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Frauen, die das Kopftuch öffentlich ablegen, können im Iran ins Gefängnis kommen.

© AFP

Stimmen des Exils - zum Tag der Menschenrechte: Werte versus Interessen

Mit Diktatoren umgehen: Was Iraner*innen in Deutschland über die Außenpolitik der Bundesregierung denken

Berlin und Teheran: Die Beziehungen zwischen den beiden Regierungen sind kompliziert. Deutschland hält auch nachdem die USA das Atomabkommen aufgekündigt haben, an den Beziehungen zu Teheran fest. Doch was ist der Preis dafür? Der Iran missachtet Menschenrechte, Frauen, die ihr Kopftuch öffentlich ablegten, sind in Haft, Oppositionelle müssen mit harten Strafen rechnen. Gerade erst wurde die deutsch-iranische Architektin und Menschenrechtsaktivistin Nahid Taghavi im Iran verhaftet.

Dem Regime zum Gründungstag gratulieren

Die Iraner, die in Deutschland leben, beobachten ihr Herkunftsland genau. Was wünschen sie sich von der Bundesregierung? „Um ein Atomabkommen mit dem Iran zu retten, hat Deutschland zwei massive Proteste im Iran – im Jahr 2017/2018 und auch im Jahr 2019/2020 – mit beispielloser Gleichgültigkeit ignoriert“, sagt Masoud Paydari. Der 35-Jährige arbeitet in einem Präventionsprojekt gegen Radikalisierung. Er kritisiert die deutsche Außenpolitik scharf: Sie sei ineffizient, weil sie die Menschenrechte im Iran für weniger wichtig halte als die Aufrechterhaltung des internationalen Atomabkommens. Ähnlich sieht dies auch Tahereh Lindhorst. Die 67-Jährige ist im Vorstand des Berliner Flüchtlingsrates. „Die Islamische Republik hat, gemessen an der Bevölkerungszahl, die höchste Hinrichtungsrate der Welt“, sagt sie. „Viele Mädchen und Frauen sitzen in Haft, weil sie ihr Kopftuch abgenommen haben.“ Das hindere den Bundespräsidenten nicht daran dem Regime zum Gründungstag zu gratulieren.

Menschenrechte werden von den Regierungen festgelegt

Leila, 46, ist kurdische Aktivistin und lebt als Geflüchtete in Deutschland. „Während Proteste im Iran niedergeschlagen werden, drängen die Industrieländer zwar auf Menschenrechte, verkaufen aber Kriegswaffen an Diktatoren und interagieren gut mit ihnen“, sagt sie. Deutschland werde niemals seine politischen und wirtschaftlichen Interessen zugunsten des iranischen Volkes gefährden. „Die Situation im Iran bringt mich dazu, das Konzept der Menschenrechte insgesamt in Frage zu stellen“, sagt die 30jährige Filmschaffende Atefeh. Das beste Beispiel für die Absurdität der Menschenrechte sei die aktuelle Situation im Iran. „Wo sind die Rechte von deutsch-iranischen Staatsangehörigen, die von der iranischen Regierung festgenommen wurden? Meiner Ansicht nach gehören die 'Menschenrechte' nicht allen Menschen. Diese Rechte werden nur im Interesse der Regierungen festgelegt.“

Ein buntes Völkchen, viele Meinungen

Reza Rahimi sieht das pragmatischer: Er ist 60 Jahre und fährt seit vielen Jahren in Berlin Taxi. „Nach dem Grauen des Zweiten Weltkrieges wurden die Vereinten Nationen gegründet, um sich um die Menschenrechte zu kümmern“, sagt er. Deutschland kümmere sich um seine Angelegenheiten und fahre seit Jahrzehnten einen ähnlichen Kurs. „Sie versuchen, den Status Quo beizubehalten“, sagt er. Daran sei nichts auszusetzen. Die Iraner, die in Berlin leben, sind ein buntes Völkchen. Manche leben seit Jahrzehnten hier, andere sind kürzlich gekommen. Viele haben aus politischen Gründen ihr Land verlassen, andere sind aus wirtschaftlichen Gründen gekommen, oder weil sie studieren wollen. Ebenso breit ist das Meinungsspektrum, wenn es um Beziehungen zwischen Deutschland und dem Iran geht. Eines allerdings ist klar: Niemanden lassen die Beziehungen kalt. Kein Wunder, schließlich geht es um die Beziehungen zwischen ihrer alten und ihrer neuen Heimat.

Dieser Text erscheint im Rahmen des Projekts "Stimmen des Exils" von Tagesspiegel und Körber-Stiftung. Der Tagesspiegel veröffentlicht seit 2016 regelmäßig Texte von Exiljournalist*innen unter dem Titel #jetztschreibenwir. Die Körber-Stiftung macht in ihrem Fokusthema „Neues Leben im Exil“ die journalistischen, künstlerischen, politischen oder wissenschaftlichen Aktivitäten exilierter Menschen in Deutschland sichtbar. Dafür kooperiert sie z.B. mit den Nachrichtenplattformen „Amal, Berlin!“ und „Amal, Hamburg!“ oder organisiert Fachveranstaltungen (Exile Media Forum). Mehr Beiträge zum Tag der Menschenrechte finden Sie hier - ein Video von „Amal, Berlin“-Redakteurin Amloud Alamir über die Menschenrechtlerin Joumana Seif, deren Familie verschwunden ist. Sie kämpft für die Rechte politischer Gefangener in Syrien. Außerdem einen Text von Can Isa Artar über Folter und Misshandlung von Dorfbewohnern in der Türkei.

Mina Irani

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