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Ivan Riebeling versucht, die Migranten einzuschüchtern.

© Tobias Käufer

Migranten in Tijuana: „Das hier ist das Maul eines Wolfes“

Trotz des Elends in Tijuana wollen die meisten Migranten nicht umkehren. Die Situation ruft zahlreiche Akteure auf den Plan – wie „Comandante Ivan“.

Ins Lager muss „Comandante Ivan“ erst gar nicht hineingehen. Es reicht, wenn der tätowierte Muskelprotz, der die meisten kleingewachsenen mittelamerikanischen Migranten um einen Kopf überragt, vor dem Sportplatz Benito Juarez in Tijuana Position bezieht. Schnell bildet sich eine Traube von Menschen um den Mann, der von den lokalen Medien als Chef einer paramilitärischen Bürgerwehr mit rund 6500 Mitgliedern bezeichnet wird. Ivan Riebeling ist gekommen, um die Migranten aus Mittelamerika zu warnen, sagt er. Vor der Gewalt in der Stadt, der Kriminalität, der Prostitution.

Riebeling tritt auf wie ein Armeeoffizier, auf seiner Uniform ist ein irreführender Sticker angebracht: „Diplomatisches Corps – Menschenrechte“. Wenn er spricht, ist es still. Es stehen fast nur junge Männer aus dem Lager um den „Comandante“ herum, viele mit nacktem, tätowiertem Oberkörper, zerzaustem Haar und zerfransten Schuhen – der lange Marsch hat Spuren hinterlassen. Es seien noch weitere Karawanen im Anmarsch, sagt Riebeling, unter ihnen bewaffnete Mitglieder der gefürchteten Mara-Gangs aus El Salvador, die sich unter den Flüchtlingstreck gemischt hätten, der hier an der Grenze von Mexiko zu den USA zum Halt gekommen ist.

"Zwei Blocks weiter wird nachts gemordet"

„Das hier ist das Maul eines Wolfes“, sagt er über die 1,3-Millionen-Einwohner-Stadt Tijuana. „Da drüben gibt es ein Bordell, zwei Blocks weiter wird nachts gemordet“, sagt Riebeling und gibt seinen Zuhörern einen Rat: „Packt eure Sachen und geht nach Hause. Und wenn ihr bleiben wollt, sucht euch wenigstens eine Arbeit.“

Die meisten Männer, die „Comandante Ivan“ umringen, verstehen seinen Besuch so, wie er gedacht war: als Einschüchterung. Als Riebeling geht, herrscht betretenes Schweigen, ein Mann nennt ihn leise den „schrecklichen Ivan“. Seine Botschaft ist angekommen.

Umkehren wollen die meisten der gut 6000 Migranten aus Honduras, El Salvador oder Guatemala, die in Tijuana gestrandet sind, trotzdem nicht. Wochenlang sind sie durch Mittelamerika gezogen, in der Hoffnung auf ein besseres Leben jenseits des rostbraunen Zauns, der Tijuana von Kalifornien trennt. Obwohl sie nun nur noch rund 100 Meter von der Grenze entfernt campieren, wird ihre Situation von Tag zu Tag verzweifelter.

Die sanitären Einrichtungen in dem überfüllten Behelfslager in einem ehemaligen Baseballstadion sind in einem erbärmlichen Zustand. Wer zu den wenigen mobilen Toiletten oder den offenen Duschen will, muss durch knöcheltiefen Schlamm und verdrecktes Wasser waten. Der Geruch, der über dem Lager liegt, ist unerträglich: eine Mischung von Schweiß, Urin, Kot und Abfällen. Regenfälle haben das Areal in eine Schlammlandschaft verwandelt.

Der Samstag soll Hoffnung bringen

Etwa 25 Frauen sind in einen Hungerstreik getreten, um eine Beschleunigung ihres Asylverfahrens zu erreichen. Die US-Behörden haben die Zahl der Menschen, die die Grenze überschreiten und offiziell Asyl beantragen können, auf rund 100 pro Tag begrenzt.

Ein wenig Hoffnung in dieser verzweifelten Lage könnte der Samstag bringen – der neue mexikanische Präsident Andres Manuel Lopez Obrador tritt sein Amt an. Der 65-Jährige will in der Migrationspolitik vieles anders machen als sein Vorgänger Enrique Pena Nieto. Die Zeitung „La Jornada“ berichtete, Mexikos neue Regierung wolle mit den USA eine Art „Marshall-Plan“ für die Region abschließen. „Wir möchten, dass die USA sich an einem Projekt beteiligen, dass Arbeitsplätze in Mittelamerika schafft“, sagt der designierte mexikanische Außenminister Marcelo Ebrad, der Entwicklungspakt müsse mindestens 20 Milliarden US-Dollar umfassen.

