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Tobias Tönnies und Robert Schulze haben bisher 530 DHB-Einsätze zu verbuchen

© imago images/Joachim Sielski

Zwei Handball-Schiedsrichter erzählen aus ihrem Alltag: „Fehler gehören zu unserem Job dazu“

Robert Schulze und Tobias Tönnies sprechen über die Professionalisierung des Schiedsrichterwesens in der Bundesliga, verbale Entgleisungen und Uneinigkeiten.

Robert Schulze (38) und Tobias Tönnies (38) bilden seit 22 Jahren ein Gespann auf dem Feld und haben bisher 530 DHB-Einsätze zu verbuchen sowie 129 EHF-/IHF-Spiele geleitet. Das Duo gehört zu den meisteingesetzten Schiedsrichtern Deutschlands. Schulze ist selbstständiger Investment Banker und Teamcoach ,Tönnies Immobilienkaufmann.

Die Belastung der Spieler ein großes Thema. Wie sieht es diesbezüglich bei den Schiedsrichtern aus? Wie schwer ist es, sich sportlich und mental immer wieder neu auf die einzelnen Spiele einzustellen?
Tobias Tönnies: Im heutigen Handball ist die körperliche Fitness eine Grundvoraussetzung, um als Schiedsrichter die Spiele von der ersten bis zur letzten Sekunde zu leiten. Meist werden die Spiele ja in den letzten Minuten entschieden, da ist mentale Frische von entscheidender Bedeutung.

Um zu regenerieren hat jeder so seine eigenen Ideen oder Methoden. Bei mir ist es die Familie oder einfach mal was Leckeres kochen. Und bei aller Seriosität ist eine gewisse Lockerheit und Spaß im Gespann ein Schlüssel, um die Belastung zu steuern.

Erschwerend kommt hinzu, dass Sie beide noch eine hauptberufliche Verantwortung haben. Wie lässt sich beides miteinander verbinden?
Robert Schulze: Wir beide haben einen Hauptjob und genießen es, unsere Leidenschaft zum Handball auf der ganzen Welt ausüben zu dürfen. Natürlich ist es ein Spagat. Es erfordert ein hohes Maß an Zeitmanagement und das Bewusstsein, auf andere Dinge zu verzichten. Gerade bei den internationalen Spielen prägt es aber fürs Leben, andere Länder und Kulturen kennenlernen zu dürfen.

Tönnies: Wie wir das alles stemmen, frage ich mich manchmal auch (lacht). Es erfordert ein enorm gutes Zeitmanagement. Wir reisen häufig vom Büro aus direkt in die Hallen Deutschlands, sind inklusive der internationalen Meisterschaften circa 50 Spiele im Jahr im Einsatz. Da sollten die Hobbys gut gewählt sein, wenn das Privatleben nicht auf der Strecke bleiben soll.

Wäre es für Sie eine Option, den Schiedsrichter zum Profi zu machen oder ist eine schrittweise Professionalisierung wichtiger und richtiger?
Tönnies: Wir sind überzeugt, dass eine Professionalisierung des Schiedsrichterwesens wichtig ist, um top vorbereitet Spiele leiten zu können, taktische Tendenzen zu verstehen und körperlich Niveau zu haben. Wir halten aber nichts vom Profischiedsrichter, da wir überzeugt sind, dass man im Spiel nicht mehr Fehler macht, wenn man mit Leidenschaft und Spaß ein Spiel leitet und kein Profi ist.

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Wie sieht eine Vorbereitung bei Ihnen auf ein Spiel aus und vor allem, ist es möglich, unvoreingenommen in eine Partie gehen?
Schulze: Unvoreingenommen in ein Spiel zu gehen ist das Wichtigste. Das heißt nicht, dass man unvorbereitet ist. Dieser Unterschied ist wichtig – sich auf Taktiken der Mannschaften vorzubereiten, aber nicht auf einzelne Spieler oder Spielerinnen.

Gibt es Hallen die Sie besonders morgen oder andere, in denen es weniger Spaß macht?
Schulze: Wir in Deutschland können dankbar für die tollen Arenen und Zuschauer sein, die wir unter normalen Umständen haben. Darauf kann jeder stolz sein. Daher genießen wir jedes Spiel und haben riesige Sehnsucht nach vollen Hallen. Die Stimmung in Deutschland ist in jeder Halle einzigartig – egal in welcher.

