ständen, die es in München gab, sind nur noch 170 übrig. In den besten Jahren war ich im Verdienst ein Arzt, heute bin ich Postbote. Aber mir macht es nichts aus, wenn ich nur noch die Hälfte verdiene. Ich kann mir meinen Standl leisten, bis ich sterbe.

Sie arbeiten sechs Tage die Woche, von sechs Uhr morgens bis halb zehn abends. Was machen Sie an Ihrem kurzen Feierabend?

Da brauche ich meine Ruhe. Ich habe eine kleine Zweizimmer-Wohnung in Haidhausen mit einem Kachelofen. Da sitz ich in der Bauernstube, koche mir eine gute Portion Essen, trink eine Halbe Bier. Dazu eine Zigarre und ein bisschen Radio. Da kriege ich dann mit, was am Tag passiert ist. Wenn ich es am Stand nicht schon mitbekommen habe. In 35 Jahren war ich, glaube ich, keinen einzigen Tag krank.

Matthias Kirsch

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false