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Manfred Wirsch (links) und Volker Enkerts

© DGUV/Bellwinkel

SONDERVERÖFFENTLICHUNG DER DGUV: „Wertschätzung sollte fester Bestandteil des Austauschs im Leistungssport sein“

Ein Gespräch mit den Vorstandsvorsitzenden der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung (DGUV) Volker Enkerts und Manfred Wirsch über die Paralympics, die aktuelle Diskussion um Mobbing im Behindertensport und das Engagement der gesetzlichen Unfallversicherung für Inklusion.

Dieser Text ist eine Sonderveröffentlichung der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung, der im Rahmen der diesjährigen Paralympics Zeitung erscheint.

Herr Enkerts, Herr Wirsch, die Paralympischen Spiele in Tokyo haben vor wenigen Tagen begonnen, das Team Paralympics Deutschland freut sich inzwischen über eine Reihe Medaillen. Was empfinden Sie angesichts der Bilder aus Japan?

Volker Enkerts: Ich freue mich. Es ist schön, nach so langer Zeit wieder so mitreißende Bilder sehen zu können – auch wenn ich zugeben muss, dass die Gefühle etwas ambivalent sind angesichts der aktuellen Infektionszahlen in Japan.

Manfred Wirsch: Das kann ich verstehen. Und deswegen ist es gut, dass die Verantwortlichen vor Ort Maßnahmen ergriffen haben, um die Sportlerinnen und Sportler, aber auch die Bevölkerung zu schützen. Natürlich nimmt das etwas von der Atmosphäre. Ich war selbst schon bei den Paralympics und weiß, wie überwältigend es sich anfühlt, in einem vollen Stadion mit den Athletinnen und Athleten mitzufiebern. Aber Sicherheit geht vor.

Enkerts: Genau. Dennoch ist es gut, dass die Spiele stattfinden. Die Paralympics waren schon immer mehr als ein sportlicher Wettkampf. Sie sind weltweit ein Zeichen für die Gleichberechtigung und Inklusion von Menschen mit Behinderung – beides lange Zeit und in manchen Ländern der Welt auch heute noch keine Selbstverständlichkeit.

Herr Enkerts, Sie sind Arbeitgebervertreter im Vorstand der DGUV. Wenn Sie ein Unternehmer darauf anspricht, warum die gesetzliche Unfallversicherung ein Projekt wie die Paralympics fördert, was antworten Sie ihm dann? Er bezahlt das ja über den Unfallversicherungsbeitrag mit.

Enkerts: Ich würde ihm sagen, dass das Geld in mehrfacher Hinsicht gut angelegt ist. Schauen Sie: Die meisten Behinderungen sind erworben und nicht bereits angeboren – ein erheblicher Anteil durch Unfälle. Das ist für die Betroffenen ein schwerer Schlag, von dem sie sich erholen müssen. Wir wissen inzwischen, dass die Psyche für diese Erholung eine wichtige Rolle spielt. Wenn Sie überzeugt sind, dass Sie nach einem schweren Unfall wieder den Weg zurück ins Leben finden – auch ins Arbeitsleben –, dann steigen damit Ihre Chancen, dass Ihnen das auch gelingt. Dafür ist es gut, wenn man Ihnen nicht nur abstrakt erzählt, dass vieles möglich ist, sondern wenn Sie es selbst anhand von konkreten Beispielen sehen können. Dafür haben wir eine Peer-Beratung aufgebaut, bei der Menschen mit Behinderungen Menschen beraten, bei denen die Behinderung noch frisch ist. Dafür ist es aber auch gut, wenn sie sehen, wie andere über sich hinauswachsen – zum Beispiel bei den Paralympics.

Wirsch: Hinzufügen möchte ich, dass der Sport in der Reha von verunfallten Menschen auch eine sehr wichtige Rolle spielt, um körperliche Fähigkeiten wieder zu erlangen. Aus diesem und zahlreichen anderen Gründen hat sich die gesetzliche Unfallversicherung über ihre Strategie 2025 zur UN-BRK…

…das Abkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen…

Wirsch: …zu bestimmten Maßnahmen verpflichtet, um Inklusion zu fördern. Dazu gehört eben auch, sich über öffentlichkeitswirksame Maßnahmen für den Behindertensport und seine Wahrnehmung einzusetzen.

Aber müssen es dafür gleich die Paralympics sein?

