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© dpa

Formel 1: Zwischen Horror und Fantasy

Massas Unfall, Hamiltons Sieg, Renaults Sperre und Gerüchte um Schumachers Comeback prägen ein verrücktes Formel-1-Rennen in Ungarn.

Normalerweise schreibt ein Formel-1-Rennen eine Geschichte, doch der Große Preis von Ungarn 2009 lieferte Stoff für eine ganze Bibliothek, und von Comedy über Fantasy bis Horror war alles dabei. Da war zunächst einmal die Horrorgeschichte des Unfalls von Ferrari-Pilot Felipe Massa, der weiterhin mit schweren Kopfverletzungen im Budapester Militärkrankenhaus liegt. Als er am Sonntag zwischenzeitlich kurz aus dem künstlichen Koma erwacht war, habe er aber gesprochen und auf die Frage, ob er Schmerzen habe, mit dem Kopf geschüttelt. Danach sei er zurück ins künstliche Koma versetzt worden, teilte Ferrari mit, und dort habe sich der 28 Jahre alte Brasilianer auch am Montagmorgen noch befunden. „Felipes Nacht verlief sehr positiv“, sagte Ferrari-Teamchef Stefano Domenicali dem Tagesspiegel, bevor er das Hotel New York Palace in Budapest verließ und wieder zu seinem Piloten ans Krankenbett fuhr. „Heute im Laufe des Tages hat er eine weitere Untersuchung, die sehr wichtig ist.“ Ein Sprecher des ungarischen Verteidigungsministeriums berichtete später, Massa bewege bereits wieder Hände und Füße. Wenn man ihn anspreche, antworte er mit Bewegungen.

Massas persönlicher Arzt Dino Altmann teilte nach einem Gespräch mit dem behandelnden Arzt mit, der Pilot habe keine Verletzung des Hirngewebes davon getragen. Der behandelnde Neurologe habe ihm mitgeteilt, dass Massa „ein kleines Ödem“ (Schwellung) im Hirn-Nervengewebe erlitten habe. Es handele sich aber nicht um ein Hämatom oder gar eine Verletzung. Altmann betonte am Sonntag, der Zustand Massas sei ernst, er schwebe aber nicht in Lebensgefahr. Massa werde zunächst mit kurzen wachen Augenblicken beginnen. „Danach werden diese (wachen) Zeitabschnitte ausgedehnt.“

Ein weiteres Thema des Wochenendes war neben Massas Unfall die Groteske um das umherspringende Vorderrad des zweimaligen Weltmeisters Fernando Alonso, das sein Team Renault nicht richtig befestigt hatte und deswegen vom nächsten Rennen nach der Sommerpause in Valencia ausgeschlossen wurde.

Da war weiter das slapstickhafte Straucheln der WM-Favoriten, von denen der Red-Bull-Pilot Mark Webber als Dritter noch am besten abgeschnitten hatte. Der WM-Führende Jenson Button im Brawn-Mercedes hatte seinen Abwärtstrend fortgesetzt und war nur Siebter geworden, Webbers Teamkollege Sebastian Vettel war nach einem wiederholt schlechten Start und einer Kollision mit dem zweitplatzierten Ferrari-Fahrer Kimi Räikkönen gar mit einem Aufhängungsdefekt ausgeschieden. Vettel fiel dadurch auf Rang drei der WM-Wertung zurück und musste sich in Zweckoptimismus flüchten: „Das ist bitter, aber es sind noch ein paar Große Preise zu fahren, das Rennen geht weiter.“

Dann war da noch das Märchen von der Wiederauferstehung von Weltmeister Lewis Hamilton und McLaren-Mercedes. „Ein bisschen wie in alten Zeiten, das ist schön zu sehen“, sagte Hamilton mit verklärtem Blick, nachdem er über weite Strecken souverän vorneweg gefahren war. „Der Dank dafür gebührt allen Mitarbeitern, sie haben nie aufgegeben, was sehr selten im Leben ist.“ Auch Norbert Haug sah in dem Sieg „eine Belohnung für unsere Anstrengungen“. Nach dem verkorksten Saisonstart hätte die ganze Belegschaft „geschuftet wie noch nie“, sagte der Mercedes-Motorsportchef, teilweise hätten Mitarbeiter 36-Stunden-Schichten abgeliefert. Das ist nun erst einmal vorbei, denn in der Sommerpause dürfen die Teams aus Kostengründen keine Weiterentwicklung der Autos betreiben. „Da kann ich mir auch mal ein paar Tage Urlaub gönnen“, sagte Haug. „Aber die Aufholjagd ist noch nicht beendet.“ Er erhofft sich wie der neue McLaren-Chef Martin Whitmarsh „weitere Siege“ in dieser Saison, versprach aber gleichzeitig, trotz des Mercedes-Motors im Brawn keinen Einfluss auf das Titelrennen nehmen zu wollen: „Wir werden keinem absichtlich die Reifen aufschlitzen. Wir fahren volle Kanone für uns, da sind wir ganz egoistisch.“

