zum Hauptinhalt
Struktur des Proteins HSP90, das besonders von Tumorzellen benötigt wird. Das kleine rote Molekül in der Mitte mit den sechseckigen Ringen könnte die Funktion von HSP90 hemmen. Es wurde mit Hilfe 
von Maschinellem Lernen gefunden.

© Sarah Böning

Tabletten gegen Krebs aus dem Rechner? : Wie Künstliche Intelligenz die Medizin bereichern könnte

Im Exzellenzcluster „Unifying Systems in Catalysis“ (UniSysCat) forscht Ariane Nunes Alves mit Methoden des Maschinellen Lernens an Arzneistoffen.

Frau Nunes Alves, Ihre Arbeitsgruppe erforscht unter anderem Grundlagen für neue Medikamente. Doch der Exzellenzcluster, dessen Mitglied Sie sind, beschäftigt sich mit Katalysatoren …
Die Öffentlichkeit kennt vor allem Katalysatoren, die etwa in Autos eingebaut werden. Aber es gibt auch biologische Katalysatoren, die sogenannten Enzyme. Davon gibt es Tausende im Körper und wir kennen sie längst nicht alle. Sie sind für das Leben fundamental wichtig und damit natürlich auch Ansatzpunkte für die Pharmaforschung.

An welchen Medikamenten arbeiten Sie derzeit?
Zwei Masterstudierende von mir arbeiten gerade an dem Protein HSP90, ein Hitzeschock-Protein. Es sorgt dafür, dass sich andere Proteine nach starker Hitzeeinwirkung wieder in ihre ursprüngliche Form zurück falten. HSP90 wirkt also genau gemäß der Definition für einen Katalysator. Es bewirkt etwas, bleibt dabei aber selber unverändert.

Jetzt haben Sie von einem Protein geredet und nicht von einem Enzym …?
Die meisten Enzyme sind Proteine. Das Protein HSP90 wirkt als Enzym, als Bio-Katalysator. Das Spannende ist, dass Krebszellen viel mehr davon bilden als andere Zellen. Offenbar ist HSP90 wichtig für die Krebszelle. Wenn wir also einen Stoff finden, der die Produktion oder die Funktion von HSP90 hemmt, hätten wir ein mögliches neues Krebsmedikament.

Jetzt arbeitet Ihr gesamtes Team gar nicht im Labor, sondern am Computer. Was tun Sie da?
Wir verwenden Computer, um die Wechselwirkung von Stoffen mit Proteinen zu verstehen. Wie gut ein Stoff die Funktion eines Proteins hemmt, hängt von seinen chemischen Eigenschaften ab. Verbindet er sich nur mit dem Zielprotein oder kann er auch andere Proteine angreifen? Das würde zu unerwünschten Nebenwirkungen führen. Wichtig ist auch, wie leicht sich der Stoff wieder vom Protein löst. Dann hemmt er es nicht mehr … und könnte woanders Schaden anrichten.

Müssen dafür nicht vorher alle chemischen Eigenschaften des Stoffs bestimmt worden sein?
Nein, das ist ja das Tolle. Wir können mit Methoden des Maschinellen Lernens Aussagen über die chemischen Eigenschaften eines Stoffs treffen, auch wenn er noch nicht aufwendig im Labor untersucht wurde. Das beschleunigt die Suche nach potenziellen Medikamenten mit bestimmten vorteilhaften Eigenschaften ungemein.

Wie funktioniert dieses Maschinelle Lernen?
Nehmen wir mal die Methode, die wir auch bei HSP90 anwenden. Die trägt den poetischen Namen Random Forest, also „zufälliger Wald“. Grundprinzip ist eine Baumstruktur aus Ja-Nein-Entscheidungen. Diesen Baum können wir zum Beispiel fragen, ob ein Stoff wasserlöslich ist. Er beginnt dann mit einer ersten Abfrage zu bestimmten Parametern des Stoffes, etwa zum Molekulargewicht. Ist dieses unter einer bestimmten Schwelle, ist der Stoff wahrscheinlich wasserlöslich. Liegt es darüber, ist er es eher nicht. In beiden Fällen geht es dann weiter zur nächsten Abfrage, vielleicht zur Anzahl der Wasserstoff-Atome, und so weiter.

Erinnert mich an Psychologie-Selbsttests in Zeitschriften …
Ja, genau! Bin ich intro- oder extrovertiert? Und dann das Ja-Nein-Diagramm: Gehst du auf Partys gleich auf Leute zu? Machst du Smalltalk bei der Friseur:in? Und jeder Pfad führt zu einer Auswertung.

Aber was ist das Zufällige an Random Forest?
Zunächst trainieren wir das Programm mit Daten von bereits gut untersuchten Substanzen, um die Schwellenwerte so anzupassen, dass deren Stoffeigenschaften richtig vorhergesagt werden. Am Ende wollen wir aber die Eigenschaften von nicht untersuchten Substanzen voraussagen. Deshalb verwenden wir nicht einen Entscheidungsbaum, sondern einen ganzen Wald. Jeder der Bäume wird mit einer zufälligen Teilmenge der Parameter und den dazugehörigen Trainingsdaten erstellt, damit die Bäume unterschiedlich sind. Am Schluss nehmen wir den Durchschnitt der Endergebnisse aller Bäume. Mit der Einführung des Zufalls passen wir uns quasi an das Unbekannte an, und der Mittelwert aus vielen Antworten sorgt für die größte Verlässlichkeit.

Haben Sie so auch schon einen Stoff gefunden, der HSP90 hemmt?
Tatsächlich haben wir, allerdings noch im Bereich der Grundlagenforschung, einen Kandidaten, ein Derivat des Stoffes Indazol. Ein paar andere mit Hilfe des Maschinellen Lernens gefundene potenzielle Medikamente befinden sich aber schon in der klinischen Testung, etwa ein Mittel gegen verschiedene Tumorarten.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false