zum Hauptinhalt
Abgang: Das Derby wird ohne Fans stattfinden.

© Nordphoto/Imago

Hertha-Fans fehlt das Kribbeln vor dem Derby: „Wenn wir gewinnen, ist es keine Wiedergutmachung“

Das Derby zwischen Hertha BSC und dem 1. FC Union wird vor leeren Rängen ausgetragen. Vorfreude mag da nicht aufkommen. Ein Blick in die enttäuschte Fanseele.

Stell dir vor, es ist Derby und niemand geht hin. Am kommenden Freitag werden Hertha BSC und der 1. FC Union im leeren Olympiastadion aufeinandertreffen. Aufgrund des Zuschauerausschlusses wird es ein Stadtderby der speziellen Art. Denn Derbys leben von ihrer besonderen Atmosphäre.

Besonders wird es zwar auch am Freitagabend sein. Doch nicht, weil die „Eisernen“ erstmals seit Februar 2013 wieder beim Nachbarverein antreten werden. Und ganz sicher auch nicht, weil das Olympiastadion zum dritten Mal in der laufenden Saison ausverkauft sein wird.

Im Gegenteil, auch das Stadtderby wird vor leeren Rängen stattfinden – ein Novum. Der im wahrsten Sinne gespenstische Rahmen eines Geisterspiels, am vergangenen Samstag etwa bereits im Revierderby zwischen Borussia Dortmund und dem FC Schalke 04 zu beobachten, erwartet nun auch Berlin. Die Hygienemaßnahmen haben das Fanerlebnis auf das Minimum – das Verfolgen der Spiele übers TV – reduziert. Gerade bei solch emotional aufgeladenen Begegnungen eine herbe Enttäuschung für die Anhänger.

Wie groß kann die Vorfreude auf das Derby in Hinblick auf die so kalten Rahmenbedingungen noch sein? Steven Redetzki ist Hertha-Fan durch und durch. Mit seiner Initiative „Blau-Weißes Stadion“ wollen er und seine Mitstreiter aufzeigen, wie wichtig eine dichte Stadionatmosphäre ist. Seine „Aktion Herthakneipe“ beleuchtet, welch elementarer Bestandteil des Gesamtpakets Fußball der Zusammenhalt und Austausch mit anderen Fans ist.

Sowohl das Stadionerlebnis als auch das Zusammenkommen mit anderen Fans des Vereins werden am Freitag in ihrer ursprünglichen Form nicht möglich sein. Wenn Redetzki an das Derby denkt, sei er „ehrlich gesagt relativ leer. Ich verspüre keine Vorfreude. Ich will natürlich trotzdem, dass wir das Spiel gewinnen, aber es kribbelt nicht“, sagt er.

Sprachrohr: Steven Redetzki ist Hertha-Fan durch und durch. Mit seiner Initiative „Blau-Weißes Stadion“ ist er auch über den Fußball hinaus bekannt geworden.
Sprachrohr: Steven Redetzki ist Hertha-Fan durch und durch. Mit seiner Initiative „Blau-Weißes Stadion“ ist er auch über den Fußball hinaus bekannt geworden.

© promo

„Eben auf jenes Kribbeln“ habe er sich so gefreut: „Die Vorfreude in den Tagen vor dem Spiel. Sich zu seinem Verein zu bekennen. Das Gefühl, dass diese Stadt doch Fußball lebt. Die Sprüche und Frotzeleien.“ Derbys haben auch stets etwas Profilschärfendes für die beteiligten Mannschaften, es geht eine gewisse Faszination von diesen Partien aus, die auch auf die Fans anderer Vereine überschwappt.

Diese Lokalrivalität auf sportlicher Augenhöhe sollte eigentlich auch Hertha BSC guttun, doch nach der Niederlage und den Fanausschreitungen in dem für Klub und Fans so ernüchternden Hinspiel (0:1) hieß die Mission zunächst einmal Wiedergutmachung.

„Das Spiel ist elementar, es entscheidet über die komplette Saison. Wenn ihr dieses Spiel gewinnt, dann ist jede andere Kacke erst mal hinten dran. Es ist das Highlight des Jahres!“, brüllte der Vorsänger der Hertha-Ultras den Spielern am 7. März nach dem 2:2 gegen Werder Bremen entgegen. Ob es die Fans heute noch genauso sehen?

[Mehr guten Sport aus lokaler Sicht finden Sie – wie auch Politik und Kultur – in unseren Leute-Newslettern aus den zwölf Berliner Bezirken. Hier kostenlos zu bestellen: leute.tagesspiegel.de]

Für Redetzki erreicht das Spiel unter diesen Umständen keinesfalls sein angedachtes Gewicht. Es fehle „natürlich diese Anspannung und Nervosität, dieses Gefühl, dass heute was Besonderes entstehen kann. Die Choreo, die Stimmung im Stadion, das Gefühl beim Torjubel und die Möglichkeit, die Verhältnisse innerhalb der Stadt wieder gerade zu rücken.“

Die Partie gegen Union hebt sich für ihn daher nicht wirklich von anderen Ligaspielen ab: „Das Gefühl, dass man dieses Spiel trotzdem gewinnen sollte, ist natürlich schon da. Aber es hat auf jeden Fall eine deutlich geringere Bedeutung als das Hinspiel. Wenn wir es gewinnen, ist es auf jeden Fall keine Wiedergutmachung für die Niederlage“, erklärt Redetzki.

„Wo und wie ich persönlich das Spiel verfolge, weiß ich noch nicht“, sagt er. Zum jetzigen Zeitpunkt ist aufgrund des Rechtsstreits zwischen der DFL und Discovery, dem Mutterkonzern von Eurosport, noch nicht einmal geklärt, ob das Stadtderby überhaupt im TV übertragen wird. Stell dir vor, es ist Derby und niemand sieht es.

Marc Schwitzky

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false