Robert Schulze ist selbstständiger Investment Banker und Teamcoach.
Robert Schulze ist selbstständiger Investment Banker und Teamcoach.

© imago images/Holsteinoffice

Wie empfinden Sie als Schiedsrichter die Spiele ohne Zuschauer?
Tönnies: Mittlerweile haben wir uns daran gewöhnt. Jedoch freuen wir uns schon, wenn wieder mehr Druck von den Rängen kommt. Das ist ja ein großes Privileg in der Handball-Bundesliga. Jedes Spiel vor ausverkauften Rängen ist keine Selbstverständlichkeit.

Der Schiedsrichter wird gerne zum Sündenbock gemacht. Was ist das Schlimmste, was Sie auf dem Feld bisher erlebt haben?
Tönnies: Es ist ein sehr respektvoller Umgang, verbale Entgleisungen sind eine Seltenheit. Von den Fans hört man natürlich das volle Programm, aber das gehört nun mal dazu. Jeder Schiedsrichter, egal in welcher Sportart, kann bestimmt ein Lied davon singen, wenn man von den Fans ins "Herz geschlossen" wird.

Schulze: Gerade der Handball zeichnet sich durch Emotionen aber auch ein sportlich faires Miteinander aus. Das können wir nur bestätigen, was zeigt, wie toll unsere Sportart ist. Die Kommunikation aller Beteiligten ist überwiegend vorbildlich und wir wollen mit unserer Leistung einen Teil dazu beitragen.

Es gibt aber auch Hallen – gerade außerhalb der Handball-Bundesliga – in denen es etwas mehr zur Sache geht.

Schulze: Es gibt Länder, da ist die Fankultur extrovertierter als in Deutschland. Dort kommt es schon einmal vor, dass wir Feuerzeuge oder Münzen als „Dankeschön“ für kritische Entscheidungen bekommen. Das ist jedoch zum Glück eine Seltenheit.

Sie stammen beide aus Magdeburg, eine handballverückte Stadt, in der die Fans berüchtigt für ihren stimmungsvollen Auftritt sind. Froh, dort nicht pfeifen zu müssen beziehungsweise zu dürfen?
Schulze: Nach der Kaffeezeit nachmittags mit dem Rad zum Spiel – das hätte bestimmt Charme. Aber wir haben uns als Schiedsrichter daran gewöhnt, nie ein Heimspiel zu haben.

Tönnies: Ich glaube es ist auch gut so. Sonst konnten wir uns nicht mehr auf der Straße blicken lassen (lacht).

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Sie haben beide Handball gespielt, dann als Jugendliche als Schiedsrichter angefangen. Wie kam es dazu?
Tönnies: Er hat mich ganz frech angelogen (lacht).

Schulze: Ich sollte damals mit einem Kollegen ein Spiel leiten, aber der ist abgesprungen. Da habe ich Tobias als meinen besten Freund angerufen und ihm erzählt, es sei schon alles abgesprochen und dass er einspringen solle...

Tönnies: ..was nicht stimmte.

Schulze: Einen Tag später hat er dann mit mir sein erstes Spiel als Schiedsrichter gehabt.

Es hätte schlimmer laufen können. Mittlerweile sind Sie seit 22 Jahren ein Gespann und international für den Deutschen Handballbund im Einsatz. Hilft es, dass Sie sich bereits seit der Grundschule kennen?
Tönnies: Das spielt ganz gewiss eine große Rolle. In einem Gespann ist es wichtig, dass man Dinge anspricht, die gut und schlecht gelaufen sind und niemals die Schuld nur bei seinem Partner sucht. Da hilft es natürlich, dass man sich über einen so langen Zeitraum kennt.

Schulze: Viel zu lang ist der Zeitraum (lacht). Grundvertrauen ist in einem Duo das wichtigste. Auch wenn es mir jetzt schwer fällt zu sagen, aber das ist bei uns zu einhundert Prozent der Fall –und hilft ungemein in der Zusammenarbeit.

In jüngster Zeit werden die Regeln auf dem Feld progressiv anders durchgesetzt.
In jüngster Zeit werden die Regeln auf dem Feld progressiv anders durchgesetzt.

