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Protestantische Bescheidenheit atmet der Berliner Dom mit seiner prächtigen Kuppel nicht. Dafür hat er 96 Leichen im Keller.

© Sergej Horovitz

Hohenzollern-Grabstätte im Berliner Dom: In dieser Gruft versetzt der Glaube Särge

Die Gruft leidet unter ihrem eigenen Klimawandel, die Besucher sind zu warm und zu feucht. Doch der Berliner Dom will die Hohenzollern nicht Motten und Pilzen überlassen. Die Rettungsaktion wird das größte Vorhaben seit Wiederaufbau des Gotteshauses.

Die Bombe fiel mitten in den Heiligen Geist. Dabei schwebte die weiße Taube wie eine pazifistische Superflugabwehr im Zenit des Doms, ganz aus Glas, leuchtend vor Tageshelle. So hoch oben, so allesbeschirmend.

Es war der 24. Mai 1944. Die Bombe splitterte durch die Taube, vorbei an den hohen Engeln des Herrn, vorbei an den riesigen in Gold gefassten Worten Jesu: „Selig sind die Sanftmütigen“ und „Selig sind die Friedfertigen, denn sie werden Gottes Kinder heißen“. Zwei Tage lang brannte die Kuppel. Dann stürzte der obere Teil mitsamt Kreuz in die Tiefe, zerschlug den Boden des Doms und bohrte sich bis in die Gruft. Er traf direkt den Sarg von Elisabeth Christine.

Elisabeth Christine war die Frau Friedrichs des Großen, sie war Friedrichs ungeliebte Gemahlin, für die der König nach der Rückkehr aus dem Siebenjährigen Krieg nur einen Satz übrig hatte: „Madame sind korpulenter geworden!“ Nun war Elisabeth Christine, wie Friedrich sie sich immer gewünscht hatte: gar nicht mehr da. Die Gruft brannte, die alten Zinnsärge schmolzen.

Die blonde Frau unter der Kuppel des Berliner Doms, der größten der evangelischen Kirche dieses Landes, erzählt die Geschichte viel knapper, aber mit irritierendem Enthusiasmus. Svenja Pelzels Augen werden ganz blau vor Zukunft, sobald sie das Wort „Gruft“ ausspricht. Und das macht sie sehr oft, denn die Domsprecherin leitet das Gruftprojekt, das größte Vorhaben seit dem Wiederaufbau des Gotteshauses. Kosten: 17,3 Millionen Euro.

Die Grabstätte des Hohenzollerngeschlechts in Berlin-Mitte, in der 96 Tote aus fünf Jahrhunderten liegen, wird umfassend saniert. Besser klimatisiert soll sie werden, großzügiger und würdevoller. 2020 sollen die Arbeiten beginnen und bis zu drei Jahre dauern.

Svenja Pelzel glaubte anfangs, sie würde all ihre Beredsamkeit brauchen, potenzielle Kostenträger davon zu überzeugen, Millionen in einer Gruft anzulegen. Aber dann war es überraschend einfach. Wir dürfen die toten Hohenzollern nicht den Motten und Pilzen überlassen! Land und Bund teilen sich den größten Teil der Sanierungssumme, 1,7 Millionen Euro will der Dom selbst aufbringen.

Zustände wie am BER

Die Svenja Pelzel jetzt zuhören, aufblickend in den Kuppelhimmel mit Taube, bilden gewissermaßen das Gruftteam. Sie eint die Überzeugung, dass es im Zweifelsfalle nichts Wichtigeres gibt als eine Gruft. Schließlich entfernte sich der Mensch von seiner Mittierheit einst auch durch die Sonderbarkeit, seine Toten zu bestatten. Und lässt sich nicht ein großes Stück deutscher Geschichte über diesen steinernen Friedhof erzählen?

Hauptarchitekt Gerhard Schlotter hat einen EU-weiten Wettbewerb gewonnen, er wird nicht zuletzt ein großes Domtreppenhaus wieder bis in den Keller hinunterführen. Mit einem moderaten Lächeln der Zuversicht vermessen seine Augen den großen Kirchenraum. Nein, protestantische Bescheidenheit atmet dieses Bauwerk nicht. Die Kuppel ist allzu deutlich der des Petersdoms nachempfunden, und ist es nicht ohnehin bedenklich katholisch in seinem Glanz?

