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Wir möchten mithelfen, die Probleme zu lösen.

© Mike Wolff

Stimmen des Exils - zum Tag der Menschenrechte: Neue Wurzeln im Sandboden

Mein Exil: Khalid Alaboud ging mit einer Tüte los - und verliebte sich gleich in Berlin.

Vor acht Jahren, im Herbst 2012, habe ich mich auf den Weg gemacht. Ich hatte nur eine Plastiktüte dabei. Meine Mutter hatte mir einen Koran und einen selbstgewebten Schal eingepackt, dazu einige Wintersachen. Die Tüte trug ich in der Hand. In meinem Kopf hatte ich noch ein Gepäckstück: eine Kiste. Sie war voller Träume für die Zukunft, dazu die guten Wünsche meiner Mutter. In Syrien konnte ich nicht bleiben, weil ich als Oppositioneller in Gefahr war. So kam ich nach Jordanien. Zwei Jahre später gelangte ich mit Hilfe von „Reporter ohne Grenzen“ nach Deutschland. Inzwischen war mein Gepäck zu einem Koffer angewachsen. Dafür war der Traum von einer sicheren Rückkehr zu einem Träumchen zusammengeschrumpft. Ich hatte ihn durch Neugier und den Wunsch, möglichst viel zu lernen, ersetzt.

Berlin steht für Neuanfang

Berlin hieß mich mit seinem grauen Herbsthimmel willkommen. Ich habe mich von Anfang an in die Stadt verliebt. Für mich steht sie dafür, dass man nach der totalen Zerstörung wieder auferstehen und zu neuer Blüte gelangen kann. Mir stellten sich viele Fragen: Sollte ich weiter als Journalist arbeiten? Oder lieber als Arabischlehrer? Vielleicht studieren? Ich nahm als erstes die Sprache in Angriff. Da tat sich eine Tür auf und ich machte ein Praktikum bei rbbKultur. Gemeinsam mit Chadi Bahouth moderierte ich eine Tandem-Sendung: Er, der als Kind libanesischer Eltern in Deutschland aufgewachsen ist, sprach über sein Leben in Deutschland und ich über meinen Weg als Neuangekommener.

Die alten Wurzeln passen nicht in den neuen Boden

Ich lernte viel: Ich erkannte den Unterschied zwischen meinem Vaterland, meiner Kultur und dem neuen Land und seiner Kultur. Ich war wie ein Baum, der aus dem Boden gerissen wurde, um in einen neuen Boden gepflanzt zu werden. Doch irgendwie passten die alten Wurzeln des Baumes, die in syrischer Erde gewachsen waren, nicht so recht in den Berliner Sandboden. Erst langsam musste ich neue Wurzeln entwickeln. Wie entwickelt man Wurzeln? Das fragte ich mich auch. Ich musste lernen, dass Begriffe unterschiedliche Bedeutung haben können. Was ich in meiner Heimat Revolution nannte, wird von der deutschen Presse als Bürgerkrieg bezeichnet. Dazu kamen Klischees und komische Fragen, die ich ständig beantworten musste. Und politische Herausforderungen: Mit meiner Ankunft und der vieler anderer aus Syrien wurden die Rechtsextremen immer lauter. Sie taten alles, um uns in ein schlechtes Licht zu stellen. Doch das Gute ist: Sie schaffen es nicht. Die Deutschen haben Erfahrung mit diesen Stimmen des Hasses und sie wehren sich dagegen. Zu meinen liebsten Erinnerungen zählt die Kampagne 2018: „Wir sind mehr!“. So einfach und so klar!

Glück färbt ab

Eine andere Herausforderung ist, politisch mitzureden. Entscheidungsträger sollten mit uns reden, statt über uns zu reden, und wir wollen mithelfen, die Probleme zu lösen. So wie Corona alle trifft, sind auch alle Leidtragende von rechter Gewalt und Rassismus. Sie vergiften das gesellschaftliche Klima. Abschiebungen in Länder, die nicht sicher sind, schaden nicht nur den Betroffenen. Ungerechtigkeit höhlt die Demokratie aus. Familienzusammenführungen hingegen machen nicht nur die betroffenen Familien glücklich: Glück färbt ab. Meine Flügel haben mich ins Exil gebracht und ich bin ich dabei, neue Wurzeln zu schlagen. Noch sind sie zart und tun sich schwer, im Boden Halt zu finden. Doch sie werden es schaffen und dann werde ich Früchte tragen, von denen ich gerne allen etwas abgebe.

Der Autor, 36, ist Redakteur bei der Nachrichtenplattform „Amal, Berlin!“

Dieser Text erscheint im Rahmen des Projekts "Stimmen des Exils" von Tagesspiegel und Körber-Stiftung. Der Tagesspiegel veröffentlicht seit 2016 regelmäßig Texte von Exiljournalist*innen unter dem Titel #jetztschreibenwir. Die Körber-Stiftung macht in ihrem Fokusthema „Neues Leben im Exil“ die journalistischen, künstlerischen, politischen oder wissenschaftlichen Aktivitäten exilierter Menschen in Deutschland sichtbar. Dafür kooperiert sie z.B. mit den Nachrichtenplattformen „Amal, Berlin!“ und „Amal, Hamburg!“ oder organisiert Fachveranstaltungen (Exile Media Forum). Mehr Beiträge zum Tag der Menschenrechte finden Sie hier - ein Video von „Amal, Berlin“-Redakteurin Amloud Alamir über die Menschenrechtlerin Joumana Seif, deren Familie verschwunden ist. Sie kämpft für die Rechte politischer Gefangener in Syrien. Außerdem einen Text von Can Isa Artar über Folter und Misshandlung von Dorfbewohnern in der Türkei.

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