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Das ist nicht mehr Michael. Während die gesamte Formel 1 ihren einstigen Helden mit seinem „Ablaufdatum“ versieht und seinen Rücktritt herbeiredet, reift in Michael Schumacher langsam die Erkenntnis eigener Fehlbarkeit. Das immerhin hat sein Comeback gebracht. Foto: dpa

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Formel-1-Legende: Wo ist Michael Schumacher?

Die Fragen an den Rekordweltmeister der Formel 1 werden unbequemer – doch der 42-Jährige findet Spaß daran, sein eigenes Denkmal zu umkreisen. Porträt einer Legende, die keine mehr ist.

Von Christian Hönicke

Marlene Dietrich hat ihren Lebensabend einsam in einem dunklen Zimmer in Paris verbracht, mit Kisten voller Zeitschriften und Fotos, die sie in voller Blüte zeigten. Die alternde Schönheit wollte den Mythos ihrer Makellosigkeit bis ans Ende aufrechterhalten und entschied sich für die selbstgewählte Verbannung aus den Augen der Welt, nur telefonisch hielt sie noch Kontakt zur Realität. Wo Michael Schumacher gerade herkommt, muss es hell sein: Es ist Donnerstag in Barcelona, und der Formel-1-Rekordweltmeister trägt eine futuristische Sonnenbrille. Schumacher hat soeben seinen Raum in der Teamzentrale von Mercedes verlassen. Er springt die Treppen hinunter und schreitet erhobenen Hauptes durch den Raum. Schumacher setzt sich, nimmt die Sonnenbrille ab und blickt mit den Augen eines Jungen, der sich auf die x-te Moralpredigt seiner Eltern einstellt. Er weiß, was kommt, und er nimmt die vielen bohrenden Fragen fast schon belustigt auf. „Ich habe natürlich lieber keine unnötige Kritik“, sagt er. „Aber das ist Teil unseres Lebens und ich habe das jetzt schon so oft durchgemacht.“ Also los.

Michael Schumacher muss wieder einmal erklären, warum er jetzt nicht in seinem Trophäenraum in seiner Villa in der Schweiz sitzt wie einst die Dietrich an den Champs-Elysées. Er muss erklären, warum er sich immer noch ins Auto setzt und seine Legende vom unbesiegbaren Rennsporthelden mit Vollgas in aller Öffentlichkeit entmystifiziert. Schumacher erklärt, und irgendwie scheint er sogar ein bisschen Spaß daran zu haben, sein eigenes Denkmal zu umkreisen und mit Staub zu beschmutzen.

Der 42-Jährige ist immer noch ein bisschen schnippisch, das wird er wohl nie ablegen, aber nicht mehr so aggressiv und überheblich wie früher, er wirkt irgendwie gutmütiger, sanfter, fast schon versöhnlich. Immer häufiger zeigt er Anzeichen von Altersmilde wie ein Rockstar, der sich auf seiner letzten Tour noch einmal bei den Hoteliers entschuldigt, deren Zimmer er zertrümmert hat. „Nach jedem Sturm kommt die Sonne immer wieder raus“, sagt er. Die Vertreter der englischen Presse, mit denen sich Schumacher seit Urzeiten auf Kriegsfuß befindet, schauen sich verwundert an und lachen unbeholfen. Ist das wirklich Michael Schumacher? Nein, zumindest nicht mehr der alte Michael Schumacher, für den das Siegen den Einsatz aller Mittel legitimierte.

Der neue Michael Schumacher siegt nicht mehr. Seit er am Vorweihnachtsabend 2009 sein Comeback bei Mercedes bekannt gab, ist Schumacher nicht einmal mehr aufs Podest gefahren. Der Mann, der 91 Große Preise gewonnen hat und sieben WM-Titel, der alle relevanten Rekorde der Formel 1 hält, fährt nur noch hinterher. Der Name des einst schnellsten Mannes der Welt taugt nicht mal mehr Hollywood als Symbol für Geschwindigkeit. Im Comicfilm „Cars“ sprach er noch ein Rennauto, in der Fortsetzung darf nun sein Nachfolger Sebastian Vettel dem Wagen „Max Schnell“ die Stimme leihen.