Die Abgesandte des Denkmalschutzes ist ganz in Hoffnungsgrün gekommen, sie warnt, bloß nichts zu übereilen. Denn wo nichts gemacht wird, kann auch nichts kaputtgehen. Haushandwerker Ivo Markanovic dagegen ist die Gelassenheit selbst. Er kennt seinen Dom seit vielen Jahren. Es ist hier ungefähr wie beim BER-Flughafen: Man sieht ein Kabel irgendwo in der Wand verschwinden und weiß nie, ob und wo es wieder herauskommt. Darum hat die Projektleiterin ihm ein großes Chemnitzer Ingenieurbüro an die Seite gestellt. Die beiden Abgesandten der Licht Kunst Licht AG aber dürfen sich als die heimlichen Hauptpersonen wissen, auf ihnen ruhen die größten Hoffnungen.

Aber das versteht man erst unten in der Gruft.

700.000 Gäste kamen im letzten Jahr. Mit der Eröffnung des Humboldt Forums nebenan dürfte ihre Zahl nochmals steigen. Vor sechs Jahren hat die frühere Rundfunkjournalistin Svenja Pelzel als Domsprecherin angefangen. Früher war sie fürs Radio von einer Geschichte zur nächsten gejagt, jetzt ließ sie sich von einer einzigen großen einfangen. Früher war sie hergekommen, wenn sie Ruhe finden und eine wirklich gute Predigt hören wollte. Aber wie soll man Ruhe finden, wenn die Leichen im Keller keine haben?

Domsprecherin Svenja Pelzel (links) und Domarchitektin Sonja Tubbesing gehören zum Gruftteam des Berliner Doms.
Domsprecherin Svenja Pelzel (links) und Domarchitektin Sonja Tubbesing gehören zum Gruftteam des Berliner Doms.

© Kai-Uwe Heinrich

Ein ,Pssst‘ in der Luft

Schwer zu sagen, wann Svenja Pelzel das erste Mal auffiel, dass da unten etwas nicht stimmte. Es ist ein Friedhof, ein Camposanto. Aber die Leute kommen gewöhnlich von oben, vom Kuppelrundgang, vom Rundblick über Berlin, also noch voll von Licht und Außenwelt, redend und polternd die schmale Treppe herunter. So betritt man keinen Friedhof. Etwas müsste sie umstimmen, einstimmen. „Ein ,Pssst‘ müsste in der Luft liegen“, hat Svenja Pelzel schon oft gedacht.

Das Gruftteam steigt die Treppe hinab, geradeso wie gewöhnlich die Dombesucher, laut redend und disputierend. Unten vorm Eingang versperrt ein Wagen mit Hunderten Rollen Toilettenpapier den Weg, die kamen eben mit dem Fahrstuhl an. Das Gruftteam wechselt lange, beredte Blicke. Statt eines Vorraums hat dieser Campo Santo einen Kleinstflur mit Fahrstuhl und regem Lieferverkehr, daneben ist das WC.

In der Wiener Kapuzinergruft oder der Kathedrale von Saint-Denis in Frankreich wäre das undenkbar. Dabei sind die Sarkophage von Saint-Denis leer. Das Volk, die Gemeinschaft der Wutbürger von 1789, hatte die Inliegenden revolutionsbedingt in die Seine gekippt.

Kein Zweifel, auch Särge sind Historiografen. Schon wenn man sie anschaut, beginnen sie zu reden. Aber nicht hier unten. Es ist zu dunkel und doch andachtsfeindlich. Parkhausbeleuchtung, sagt Svenja Pelzel. Unter niedrigen Kreuzgewölben reiht sich hinter Gittern stumm Sarg an Sarg. Der des Großen Kurfürsten dagegen steht oben im Dom.

Der Große Kurfürst wird bis heute zu Recht verehrt als Begründer der brandenburgischen Glaubensfreiheit. Er erließ nach dem Dreißigjährigen Krieg das preußische Toleranzedikt. Aber die Füße seiner Grabstatt erzählen noch eine andere Geschichte, denn diese Füße sind aus steinernen Menschen gemacht. Schwarze Sklaven in Handeisen und wie Hunde hechelnde Löwen tragen den Sarg des Großen Kurfürsten auf ihren Rücken. Auf dem Gebiet des heutigen Ghana hatte Friedrich Wilhelm 1683 die Festung Groß Friedrichsburg begründet, die erste deutsche Kolonie. Die Füße der letzten Ruhestatt anderer Familienmitglieder sind aus Kanonenkugeln.