© imago images/Holsteinoffice

Die Beziehung gleicht wahrscheinlich schon etwas der eines alten Ehepaares. Welche Macken hat der jeweils andere, was zeichnet ihn aus?
Tönnies: Macken könnte ich bestimmt genauso viele aufzählen wie seine Kompetenzen. Am Ende finde ich wichtig, dass man drei Wochen am Stück, acht Stunden im Auto oder bei sonstigen Aktivitäten außerhalb des Spielfeldes die Macken respektiert. Aber seine Shopping-Lust ist manchmal nervig...

Schulze: Bis auf den letzten Satz ist dem nichts hinzuzufügen (lacht).

Über die Jahre hat sich der Handball sehr verändert und damit seine Regeln. Die schnelle Mitte, das Sieben-gegen-Sechs, die blaue Karte und die Zeitspielregel zum Beispiel. Halten Sie die Modifikationen für sinnvoll?
Schulze: Alle Anpassungen werden im Vorfeld in praktischen Wettbewerben getestet. Unsere Aufgabe ist es, Spiele zu leiten und uns ständig weiterzuentwickeln – anhand der Rahmenbedingungen und Regeln, welche aktuell gültig sind. Von daher halten wir uns aus solchen Diskussionen raus.

In jüngster Zeit werden die Regeln auf dem Feld progressiv anders durchgesetzt, hauptsächlich um die Spieler zu schützen. Ein Beispiel ist die Zeitstrafe für einen Stoß in der Luft oder den Ausfallschritt beim Decken auf Außen. Wie schnell verinnerlicht man diese Veränderungen?
Schulze: Schiedsrichter müssen das theoretische Regelwerk mit praktischen Kriterien verbinden, um dann die beste Entscheidung zu treffen. Wenn man eine klare Philosophie und Spielauffassung erarbeitet, diese berechenbar und transparent umsetzt, dauert es nicht lange und es hilft genauso den Spielern und Trainern, sodass diese die Linie für ihre taktische Ausrichtung in einem Spiel nutzen können.

Was ist, wenn es zu Uneinigkeiten unter Ihnen kommt?
Tönnies: Im Regelwerk gibt es den Punkt, wie wir bei unterschiedlicher Auffassung zu einer Situation agieren sollen: Wir treffen eine gemeinsame Entscheidung. Das ist auch schon das eine oder andere Mal passiert.

Wäre ein Videobeweis über die internationalen Turniere hinaus dabei empfehlenswert oder nur störend für den Spielfluss?
Tönnies: Mittlerweile bin ich ein ganz klarer Befürworter dieses technischen Hilfsmittels. Der Handballsport hat eine Dynamik entwickelt, bei der wir als Schiedsrichter mit dem menschlichen Auge an unsere Grenzen stoßen. Man kann nicht alles sehen und wir benötigen im richtigen Augenblick auch einfach mal eine Portion Glück um die Situation zu erkennen.

Fehler passieren immer. Wie macht man das im Spiel wieder gut oder anders gefragt, sind ausgleichende Pfiffe sinnvoll?
Schulze: Fehler gehören zu unserem Job mit dazu. Diese Grundeinstellung ist wichtig, damit man nicht im Spiel versucht, Fehler mit ausgleichenden Pfiffen korrigieren zu wollen. Dann gerät man in einen Strudel und ist nicht mehr glaubhaft. Wir treten lieber den unbequemen Schritt zu einem Spieler oder Trainer an, um einen Fehler einzugestehen.

Da hilft eine Geste oder ein kurzer Dialog der Entschuldigung. Dann muss aber dieser Fehler bis zur Nachanalyse ins Schubfach gepackt werden. Dies ist wichtig, um eine transparente Linie von Beginn eines Spiels bis zum Ende zu haben. Denn unser Anspruch ist es, dass Spieler und Trainer aber auch die Zuschauer uns vertrauen.

Das Spiel ist vorbei, die Mannschaften ziehen sich in ihre Kabinen zurück. Eventuell wird gefeiert. Wie geht es für Sie weiter?
Schulze: Nach dem Abpfiff gehören natürlich Auswertungen einzelner Szenen zur Nacharbeit dazu, um wichtige Rückschlüsse für die neuen Aufgaben zu ziehen. Doch auch wir zelebrieren von Zeit zu Zeit ein gelungenes Spiel.

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