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Mittendrin und wieder dabei. Während Mario Götze (mit Pokal) zur WM in die Nationalelf zurückkehrt, hat Mats Hummels vergeblich auf ein Comeback gehofft.

© Imago/Sven Simon

WM-Kader mit Götze, aber ohne Hummels: Hansi Flick und die Balance zwischen Tradition und Moderne

Der Bundestrainer nominiert Debütanten wie Moukoko und Füllkrug, aber auch vier Weltmeister von 2014. Flick scheint mit seiner Personalauswahl ein schlüssiges Konstrukt gelungen zu sein.

Als Innenverteidiger moderner Prägung hat sich Mats Hummels immer schon durch ein feines Gespür ausgezeichnet. Nicht nur für die Geschehnisse auf dem Fußballplatz. Auch für die Geschehnisse jenseits der Platzbegrenzung.

Knapp viereinhalb Jahre ist es jetzt her: Hummels befand sich mit 29 Jahren im sogenannten besten Fußballalter und bereitete sich mit der deutschen Nationalmannschaft in Südtirol auf die Weltmeisterschaft in Russland vor. An einem heißen Frühsommertag saß er auf der Terrasse des Mannschaftshotels unter einem Sonnenschirm und philosophierte über den weiteren Verlauf seiner Karriere.

Die Europameisterschaft 2020 wolle er noch spielen, sagte Hummels. Aber die nächste WM? Dadurch dass das Turnier in Katar erst im Winter stattfinde und er während der Weltmeisterschaft seinen 34. Geburtstag feiere, rechne er nicht damit, dass er dann noch dabei sei. Nein, sagte Hummels, die WM in Russland werde wohl tatsächlich seine letzte sein.

Der deutsche Kader für die WM 2022.

© Grafik: Tsp/Bartel, Fotos: AFP, Quelle: DFB

Mats Hummels hat – wenn nicht noch etwas Außergewöhnliches passiert – Recht behalten. Sein Name jedenfalls fehlt im Aufgebot für die Weltmeisterschaft in Katar, das Bundestrainer Hansi Flick am Donnerstag bekannt gegeben hat. Und obwohl Hummels das schon vor viereinhalb Jahren gewusst oder zumindest geahnt hat, hat ihn die Nachricht hart getroffen. „Mats war natürlich enttäuscht“, berichtete Flick, der Hummels die Kunde am Telefon überbracht hatte.

Die Nationalmannschaftkarriere des Dortmunders hat in den vergangenen Jahren einige überraschende Wendungen genommen. Hummels ist von Joachim Löw, Flicks Vorgänger als Bundestrainer, erst aussortiert worden, kehrte dann zur EM 2021 in den Kader zurück und war danach erneut außen vor. Doch an Befürwortern eines zweiten Comebacks hat es zuletzt nicht gemangelt.

Hummels ist beim BVB – trotz namhafter Konkurrenz – weiterhin Stammkraft. Er erhält für seine Auftritte sehr viel Lob. Erst am Donnerstag wieder. „Er hat eine hervorragende Form und ist topfit.“ Und: „Er ist wieder zurückgekommen, was ich fantastisch finde.“

Die Sätze stammten von Hansi Flick.

Für die Bewertung von Mats Hummels waren nie ausschließlich sportliche Aspekte ausschlaggebend. Auch das Zwischenmenschliche hat oft eine Rolle gespielt: Passt er wirklich ins Mannschaftsgefüge? Fügt er sich klaglos ein, auch wenn ihm keine prominente Rolle zugedacht ist? Oder besteht nicht eher die Gefahr, dass er mit seinen Ansprüchen die Hierarchie durcheinander wirbelt?

Mit Niklas Süle, Matthias Ginter, Nico Schlotterbeck und Antonio Rüdiger hat Flick vier Innenverteidiger in seinem Kader, „die schon auch eine enorme Qualität haben“. Alle vier haben den berechtigten Anspruch auf einen Stammplatz, aber nur zwei von ihnen werden am Ende tatsächlich spielen. Welche Rolle bliebe da für Hummels? Und wenn ja: Würde er sich wirklich damit anfreunden können, auf der Bank zu sitzen?

In der Vergangenheit hat es einen ähnlichen Fall gegeben. 1998 startete Bundestrainer Berti Vogts mit Olaf Thon als Libero in die WM in Frankreich; Lothar Matthäus nahm auf der Bank Platz – obwohl viele ihn für den besseren Libero hielten und der öffentliche Druck auf Vogts dadurch immens war.