Zahlreiche Kindersärge

Das Erste, was aber auffällt, ist die große Anzahl von kleinen Särgen, von Kindersärgen. Schon darum ist diese Grablege ein großes Memento mori. Vor der hohen Säuglings- und Kindersterblichkeit schützte auch den Hochadel nicht viel. Kräftigungsmittel wie Rotwein und Getreidebrei versagten gewöhnlich. Die Letzte, die hier bestattet wurde, war ein kleines Mädchen, Enkelin von Wilhelm dem Zweiten, geboren und gestorben am 4. September 1915. Die Prinzessin war zu kurz auf der Welt, um überhaupt einen Namen zu bekommen.

Auf dem Deckel der kleinen prunkvollen letzten Ruhestatt des Prinzen von Oranien, geboren am 23. November 1707, gestorben am 13. Mai 1708, streckt ein Kind aus Marmor lebensprall die rechte Hand dem Dasein entgegen. Aber Totenköpfe tragen die Griffe seines Sarges zwischen ihren Zähnen. Wieder der gleiche Befund: Man sieht es kaum. Und die wenigen Texttafeln sind auch nicht zu entziffern.

„Es ist zu dunkel, um etwas zu lesen, und zu hell, um etwas zu fühlen“, fasst Svenja Pelzel die Situation zusammen, Kollegen sprechen auch von einem Kartoffelkeller. Die Mitarbeiter der Licht Kunst Licht AG schließen die Augen, einer fragt: Machen wir hier die erste Abdunklungsstufe? Vor allem aber sind die Gruft und ihre Besucher zu warm und zu feucht. Das ist der Gruft-Klimawandel.

Und doch lagen diese Toten schon lange nicht mehr so komfortabel und ruhig wie eben jetzt. Bevor das Feuer sie störte, war ihr größter Feind das Wasser. Das Spreehochwasser drang fast eineinhalb Jahrhunderte lang an die Särge. Und schuld war einmal mehr Friedrich II.

Der hatte nie die Absicht, sich neben seiner Familie begraben zu lassen. Seine letzten Nachbarn, die Nachbarn für alle Ewigkeit, sollte man besonders sorgfältig wählen, dachte der König. Also wollte er bei denen liegen, die er wirklich liebte: im Kreise seiner Hunde unter den Terrassen von Sanssouci.

Postmortale Hierarchien

700.000 Gäste kamen im vergangenen Jahr. Mit der Eröffnung des Humboldt Forums nebenan dürfte ihre Zahl nochmals steigen.
700.000 Gäste kamen im vergangenen Jahr. Mit der Eröffnung des Humboldt Forums nebenan dürfte ihre Zahl nochmals steigen.

© Paul Zinken/ dpa

Für den Rest der Familie errichtete er genau dort, wo heute der Dom steht, dessen Vorgängerbau. Seine Kritiker erkannten in ihm sofort eine „verunglückte Orangerie“. In den Nächten zwischen dem 25. und dem 31. Dezember 1749 sind 51 Särge von der alten Domkirche am Schlossplatz in die neue Gruft gebracht worden. Mehrere Särge, darunter die des Kurfürsten Johann Cicero, wurden vergessen. Anfangs vermisste sie niemand. Die Überführten jedoch wurden zu Wasserleichen der etwas anderen Art.

Der Architekt Friedrich August Stüler berichtet: „Die Särge der Vorfahren der Fürstenfamilie befinden sich jetzt in dem dunklen und feuchten Kellergeschoss des alten Domes, welcher Raum bei hohem Stand der Spree auf zehn Zoll Höhe unter Wasser steht.“

Keine Frage, Wilhelm II. hat den jetzigen, 1905 fertig gewordenen Dom nicht nur zur Verherrlichung des Herrn bauen lassen, man könnte es ein himmlisch-hohenzollernsches Joint Venture nennen: der Kaiser und sein Gott. Und doch wurde er nicht zuletzt der feuchten Gruft wegen errichtet.

