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Für Jana Majunke war es im Straßenrennen der größte Erfolg ihrer bisherigen Karriere.

© dpa

Medaillenregen bei den Paralympics: Zwei Mal Gold, zwei Mal Silber und vier Mal Bronze

Mit acht Medaillen war es für den deutschen Para-Radsport ein erfolgreicher Tag. Die Vorbereitung auf die Spiele war hart.

Um 8.24 Uhr Ortszeit war es am Dienstag so weit. Jahrelang hatte die Spitzenklasse des deutschen Para-Radsports auf diesen Moment hingearbeitet, länger als sonst, in der jüngsten Vergangenheit besonders intensiv. Mehrere Höhentrainingslager wurden absolviert, um sich auf die besonderen Bedingungen der Strecke in Tokio einzustellen, zuletzt für knapp drei Wochen im italienischen Livigno. Die Weltmeisterschaft im Juni in Cascais in Portugal hatte gezeigt, was möglich war. Zwölf Athletinnen und Athleten aus sechs Startklassen nominierte Bundestrainer Tobias Bachsteffel für die Straßenwettkämpfe bei den Paralympics in Tokio.

Um 8.24 Uhr rollte mit Kerstin Brachtendorf die erste deutsche Sportlerin von der Rampe. Sie eröffnete den großen Tag der paralympischen Zeitfahrrennen, auf dem nicht nur die Medaillenhoffnungen des deutschen Para-Radsports, sondern auch die der gesamten deutschen Delegation lagen. Von seinem großen Ziel – einer Top-10-Platzierung im Medaillenspiegel – war das deutsche paralympische Team bis zu diesem Tag noch weit entfernt. Und Brachtendorf lieferte. 38:34.49 Minuten nach ihrem Start war klar, es würde für Bronze reichen, einzig die beiden britischen Favoritinnen Dame Sarah Storey (Gold) und Crystal Lane-Wright musste die 49-Jährige ziehen lassen. Ein gelungener Auftakt in den so bedeutungsvollen Wettkampftag.

Und es sollte genau so weitergehen. Michael Teuber, der gemeinsam mit der Rollstuhlbasketballerin Mareike Miller bei der Eröffnungsfeier die deutsche Fahne getragen hatte, kopierte kurzerhand den Erfolg von Kerstin Brachtendorf und fuhr in seiner Paradedisziplin ebenfalls auf Platz drei – für Teuber die siebte paralympische Medaille bei seiner sechsten Teilnahme. Der große Coup blieb dem 53-Jährigen dennoch verwehrt: Der Russe Mikhail Astashov verhinderte die vierte Goldmedaille Teubers in Folge beim paralympischen Zeitfahren. Seine Freude trübte das nicht, im Gegenteil: Teuber hatte „nicht unbedingt noch mit einer Medaille gerechnet“, obwohl er „erstaunlicherweise das beste Rennen meines Lebens“ gefahren war. Kollege Pierre Senska verpasste in der gleichen Kategorie das Podest knapp: War er in der vergangenen Woche über 3000 Meter auf der Bahn noch zwei Plätze vor Teuber gelandet, reichte es an diesem Tag nur für Platz vier.

Annika Zeyen fuhr auf dem Handbike zu Gold

Dem bisherigen Tag und vor allem sich selbst setzte Annika Zeyen die Krone auf. In ihrer Startklasse H1-3 fuhr die querschnittgelähmte Sportlerin der gesamten Konkurrenz davon und kam nach 32:46,97 Minuten ins Ziel – knapp eine dreiviertel Minute vor der Zweitplatzierten, der Italienerin Francesca Porcellato. Dabei lag sie während des Rennens lange gar nicht auf Medaillenkurs, eine starke Aufholjagd führte die Bonnerin an die Spitze: „Der letzte Teil lief unheimlich gut als es berghoch ging, da habe ich viele aus meiner Klasse vor mir gesehen. Ich habe gemerkt, ich komme näher, ich kann sie überholen. Das war richtig cool“, sagte sie nach dem Rennen zum Tagesspiegel. Der Medaillengewinn sei „unglaublich. Ich habe noch nie ein Zeitfahren gewonnen. Das erste Zeitfahren bei den Paralympics zu gewinnen – kann man mal machen“. Für Zeyen ist die Medaille eine besondere: Bei ihrer fünften Teilnahme an paralympischen Spielen trat die 36-Jährige zum ersten Mal im Handbike an. Nach zweimal Silber und einmal Gold im Rollstuhlbasketball ist es für sie nun die erste Medaille im Radsport.