Die zweite Karriere des Michael S. hat bislang auch sonst wenige filmreife Episoden hervorgebracht. Das starke, wenn auch später aberkannte Überholmanöver am Ende der Safetycarphase in Monaco gegen Fernando Alonso 2010 gehört dazu. Die weniger gelungene Quetschattacke gegen seinen alten Teamkollegen Rubens Barrichello in Budapest. Und der Frontalcrash mit Vitantonio Liuzzi beim Saisonfinale in Abu Dhabi. Nur um Haaresbreite entging er da der Enthauptung und konnte so später noch ein wenig unter Schock seinem Thronfolger Vettel zum Titel gratulieren. Der Rest sind teilweise ganz ansehnliche Rennen, ein paar starke Starts, drei vierte Plätze. Aber auch jede Menge Verbremser, Fahrfehler und Feindberührungen in kritischen Situationen, durch die er früher immer wie auf Schienen zu gleiten schien. Für einen 42-Jährigen insgesamt gar nicht so schlecht, aber gemessen an seinem vergangenen Selbst auch nicht gut genug. Deswegen hatte ihm sein einstiger Manager auch abgeraten, als Schumacher im Spätsommer 2009 erstmals an ein Comeback dachte. „Das Problem ist die Erwartungshaltung der Menschen“, hatte ihm Willi Weber gesagt, „wenn ein Schumacher wieder ins Auto steigt, dann wollen sie ihn siegen sehen.“

Im ersten Jahr konnte Schumacher noch die Reifen und das nicht von ihm mitentwickelte Auto als Gründe für die enttäuschten Erwartungen benennen. Nun, mit dem neuen Mercedes und dem Wechsel auf die Pirelli-Gummis, fallen diese Erklärungsansätze weg. Manchmal führt er noch Dinge wie Probleme mit dem Heckflügel ins Feld. Aber langsam, so scheint es, dämmert auch in Schumacher die brutale Einsicht für jeden Profisportler, dass der größte Gegner nicht vor ihm fährt, rennt oder schwimmt, sondern unaufhörlich in ihm tickt. „Der Schumacher ist 42 Jahre alt und da kann man nicht erwarten, dass die Sensoren gleich gut arbeiten wie bei einem 25-Jährigen“, sagt Gerhard Berger, der Schumacher in den Neunzigerjahren noch auf der Strecke erlebte. „Das ist offenbar so – das muss auch ein Schumacher verstehen.“

Alexander Wurz, ein anderer Weggefährte, der längst zurückgetreten ist, sagt: „Jeder Rennfahrer hat ein Ablaufdatum.“ Ist Schumacher bereits über dem Verfallsdatum? Diese Frage stellt sich die Formel 1 in zig Variationen immer wieder.

Nico Rosberg möchte dazu lieber nichts sagen. Er freue sich darüber, dass er meist vor Schumacher liege, erklärt er, verkneift sich aber jeden hämischen Kommentar zu seinem Stallgefährten. Am Anfang geschah das wohl noch aus Angst, dass der berüchtigte Schumacher daraus Motivation ziehen und doch noch knallhart zurückschlagen könnte. Inzwischen scheint Rosbergs Schweigen eher eine Respektsbekundung vor der Legende zu sein, die er gerade mit jedem Rennen ein bisschen mehr demontiert.

Es sind die Zahlen, die für den fast 16 Jahre jüngeren Rosberg sprechen: Im Qualifikationsduell steht es 20:4, nach WM-Punkten 162:78, 3:0 nach Podestplätzen und 30:0 nach Führungsrunden. Rosberg startet im Schnitt von Platz 7, Schumacher von 10 – genau wie heute in Barcelona (14 Uhr/live RTL und Sky). Ins Ziel kommt Rosberg statistisch auf Rang 6,7, Schumacher auf Platz 8,8.