Es tut einfach weh

Bundestrainer Hansi Flick über den verletzungsbedingten Ausfall von Marco Reus.

Es kam, wie es kommen musste: Im ersten WM-Spiel blieb Matthäus auf der Bank, im zweiten wurde er zur Pause eingewechselt, im dritten stand er in der Startelf – und im vierten spielte er erstmals als Libero. Anstelle von Olaf Thon.

Der fünfte Innenverteidiger im Kader: In dieser Rolle hat Hansi Flick Mats Hummels eher nicht gesehen – und sich stattdessen für den erst 20 Jahre alten Armel Bella-Kotchap entschieden. Es ist nicht besonders wahrscheinlich, dass der Rookie vom FC Southampton in Katar zum Einsatz kommen wird. Ebenso unwahrscheinlich ist allerdings, dass Bella-Kotchap, der im Sommer vom VfL Bochum in die Premier League gewechselt ist, mit dieser Rolle hadern wird.

Flick hat explizit davon gesprochen, dass er bei der Kaderzusammenstellung vielleicht auch schon „ein bisschen die Zukunft im Blick“ gehabt habe. Mit Youssoufa Moukoko, der noch ohne Länderspieleinsatz ist, hat er einen weiteren extrem jungen Spieler nominiert. Der Stürmer von Borussia Dortmund wird am Tag des Eröffnungsspiels volljährig.

Die Personalauswahl für ein großes Turnier birgt immer einige Brisanz. Warum den und nicht den? Gemessen an den üblicherweise hitzigen Debatten deutet einiges darauf hin, dass Flick diesmal ein durchaus stimmiges Konstrukt gelungen ist – auch wenn man über Details natürlich immer streiten kann: Warum jetzt noch mal Karim Adeyemi?

Die meisten Entscheidungen des Bundestrainers lassen sich schlüssig erklären. Es ist schlüssig, dass er, bei aller persönlichen Tragik, auf Marco Reus verzichtet. Der Offensivspieler des BVB, einer der besten deutschen Fußballer der vergangenen Dekade, verpasst nach der WM 2014 nun auch das wohl letzte große Turnier seiner Karriere. Reus, 33 Jahre alt inzwischen, hat sich im September verletzt und ist nicht rechtzeitig fit geworden. „Es tut einfach weh“, sagte Flick.

Es ist schlüssig, dass der Freiburger Vielspieler Christian Günter als Linksverteidiger mit nach Katar fährt – und nicht Robin Gosens, der bei Inter Mailand zu selten zum Einsatz kommt und dem dadurch laut Flick der nötige Rhythmus für ein solches Turnier fehlt. Es ist schlüssig, dass neben dem blutjungen Moukoko auch Niclas Füllkrug dabei ist. Der 29-Jährige ist ebenfalls noch ohne Einsatz im DFB-Team, ist mit zehn Toren für Aufsteiger Werder Bremen aber aktuell der beste deutsche Angreifer der Bundesliga.

Flick ist sicher, „dass dieser Kader uns sehr, sehr viele Optionen bietet“. Füllkrug, ein typischer Strafraumstürmer, zum Beispiel fügt ihm eine hinzu, die es so bisher nicht gab. Für den Bremer ist ganz sicher kein Stammplatz reserviert, aber auch er dürfte froh sein, dass er in fortgeschrittenem Alter überhaupt noch die Chance auf eine WM-Teilnahme bekommt. „Wir haben es uns nicht einfach gemacht“, sagte der Bundestrainer. „Wir haben mehrere Dinge durchgespielt.“

Flicks Kader verfügt über eine gute Balance aus Tradition und Moderne. Es gibt junge Spieler, die eher zum Lernen mit nach Katar fahren, und gestandene Haudegen, die dem Team ein tragfähiges Gerüst geben sollen. Vier Weltmeister von 2014 sind noch dabei. Oder wieder, wie Mario Götze.

Vor fünf Jahren hat der Frankfurter zuletzt für die Nationalmannschaft gespielt. Er hat schwere Phasen hinter sich, zuletzt aber immer mehr zu alter Klasse zurückgefunden. Flick sieht den 30-Jährigen nun wieder „auf einem ganz, ganz hohen Niveau“. Ob das angesichts der starken Konkurrenz im zentralen offensiven Mittelfeld für einen Platz in der Startelf reicht, das sei mal dahingestellt. Aber wenn jemand weiß, dass man auch von der Ersatzbank kommend Geschichte schreiben kann, dann ist es Mario Götze.

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