Auch bei den Männern gab es eine Handbike-Medaille zu bejubeln: Vico Merklein holte sich in seiner Startklasse Silber. Er habe „noch nie so ein langes Zeitfahren gehabt und auch ehrlich gesagt noch nie so ein hartes“, resümierte der Routinier nach dem Wettkampf. Gold ging an den Österreicher Walter Ablinger, obwohl Merklein mit einem Schmunzeln auch in Richtung des wertvollsten Edelmetalls schielte. „Hätte, hätte, Fahrradkette sagt man bei uns“, so Merklein.

Schindler sichert sich im Schlussspurt Bronze

Ein packendes Kopf-an-Kopf-Rennen um die Medaillenränge lieferten sich einige Stunden später die beiden deutschen Starter Steffen Warias und Matthias Schindler mit ihren britischen Konkurrenten Benjamin Watson und Finlay Graham in der Startklasse C3. Nachdem sich Watson, Warias und Graham zunächst auf den ersten drei Plätzen einsortierten, schlug die Stunde des Nürnbergers Schindler. In einem beeindruckenden Schlussspurt schob sich der 39-Jährige an der Zeit seines britischen Kontrahenten vorbei und sicherte sich so bei seiner ersten paralympischen Teilnahme direkt die Bronzemedaille. Nach dem Rennen kam erst die Kraft, dann die Erleichterung: „Ich habe erstmal nicht viel gecheckt, weil ich so am Limit war, dass ich mich erstmal wieder sammeln musste. Jetzt geht’s mir gut. Der ganze Druck, den man sich natürlich selber macht, der ist jetzt weg“, sagte Schindler. An der Spitze änderte sich nichts mehr, Watson gewann souverän Gold, Warias holte Silber.

Inspiriert von Annika Zeyen wurde wohl Jana Majunke. Im letzten Zeitfahren des Tages fuhr die Cottbusserin mit ihrem Dreirad kompromisslos in 36:06.17 Minuten zu Gold. Zur Waffe wurde – wie bei Annika Zeyen – die Leistung an der steilsten Stelle: „Ich wusste, dass ich gut am Berg fahren kann und die Strecke kam mir auch sehr entgegen. Am Ende hat es gereicht und ich bin sehr glücklich darüber“, verriet sie dem Tagesspiegel. Für die 31-Jährige amtierende Weltmeisterin und paralympische Bronzemedaillengewinnerin (2016 in Rio) im Straßenrennen ist das Ergebnis der größte Erfolg ihrer bisherigen Karriere. Kollegin Angelika Dreock-Käser wusste auch zu überzeugen: Knapp 48 Sekunden mehr auf die Strecke als Majunke reichten für die amtierende Weltmeisterin im Zeitfahren bei der ersten paralympischen Teilnahme direkt zur ersten Bronzemedaille, Silber ging an die Australierin Carol Cooke.

Acht Medaillen sprangen für das deutsche Team heraus

Überschattet wurde der Wettkampftag von einer Reihe an Stürzen und gefährlichen Manövern in verschiedenen Wettkampfklassen. Aufgrund der engen Taktung der Zeitfahrwettbewerbe war die Strecke auf dem Fuji International Speedway oft von mehreren Fahrer*innen gleichzeitig besetzt, die sich an engen Stellen gegenseitig in die Quere kamen.  

Für die deutschen Straßenradfahrer*innen bleibt der Tag in Erinnerung. Knapp sechs Stunden, nachdem Kerstin Brachtendorf zu ihrer großen Mission aufgebrochen war, war klar: Die Erwartungen wurden erfüllt. Acht Medaillen, zwei Mal Gold, zwei Mal Silber und vier Mal Bronze standen am Ende des Tages auf der Haben-Seite, dazu kommt die Bronze-Medaille, die Denise Schindler in der ersten Woche der Paralympics in der Verfolgung über 3000 Meter auf der Bahn gewann. Ergebnisse, an die angeknüpft werden soll.

In den kommenden Tagen stehen für die gleichen Fahrer*innen noch die Straßenrennen in ihren jeweiligen Startklassen an. Kerstin Brachtendorf fährt erst am vorletzten Tag – für einen erfolgreichen Start muss dann also jemand anderes sorgen.

Dieser Text ist Teil der diesjährigen Paralympics Zeitung. Alle Texte unserer Digitalen Serie finden Sie hier. Alle aktuellen Entscheidungen und Entwicklungen lesen Sie in unserem Paralympics Blog.

Lennart Glaser

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