Selten hat es eine klarere Kräfteverteilung in einem Rennstall gegeben, und kaum jemand geht davon aus, dass Schumacher das wirklich noch einmal zu seinen Gunsten drehen kann. Zuspruch erhält Schumacher nur aus seinem Lager. „Es ist zu früh, Michael abzuschreiben“, sagt Norbert Haug. Freundlichkeiten dieser Art gibt der Mercedes-Motorsportchef seit mehr als einem Jahr aus. Schumacher sollte doch sein großer Coup sein; der einzige deutsche Weltstar im Sport war als Zugpferd des neuen Mercedes-Rennstalls vorgesehen. Am Ende der vergangenen Saison aber musste Schumachers Teamchef Ross Brawn beinahe offen zugeben, dass eigentlich nur sein Name ihn vor einer Kündigung bewahrt hat.

Längst ruft der einst gefürchtete Formel-1-Herrscher auch bei alten Kontrahenten Mitleid hervor. Mal verklausuliert, mal deutlich legen ihm aktuelle und ehemalige Rennsportgrößen von Stewart bis Jordan, von Coulthard über Lauda und Herbert bis Mansell nahe, den Helm doch bitte noch vor Ablauf seines Vertrags Ende 2012 wieder an den Nagel zu hängen. Selbst Formel-1-Boss Ecclestone zeigt sich „überrascht und enttäuscht“: „Das ist nicht mehr Michael.“

Der Bezweifelte selbst geht für seine Verhältnisse gelassen – fast möchte man sagen cool – mit der Affäre um. Wenn sein Comeback bisher überhaupt etwas gebracht hat, dann die langsam reifende Erkenntnis eigener Fehlbarkeit. Er, der Zeit seiner ersten Karriere wie ein Getriebener seiner selbst wirkte, scheint heute fast befreit vom Druck des Immersiegenmüssens. In früheren Tagen war das Zeigen von Schwächen für ihn die schlimmste Prüfung, an der er regelmäßig scheiterte. Inzwischen bleibt ihm wenig anderes übrig, als zart mit dem Finger auf sich selbst zu zeigen. Vielleicht müsse er den Unfall mit Witali Petrow beim vergangenen Rennen in Istanbul auf seine Kappe nehmen. Vielleicht sei er in seiner früheren Spezialdisziplin Qualifikation nicht mehr so stark wie Rosberg. Und, vielleicht, vielleicht, sei er insgesamt auch nicht mehr ganz so gut, wie er es mit 25 war.

Worin er konkret nicht mehr ganz so gut ist, darauf will er dann aber doch nicht eingehen. „Das überlasse ich euch“, sagt er. „Da kann ich nichts Konkretes benennen.“ Und so wird munter spekuliert. Sind es die Reflexe? Die Augen? Schließlich hat Schumacher selbst gesagt, den in Kinoleinwandformat vor ihm fahrenden Petrow bei seinem Rammstoß nicht gesehen zu haben. Ist er noch fit genug? „Definitiv“, sagt er. „Als Fußballer könnte ich wahrscheinlich nicht mehr mithalten. Aber im Rennwagen sehe ich nicht die Probleme.“

Ist er übermotiviert und lädt zu viel Druck auf sich, wie sein Chef Brawn vermutet? Wer das Auto mit Gewalt schneller durch die Kurven zwingen will, wird nur noch langsamer – es ist ein schmaler Grat zwischen dem Limit und dem Crashpiloten, auf dem Schumacher in letzter Zeit häufiger abgestürzt ist. Aber nein, übermotiviert sei er nicht. Dann fährt Schumacher fort mit seiner Charmeoffensive. „Man muss ja fast schon stolz drauf sein, dass man immer noch so ein Thema ist. Ich nehme das als Kompliment“, sagt er und schaut grinsend in die staunenden Gesichter. „Sport lebt von Emotionen, es geht hoch und es geht runter“, philosophiert er weiter. „Ich bin mehr als sicher, dass ich am Ende oben sein werde.“ Ebenfalls mehr als sicher ist er sich, vor Saisonende wieder auf dem Podest zu stehen.

„Habt Spaß!“, ruft Schumacher noch in die Runde, bevor er beschwingt wie auf dem vorletzten Konzert seiner Abschiedstournee von dannen schreitet und ratlose Gesichter hinterlässt. Vielleicht, vielleicht wird Michael Schumacher nie wieder so werden wie früher. Vielleicht ist das aber gar keine so schlechte Nachricht.

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