Im Lager von Tijuana warten sie auf ein Signal von Lopez Obrador – auch der Honduraner José Antonio. Der 29-Jährige war einer der ersten, der mit der Karawane Richtung Norden zog. „Wir wollen wissen, wie es weitergeht“, sagt er. „Ob wir eine Chance haben, in die USA zu gelangen.“ Er hat immer eine große weiße Fahne dabei. Sie ist zu so etwas wie einem Markenzeichen der Karawane geworden und soll zeigen, dass „wir mit friedlichen Absichten gekommen sind“, sagt José Antonio. Zwei Töchter hat er zu Hause in Santa Rosa de Copán. Er schloss sich dem Zug an, „um für meine Kinder eine bessere Zukunft zu ermöglichen“.

Der Grenzsturm hat ihnen geschadet

Die Chancen, die USA zu erreichen, erscheinen aber schlechter denn je. US-Präsident Donald Trump schrieb am Montag auf Twitter, unter den Migranten würden sich viele „eiskalte Kriminelle“ befinden, die Mexiko in ihre Heimatländer zurückschicken müsse: „Macht es mit dem Flugzeug, macht es mit dem Bus, macht es, wie ihr wollt, aber sie kommen NICHT in die USA.“ Falls nötig werde die US-Regierung die Grenze dauerhaft schließen.

José Antonio hofft, dass sich Trump vielleicht doch noch anders entscheidet: „Das einzige, was ich mir von ihm wünsche, ist eine Chance, das Leben meiner Kinder zu verbessern“, sagt er.

Danach sieht es nicht aus. Am Sonntag hatten einige aus dem Flüchtlingstreck versucht, die Grenze zu stürmen, US-Grenzschützer schossen Tränengas auf die mexikanische Seite. Die chaotischen Bilder des Ansturms haben dem Image der Flüchtlinge sowohl in Mexiko als auch in den USA schwer geschadet.

Der US-Grenzschutz setzte jüngst Tränengas gegen Migranten ein
Der US-Grenzschutz setzte jüngst Tränengas gegen Migranten ein

© REUTERS/Hannah McKay

Die mexikanischen Behörden haben damit begonnen, alle, die daran beteiligt waren, abzuschieben. Inzwischen erwägen immer mehr der Übriggebliebenen, in Mexiko zu bleiben und eine Aufenthaltsgenehmigung zu beantragen. Eine Jobbörse vermittelte auf Anhieb rund 650 Migranten eine Arbeitsmöglichkeit in Tijuana. Humanitäre Visa und Arbeitserlaubnis inklusive.

Doch nicht bei allen Einwohnern von Tijuana sind die Migranten willkommen, „Comandante Ivan“ fühlt sich dazu berufen, für diese Menschen zu sprechen. Riebeling bewegt sich in der Grauzone paramilitärischer Organisationen, die US-Justiz hat gegen ihn bereits mehrfach ermittelt: Drogenschmuggel, illegaler Grenzübertritt, Waffenbesitz. Wenige Tage vor seinem Besuch im Camp hat Riebeling die Drogenkartelle um Hilfe im Kampf gegen die Migranten aufgefordert. In den sozialen Netzwerken existiert ein Clip, in dem er zum Aufbau einer Miliz gegen die „Invasion“ Tijuanas aufruft.

Die mexikanischen Drogenkartelle sind bekannt dafür, dass sie Migranten aus Mittelamerika entführen und brutal misshandeln. Frauen werden in die Zwangsprostitution geschickt, Männer als Drogenkuriere missbraucht. Wer sich weigert, riskiert, ermordet zu werden.

Ein Dach über dem Kopf, Feldbetten statt Zelte

Die schiere Größe der Karawane hat die Reise bis zur Grenze ein Stück sicherer gemacht. Nun aber wird aus dem Vorteil ein Nachteil: Die Gruppe ist zu groß, zu schlecht organisiert. Es ist eine Sache, Tagesetappen zu absolvieren, eine ganz andere ist es, eine mobile Kleinstadt an einem Ort über Tage und Wochen zu organisieren, ohne im Chaos zu versinken.

Im Schlamm. Regengüsse haben das Lager in Tijuana unter Wasser gesetzt.
Im Schlamm. Regengüsse haben das Lager in Tijuana unter Wasser gesetzt.

© Ramon Espinosa/dpa

Angesichts des Elends im Lager Benito Juarez gibt es in der Nacht zum Freitag erstmals gute Nachrichten. Die Stadtverwaltung beginnt damit, die ersten 800 Menschen mit Bussen in ein zweites Lager im Osten der Stadt zu transportieren. Auf dem Veranstaltungsgelände „El Barretal“ gibt es ein festes Dach über dem Kopf, bessere sanitäre Einrichtungen, Feldbetten statt Zelte.

Der Umzug hat für die Sicherheitskräfte allerdings noch einen zweiten großen Vorteil. Mit der Verlegung des Lagers zurück in den Südosten Tijuanas hat die Karawane erstmals geografisch einen Schritt zurück gemacht. „El Barretal“ liegt nicht wie das bisherige Camp, das komplett geräumt werden soll, direkt in der Nähe eines Grenzübergangs.

Wenn die Migranten eine neue Demonstration zur Grenze planen, müssen sie erst einmal 20 Kilometer Richtung Norden marschieren.

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