Und dann war da noch eine Geschichte, die in kein Genre so richtig einzuordnen war und unentschieden zwischen Realismus und Fantasy pendelte.

Partout wollte das Gerücht nicht aus dem Fahrerlager des Hungarorings verschwinden, dass Michael Schumacher Felipe Massa bis zu dessen Genesung einstweilen hinter dem Lenkrad des Ferrari vertreten könnten. Zwar dementierte Willi Weber, der Manager des 2006 zurückgetretenen Rekordweltmeisters, dies entschieden und verkündete dem Tagesspiegel gegenüber: „Das sind Spekulationen. Das kann ich mir nicht vorstellen.“ Doch aus Schumachers nächstem Umfeld kam die Kunde, der 40-Jährige, der bei den Italienern noch bis Ende des Jahres einen Vertrag als Berater hat, sei sehr wohl eine Option, die Ferrari in Erwägung ziehen könne. Auch Ferrari weigerte sich beharrlich, die Gerüchte mit einem klärenden Statement aus der Welt zu schaffen und lieferte sogar noch Dünger, um sie fleißig wuchern zu lassen. Es gebe neben den beiden Testfahrer ja noch einen, der früher für das Team gefahren sei und es immer noch gut kenne, ließ Pressesprecher Luca Colajanni verlauten.

Am Montag vermied Teamchef Stefano Domenicali weiter ein eindeutiges Dementi: „Felipes Genesung hat Priorität, wir haben uns mit der Frage nach einem Ersatzpiloten noch nicht beschäftigt. Wir werden in dieser Woche darüber nachdenken. Es wäre falsch, jetzt schon ja oder nein zu sagen.“ Und da sich auch Schumacher weiterhin nicht offiziell dazu äußerte, köchelte die Diskussion weiter und lenkte die Aufmerksamkeit von Felipe Massas Zustand ab. Oder war das am Ende der Zweck der Übung?

Nüchtern betrachtet spricht allerdings so ziemlich alles dagegen, dass der Kerpener ins Cockpit zurückkehrt. Zunächst einmal besitzt er keine für einen Formel-1-Start nötige Superlizenz mehr, außerdem ranken sich seit seinem Motorradunfall Anfang des Jahres in Spanien Gerüchte um seinen Gesundheitszustand. Weiterhin sind Schumachers Aussichten bescheiden, seinen 91 Grand-Prix-Siegen einen weiteren folgen zu lassen. Er ist seit eineinhalb Jahren kein Formel-1-Auto mehr gefahren, der Ferrari ist nicht wirklich siegfähig, er hat das von Schumacher noch nie benutzte Turbo-Boost-System Kers und die Strecke in Valencia wurde erst nach Schumachers Karriereende errichtet und ist ihm somit unbekannt. Außerdem hat Ferrari in Luca Badoer und Marc Gene zwei offizielle Testfahrer. Da erscheint sogar das absurde Szenario realistischer, dass der angeblich schon mit einem Ferrari-Vertrag für die nächste Saison ausgestattete Fernando Alonso einen Gastauftritt bei den Italienern geben könnte, sollte Renaults Einspruch gegen die Sperre in Valencia erfolglos bleiben.

Zumindest ein Grund dafür, Schumachers möglichen Einsatz im Ferrari ein paar Zentimeter aus dem Reich der Fabel zu holen, ließ sich aber doch finden. Vor gut einer Woche hatten sich einige Formel-1-Piloten – aktuell und ehemalige – zu einem privaten Kartrennen in Lonato (Italien) getroffen. Sebastian Vettel war dabei, auch Robert Kubica, der als einer der besten Kartfahrer gilt. Wer denn gewonnen habe, wurde der BMW-Pilot daraufhin gefragt. Kubica antwortete: „Michael Schumacher."

Christian Hönicke[Budapest]

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