Wichtige Särge mit wichtigen Leuten drin sollen künftig durch Licht hervorgehoben werden, erläutert Svenja Pelzel. Ein Raunen geht durch das Gruftteam. Das sei genau das, was sie nie gewollt hätte, wirft die Denkmalpflege ein und lässt offen, ob sie generell gegen die Errichtung postmortaler Hierarchien ist oder ob sie den Friedhofscharakter der Gruft bereits in Richtung eines Gruftmuseums überschritten sieht. Die Projektleiterin, assistiert vom Lichtmann, beeilt sich zu versichern, dass niemand daran denke, „irgendwelche Spots auf irgendwelche Särge zu richten“. Und der Abgesandte der Beleuchtungstechnik erläutert, dass die überwältigende Fülle der luminösen Möglichkeiten von heute erlaube, gewissermaßen jedes denkmalpflegerische Bedenken umzusetzen. Selbstleuchtende, nichtstrahlende Schilder!

Ansturm auf den toten Kaiser

Früher wäre man einfach den Hauptgang weiter von der PK in die DK gegangen. PK, ruft Svenja Pelzel dem Gruftteam zu, heiße Predigtkirche. Das, was man heute als den Berliner Dom bezeichnet, ist genau genommen nur ein Teil davon. Die DK, die Denkmalkirche, hat die DDR 1975 abgerissen, obwohl sie vom Krieg fast unbeschädigt war. Sie war die Trauerkapelle der Hohenzollern, hier standen ursprünglich die Prunksärge, von allen Seiten zugänglich und in gebührendem Abstand um ein Podest in der Mitte, auf dem der jeweils letzte Ankömmling aufgebahrt lag.

Wie wichtig das war, wurde spätestens klar, als im März 1888 Wilhelm I. starb. Vier Tage lang wurde er im alten Dom aufgebahrt. Schon am ersten gab es Verletzte im tumultartigen Ansturm derer, die gekommen waren, sich persönlich von ihrem Kaiser zu verabschieden. Fast eine Million begehrte Einlass, obwohl Zeitungen dringend abrieten: Ein Gang in den Dom sei „lebensgefährlich“.

Schwer zu sagen, ob die Partei- und Staatsführung der DDR diese Berichte kannte. Als sie nebenan den Palast der Republik errichtete, bat sie die DDR-Kirche dringend, den Dom wiederaufzubauen. Skurril war das schon. Aber eine Kirchenruine neben dem Republikpalast wäre dem Ansehen der DDR kaum förderlich gewesen, sprengen auch nicht. Der Wiederaufbau wurde schließlich mit maßgeblicher Hilfe der Bundesrepublik finanziert, aber eine Bedingung hatte das SED-Politbüro: Die Denkmalkirche muss weg! Was, wenn sie im wiedererstandenen Gotteshaus zum Wallfahrtsort würde für Leute, die statt eines Arbeiterkönigs am liebsten wieder einen Kaiser hätten?

Pelzel und ihre Kollegen haben das Projekt Denkmalkirche fest ins Auge gefasst. Zumal die stetig wachsende Domgemeinde keine eigenen Räume besitzt. Zu ihren besten Zeiten zählte sie 20 000 Berliner, nach 1990 gerade noch 200. Jetzt sind sie wieder 1700, Tendenz steigend.

Unbefugte Gebeine

Noch aber ist die Denkmalkirche ein Fernziel, anders als die Gruft. Das Gruftteam tritt aus dem Camposanto hinaus in einen Kreuzgang, unter dessen Bögen Techniker einen riesigen Koffer gehängt haben, so heißt ingenieurssprachlich ein Kabelsammelbehältnis. Der Kreuzgang ist nur noch ein Flur, Pelzel hat ihn schon immer mit inniger Feindschaft betrachtet. Aus dem Kreuzgang wird wieder ein Kreuzgang werden: aber vor allem ein Entree mit dem „Pssst“ in der Luft, eine Temperamentsschleuse plus Ausstellungsbereich zur Geschichte der Hohenzollern. Svenja Pelzel sieht schon alles vor sich.

Die neue Klimaanlage wird den Motten den Appetit auf die alten Stoffbezüge mancher Särge verderben. Einer, den man für leer hielt, wurde unlängst im Zuge der Stoffarbeiten geöffnet. Doch er war nicht leer, der Innensarg enthielt Gebeine, die da nicht hingehörten. Wie kommt ein Unbefugter in den falschen Sarg? Seitdem glauben manche, das sei Elisabeth Christine.

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