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Die letzte Schau. Im September 2013 verabschiedete sich Jil Sander von der Mailänder Modebühne.

© AFP

Zum 75. Geburtstag von Jil Sander: Jil Sanders Manifest der Reinheit

Sie ist Deutschlands einflussreichste Designerin, ihre Mode und ihr Gesicht sind weltbekannt – Jil Sander. Ihre Markenzeichen: minimalistische Entwürfe, zeitlose, klare Linien und allerbeste Materialien. Am kommenden Dienstag wird sie 75 Jahre alt.

„Der Luxus der Zukunft verabschiedet sich vom Überflüssigen und strebt nach dem Notwendigen“, schrieb der Dichter und Schriftsteller Hans Magnus Enzensberger 1996 in einem Essay. Fast könnte man meinen, er habe die Ästhetik von Jil Sander im Hinterkopf gehabt, die mit ihren puristischen Entwürfen seit den frühen 1970er Jahren als „Queen of less“ Modegeschichte schrieb.

Sie revolutionierte die deutsche Mode, feierte weltweit Erfolge mit ihren schnörkellosen Kollektionen und gab der ersten Generation von Businessfrauen ein passendes Outfit. Eine deutsche Mode-Ikone, die wie selbstverständlich den Zeitgeist erspürte und in zeitlose Kleidung umsetzte. Ihre Vision war ein neues, selbstbestimmtes Frauenbild – Mode für Frauen, die sich ab den 1970er Jahren den Weg in die Chefetagen bahnten. Mode für Frauen wie sie selbst. Stoffe, Schnitte und Proportionen sollten die Trägerinnen souverän und attraktiv erscheinen lassen, auf Augenhöhe in einem männlich dominierten Umfeld.

Ihr erstes Geschäftsmodell wird ein Flop

Zum Markenzeichen wurden ihre körperbetonten Hosenanzüge. Androgyn, vom Herrenschnitt inspiriert und gleichzeitig feminin, und das zu einer Zeit, in der noch einer Abgeordneten im Deutschen Bundestag mit dem Redeverbot gedroht wurde, sollte sie es wagen, im Hosenanzug auftreten. Jil Sander als erste Feministin der Mode, so jedenfalls beschreibt sie die renommierte britische Modejournalistin Suzy Menkes.

In den Schoß gefallen ist ihr der Erfolg nicht. Aufgewachsen im Nachkriegs-Hamburg, absolviert Sander in Krefeld eine Ausbildung zur Textilingenieurin, geht 1964 für zwei Jahre als Austauschschülerin in die USA und arbeitet nach ihrer Rückkehr als Moderedakteurin für die Frauenzeitschriften „Constanze“ und „Petra“. 1968 wagt sie den Schritt in die Selbstständigkeit und eröffnet im Hamburger Stadtteil Pöseldorf eine Boutique für hochwertige Damenmode. 1973 präsentiert sie ihre erste eigene Kollektion, bezahlbare Mode aus Stoffen, die sie aus Indien importiert. Qualitäts- und Produktionsprobleme machen aus dem ersten Versuch schnell einen Flop. Also dreht sie kurzerhand ihr Geschäftsmodell um und produziert ab 1974 unter dem Motto: gutes Design, erstklassiges Material, höchste Qualität in der Verarbeitung.

Jil Sander bei der Eröffnung ihrer Ausstellung im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt im November 2017.
Jil Sander bei der Eröffnung ihrer Ausstellung im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt im November 2017.

© Boris Roessler/dpa

Der Erfolg lässt nicht lange auf sich warten. Sie etabliert sich in den internationalen Märkten, ihre Kundinnen sind bereit, Höchstpreise für ihre Mode zu zahlen. Mit unbändigem Gestaltungwillen und unermüdlichem Arbeitseifer entwirft sie zwei Kollektionen pro Jahr, dazu Brillen, Schuhe und Taschen. Sie ist eine Perfektionistin, arbeitet so lange an den Kreationen, bis sie exakt ihren Vorstellungen entsprechen. Intensiv widmet sie sich der Stoffrecherche, experimentiert mit neuen Materialien und Hightech-Geweben, arbeitet mit exklusiven Manufakturen und Stoffherstellern, reist dafür um die Welt. Immer steht das Material am Beginn des kreativen Prozesses, aus dem sich das Design ableitet.

Nichts wird dem Zufall überlassen, auch ihr Unternehmen kontrolliert sie bis ins letzte Detail. Dieser aufreibende Spagat zwischen Kreativität und Management ist bei einer Firma dieser Größe unüblich. „Man muss immer sehen, dass man sich den Kopf freihält, dass man sich irgendwo auch die Naivität und den Spaß für die Mode erhält und nicht von allen unternehmerischen und kommerziellen Dingen erdrückt wird“, sagt sie in einem frühen Interview.

Mit ihrem Gesicht wirbt sie für Parfüm

Eine Herkulesaufgabe, denn das Unternehmen wächst stetig, 1989 führt sie es an die Börse, ein Novum in der Branche. Über 80 Geschäfte und Shop-in-Shops werden in den folgenden Jahren weltweit eröffnet. Mit dem amerikanischen Architekten Michael Gabellini gestaltet sie ihre aufwendigen Flagship-Stores als durchgestylte Modetempel, setzt auch dort auf teuerste Materialien und inszeniert ihre Produkte mit ästhetischer Stringenz; im perfekten Zusammenspiel aus Design und Architektur, Licht und Musik. Jil Sander als Szenografin, Jil Sander als Regisseurin, Jil Sander als bildschöne Frau, die ab Ende der 1970er Jahre mit ihrem eigenen Gesicht für ihre Parfums wirbt und damit weltberühmt wird. Spätestens jetzt ist die Marke untrennbar mit der zierlichen Person aus Hamburg verbunden. Und doch ist sie scheu geblieben, meidet Auftritte in der Öffentlichkeit, gibt ungern Interviews, wirkt ungelenk, wenn die Blicke auf sie gerichtet sind. Zum Markenzeichen sind ihre Sekundenauftritte nach den Shows geworden. Im persönlichen Gespräch jedoch ist sie unprätentiös und zugewandt.

Die Erfolgsgeschichte sollte fortgesetzt werden, doch für die weitere Expansion wurde frisches Kapital benötigt. 1999 fusionierte Jil Sander mit dem italienischen Modekonzern Prada. Was zunächst nach einer idealen Partnerschaft aussah, entpuppte sich schnell als Desaster. Es krachte zwischen der Hanseatin und dem cholerischen Mailänder Prada-Chef Patrizio Bertelli. Sie verlässt das Unternehmen, doch die Marke funktioniert nicht mehr ohne ihre Gründerin. Drei Mal kommt Jil Sander als Kreativdirektorin wieder zurück. Als ihre inzwischen verstorbene Lebensgefährtin schwer erkrankt, zieht sie 2013 endgültig den Schlussstrich und kehrt dem Modebusiness den Rücken.

Im vergangenen Jahr zeigte sie bei der Vorbereitung zu ihrer ersten Retrospektive im Frankfurter Museum Angewandte Kunst noch einmal, warum sie die einflussreichste Designerin Deutschlands ist. Die Ausstellung trug zu 100 Prozent ihre perfektionistische Handschrift.

Bettina Hagen

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