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Bereits im Sommer 2021 hatten sich Menschen mit der Omikron-Variante infiziert.

© picture alliance / abaca / RealTime Images/ABACA

Unter dem Radar: Omikron entwickelte sich über Monate in Afrika

Die Variante Omikron ist nicht so plötzlich entstanden wie gedacht. Eine Studie unter Leitung der Berliner Charité belegt: Die Vorläufer zirkulierten lange, ohne dass es jemand merkte.

Sie tauchte wie über Nacht auf und verbreitete sich binnen weniger Wochen über die ganze Welt. Die Omikron-Variante versetzte Virologen und Evolutionsbiologen in ungläubiges Staunen, als sie vor einem Jahr in Südafrika entdeckt wurde. Auf einen Schlag hatte das Virus 50 Mutationen hinzugewonnen und war dadurch sehr viel ansteckender geworden.

Nun hat ein großes internationales Team die Evolution von Omikron nachvollzogen und eine Überraschung zutage gefördert: Anders als bislang gedacht, entstand die erste Variante BA.1 nicht in kurzer Zeit, sondern entwickelte sich unbemerkt über Monate hinweg auf dem afrikanischen Kontinent.

„Das hatten wir so nicht erwartet“, sagt Felix Drexler, Professor für Virologie an der Charité in Berlin, wo er die Arbeitsgruppe Virusepidemiologie leitet. Federführend hat er die Studie geleitet, an der auch viele Forschende in Südafrika, Benin und anderen afrikanischen Ländern beteiligt waren. In der Publikation in „Science“ werden 88 Autoren genannt, „aber wir hätten auch 400 draufschreiben können“, sagt Drexler.

Eine „fantastische Studie“ kommentiert Leif Erik Sander, Infektionsimmunologe an der Berliner Charité, der an der Studie nicht beteiligt war, auf Twitter. Auch Francois Balloux, Leiter des Instituts für Genetik am University College London gratuliert: „Heute haben wir etwas Neues über Sars-Cov-2 gelernt.“

Die Idee für das Forschungsprojekt, so erzählt Drexler, war im schon vor einem Jahr gekommen, kurz nachdem die neue Virusvariante aufgetaucht war. Mit seinem Team entwickelte er einen speziellen PCR-Test, den er dann an die afrikanischen Partner verschickte. „Das Testkit musste so robust sein, dass es auch einen Monat beim Zoll bei hohen Temperaturen überstand“, erzählt Drexler von den vielen praktischen Problemen.

Omikron zirkulierte schon Monate vor der Entdeckung

Der Test war konzipiert, um ein charakteristisches Merkmal der Omikron-Variante BA.1 zu erkennen. Damit wurden dann 13.000 Proben von Patienten getestet, die sich zwischen Mitte 2021 und Anfang 2022 in 22 afrikanischen Ländern angesteckt hatten. Die Forschenden fanden dabei 25 Menschen aus sechs verschiedenen Ländern, die sich im August und September 2021 bereits mit Omikron infiziert hatten – zwei Monate, bevor die Variante erstmals in Südafrika identifiziert wurde.

Man hätte Südafrika unterstützen und nicht sanktionieren sollen. Sie haben Omikron detektiert und ihr Wissen sofort mit der Welt geteilt

Leif Erik Sander, Epidemiologe an der Charité

Zusätzlich analysierten die Forschende bei 670 Proben die vollständige Sequenz des Virus. Dabei fanden sie neue Mutationen und identifizierten verschiedene Entwicklungslinien. Manche der Funde waren BA.1 zwar sehr ähnlich, mit ihm aber noch nicht identisch. „Unsere Daten zeigen, dass Omikron mehrere Vorläufer hatte, die miteinander interagierten und manchmal gleichzeitig über Monate in Afrika zirkulierten“, so Drexler. Er schließt daraus, dass sich die BA.1-Omikron-Variante allmählich entwickelte, um einer zunehmenden Immunität in der Bevölkerung zu entkommen.

Diagnostischer blinder Fleck

Das bedeutet, dass Omikron nicht so plötzlich entstand, wie bislang angenommen. Um den unerwarteten Evolutionssprung zu erklären, hatten Virologen bislang zwei Hypothesen vorgeschlagen: Entweder hatte sich das Virus in Tieren weiterentwickelt und war dann kurz vor der Entdeckung auf den Menschen übergesprungen. Oder das Virus war in einem Patienten entstanden, der aufgrund von Immunschwäche über Monate infiziert war. Beide Hypothesen kann man nun ausschließen. „Dass Omikron uns so überrascht hat, liegt an dem diagnostisch blinden Fleck in großen Teilen Afrikas, wo wahrscheinlich nur ein kleiner Teil der Sars-Cov-2-Infektionen registriert werden“, sagt Drexler.

Kurz nach der Entdeckung von Omikron hatten viele Länder, darunter auch Deutschland, harte Reisebeschränkungen gegen Länder im südlichen Afrika erlassen. „Diese Entscheidung, die den Ländern großen wirtschaftlichen Schaden zufügte, hatte keine gute Datengrundlage“, kritisiert Drexler. Dem schließt sich Leif Erik Sander an: „Man hätte Südafrika unterstützen und nicht sanktionieren sollen. Sie haben Omikron detektiert und ihr Wissen sofort mit der Welt geteilt.“

Warum aber verbreitete sich Omikron zunächst nur langsam, dann aber, nach seiner Entdeckung, explosionsartig? „In seinen frühen Formen war BA.1 noch nicht perfektioniert“, sagt Drexler. Er hat die Sequenzen aus Afrika mit den Millionen Sequenzen verglichen, die inzwischen zu Omikron-Varianten verfügbar sind. Dabei ist klar geworden, dass viele der Mutationen auf dem Weg zu BA.1 immer wieder weggefallen waren. Drexler und sein Team konnten aber zwei Mutationen ausmachen, die sie für entscheidend halten.

Die Evolution von Omikron verlief auf verschlungenen Pfaden, manche der Varianten müssen sich kombiniert haben. Dabei sind zwei Eigenschaften hinzugekommen: Das neue Virus wurde ansteckender und umging den bereits vorhandenen Immunschutz in der Bevölkerung.

Ob Omikron dabei wirklich so viel harmloser ist als frühere Varianten, lässt sich dabei schwer sagen. Denn im Vergleich zu diesen traf es auf eine Bevölkerung, die durch Impfungen und Infektionen bereits einen größeren Grundschutz hatte. „Wir hatten aber Glück im Unglück“, sagt Drexler. Denn seiner Ansicht sei es nicht ausgeschlossen, dass neue Varianten auch wieder zu schwereren Krankheitsverläufen führen können.

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