Wirsch: Die Paralympics sind das wichtigste Ereignis im Behindertensport. Sie sind das Highlight, aber sie sind nicht alles. Bereits seit einigen Jahren sind Angebote im Reha- und Behindertensport fester Bestandteil der Reha nach Arbeits- und Wegeunfällen. Wir wissen um die heilende Kraft des Sports – es wäre ein Fehler, dieses Wissen nicht für die Heilung einzusetzen. Gemeinsam mit unseren BG Kliniken bringen wir uns daher auch in die Organisation des Breitensports von Menschen mit Behinderungen ein. Auch wenn ich mir wünschen würde, dass es gelingt, noch mehr Begegnungen von Menschen ohne und mit Behinderungen im Sport zu ermöglichen – wie wir es beispielsweise beim inklusiven Staffellauf „R(h)ein inklusiv“ in den vergangenen Jahren anlässlich des Köln-Marathons gemacht haben.

Der fällt dieses Jahr ja leider Corona-bedingt aus.

Wirsch: Nein, nicht ganz. Er wird wahrscheinlich virtuell stattfinden und alle Teilnehmenden werden an ihren Wohnorten gleichzeitig laufen und sich virtuell miteinander verbinden. Wichtig ist uns, so das Gemeinschaftsgefühl zu erhalten. Natürlich kann das nie so stark sein, wie das Erlebnis vor Ort, aber so versuchen wir gemeinsam mit der Deutschen Sporthochschule in Köln das Beste aus der Situation zu machen. Inklusion unter Corona-Bedingungen ist schwierig, aber im Interesse der betroffenen Menschen müssen wir uns dafür einsetzen und auch zeigen, was möglich ist.  

Enkerts: Nicht möglich war dagegen die Verleihung des German Paralympic Media Awards in diesem Jahr. Wir mussten sie leider aussetzen, wie so vieles im Sport, was der Pandemie zum Opfer gefallen ist.

Der GPMA ist der bedeutendste Preis für Berichterstattung über den Sport von Menschen mit Behinderungen. Wie geht es damit weiter?

Enkerts: Dieses Jahr machte die Verleihung keinen Sinn. Der Sport der Menschen mit Behinderung hat nur sehr eingeschränkt stattgefunden und damit auch die Berichterstattung. Das traf den paralympischen Sport sehr hart. Aber das ändert sich ja gerade. Ich bin also zuversichtlich, dass wir im kommenden Frühjahr wieder eine Preisverleihung haben werden.

Das ist eine gute Nachricht. Leider hören wir aber nicht nur Gutes aus dem paralympischen Sport. Aktuell gibt es eine Diskussion um Mobbing im Para-Sportschießen. Was denken Sie darüber?

Wirsch: Zu den Vorwürfen gegen den Bundestrainer kann ich nichts sagen. Allgemein fällt mir dazu ein: Wir haben lange darum gekämpft, dass Behindertensport die gleiche Anerkennung bekommt wie der Sport von Menschen ohne Behinderung. Auch wenn es mir anders lieber wäre, wir müssen wohl damit umgehen lernen, dass die Schattenseiten des Leistungssports sich mit zunehmender Anerkennung auch im Behindertensport zeigen.

Enkerts: Das, worüber da berichtet wird, ist nicht schön. Ohne Frage. Umso wichtiger fände ich es, dass wir nicht nur dann über Wertschätzung und psychische Belastungen sprechen, wenn Konflikte auftreten. Diese Themen sollten grundsätzlich fester Bestandteil des Austauschs im Leistungssport sein. Ich bin auch Vorstandsvorsitzender der VBG – das ist die Berufsgenossenschaft, die den bezahlten Leistungssport versichert. Dort haben wir schon vor Jahren verschiedene Hilfen in der Prävention auf den Weg gebracht, die Trainerinnen und Trainern dabei helfen, die psychische Gesundheit der Menschen zu befördern, die sie betreuen. Das sind wertvolle Hilfen auf der Grundlage aktueller Erkenntnisse der Sportpsychologie, an deren Erstellung verschiedene Institutionen beteiligt waren. Ich fände es wichtig, dass dieses Wissen noch mehr in die Breite getragen wird.

Werden die aktuellen Ereignisse sich auf das Engagement der DGUV im Behindertensport auswirken?

Enkerts: Nein. Es gibt Probleme, die müssen gelöst werden. Aber deswegen stellen wir nicht gleich unser gesamtes Engagement in Frage. Dafür ist uns das Thema zu wichtig…

Wirsch: … und wir arbeiten entsprechend unserer UB-BRK Strategie daran, das große Potential des Behindertensports in der Arbeit der gesetzlichen Unfallversicherung qualitativ weiter auszubauen und es noch systematischer zu nutzen.  

Herr Enkerts, Herr Wirsch, wir danken Ihnen für das Gespräch.

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