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Hagen Stamm wird am 12. Juni 60. Seit 2000 ist er - mit Unterbrechung - Bundestrainer der Wasserballnationalmannschaft. 

© Eisenhuth/imago

Wasserballnationaltrainer Hagen Stamm wird 60: „Irgendwann ist es an der Zeit, dass andere Verantwortung übernehmen“

Hagen Stamm wird 60. Im Interview spricht er über die große Zeit des Wasserballs, menschliche Verluste – und warum er als Spandauer in Britz wohnt.

Herr Stamm, heute ist Wasserball als Sportart im Becken bekannt. Früher wurde viel in natürlichen Gewässern gespielt. Haben Sie das auch noch erlebt?

Oh ja. Ich habe 1972 mit Zwölf angefangen und da fanden unsere Spiele zum Teil in der Havel statt. Mit Lederbällen.

Klingt kalt.

Ab 16 Grad Wassertemperatur durfte gespielt werden. Für Wasserball ist das viel zu wenig. Aber an sich hat es Spaß gemacht. Du konntest den Ball untertauchen und keiner hat ihn gesehen. Die Zuschauer saßen auf dem Steg. Noch früher muss es hoch hergegangen sein.

Was war da los?

Zwischen den Spandauer Wasserfreunden, bei denen schon mein Opa Mitglied war, und Spandau 04 von der Oberhavel herrschte vor der Fusion eine große Rivalität. Die Spieler der Gastmannschaft sind zum Spiel von ihrem Gelände durch die Havel geschwommen und danach wieder zurück. Weil sie befürchteten, dass es Streit mit Zuschauern geben könnte.

Sie haben als kleiner Junge mit Schwimmen begonnen, haben danach beides gemacht. Wann haben sie sich komplett für Wasserball entschieden?

Mit 15, als mich Alfred Balen in der Bundesliga eingesetzt hat. Ich weiß noch, dass ich im ersten Spiel gegen Braunschweig zwei Tore gemacht habe. 

Welche Rolle spielte Trainer Alfred Balen für Ihre Entwicklung?

Er hat meine  Jugendphase geprägt. Es war eine harte Schule. Auf der anderen Seite hat er dafür gesorgt, dass wir eine große Familie waren. Er hat immer an mir festgehalten. Na, fast immer.

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Erzählen Sie bitte.

1979 fand die Europapokal-Endrunde in Berlin statt. Mit einem Sieg gegen Partizan Belgrad wären wie Erster gewesen. Das Spiel war für Sonntagvormittag angesetzt. Ich war 19 und habe verschlafen. Als ich ankam, lief schon die Mannschaftsbesprechung. Mir war das tierisch unangenehm.

Aber die Sache war noch nicht erledigt?

So ist es. Alfred Balen hat mich nicht spielen lassen. Wir haben verloren. Womit ich nicht sagen will, dass wir mit mir gewonnen hätten. 

Drei Jahre später hat es erstmals geklappt mit dem Europapokalsieg. In der Schwimmhalle Schöneberg vor mehr als 1000 Zuschauern gegen Dinamo Alma-Ata.

Da hat keine Maus mehr in die Halle gepasst. Das Spiel wurde live im SFB und im NDR übertragen.

Die 80er waren generell eine große Zeit für den deutschen Wasserball.

Die größte. Wir haben mit Spandau viermal den Europacup gewonnen, hatten eine Weltklassemannschaft. Deutschland war zweimal Europameister, wir waren Dritter bei der WM und bei Olympia. Ich durfte immer dabei sein.

Seit 1979 gibt es in Berlin die Wahl zum Sportler des Jahres. Bei den Mannschaften wird die Liste bis heute angeführt durch…

…uns. In West-Berlin war die Sportfamilie in den 80er Jahren überschaubar. Auch Hertha BSC war zwischenzeitlich keine große Nummer. Da haben wir fast jedes Jahr gewonnen. Damals hatten die Stimmen der Sportjournalisten mehr Gewicht. Heute zählt: Wer mehr Fans hat, kriegt mehr Stimmen. 

Ihre Teamkollegen Frank Otto und Torwart Peter Röhle waren Sportler des Jahres in Berlin. Sie sind es nie geworden. Was lief da schief?

(lacht) Frank war öfter Bundesliga-Torschützenkönig als ich und Peter war Kapitän.

Stattdessen haben Sie mal einen ausgestopften Hai gewonnen.

Den gab es bei einem Turnier auf Kuba für den Torschützenkönig. An sich kann ich mit solchen Dingen nichts anfangen. Aber der Hai hängt in meinem Büro. 

Sie haben außerdem mehr als zwei Dutzend nationale Titel geholt. Neben all den Erfolgen gab es schlimme Ereignisse: Zwei Ihrer Trainer sind in der Zeit gestorben.

Wir hatten 1986 in Zürich den europäischen Supercup geholt. Alfred Balen ist wie immer nach großen Erfolgen ins Wasser gesprungen. Dabei muss er einen Hirnschlag erlitten haben, was keiner  bemerkt hat. Später im Hotel, als wir die Feier vorbereitet haben, erhielten wir die Nachricht, dass er zusammengebrochen sei. Er ist mit 56 gestorben. Wenn man selbst 60 wird, merkt man erst, wie jung er noch war. Und mit Uwe Gaßmann, mit dessen Familie meine Familie eng befreundet war, hatten wir 1989 den EM-Titel geholt. Er ist 1991 im Alter von 37 Jahren an Krebs gestorben. Das waren zwei wahnsinnige Tragödien.

1992 haben Sie mit 32 Jahren Ihre Karriere beendet. Warum so früh?

Ich hatte 1985 das Fahrradgeschäft meiner Schwiegereltern übernommen und seitdem die Doppelbelastung Leistungssport und Beruf.

Hatten Sie eine Affinität zu Fahrrädern?

Überhaupt nicht. Ich habe es einfach probiert. Es war eine der besten Entscheidungen meines Lebens.

Was ist nach dem größten Jahrzehnt der Wasserfreunde und der Nationalmannschaft im deutschen Wasserball passiert?

Es wurde damals versäumt, unsere Erfolge für die Zukunft zu nutzen. Aktuell sind wir nicht nur im Alphabet weit hinten, sondern auch beim Stellenwert der Mannschaftssportarten. Dabei ist Wasserball ein höchst attraktiver Sport. Das müsste nur medial transportiert werden wie etwa im früheren Jugoslawien oder Ungarn.

Spandau 04 hat die meisten Titel aller Ballsportmannschaften in Europa gewonnen. Ist die Anerkennung im Ausland größer?

Wo wir auch spielen, jeder kennt Spandau 04. Viele wissen dabei gar nicht, dass wir aus Berlin kommen. Vor einem Jahr hat ein Taxifahrer in Budapest zu mir gesagt, es sei ihm eine große Ehre gewesen, Hagen Stamm zu fahren. Dabei haben die Ungarn so viele großartige Wasserballer hervorgebracht. 

[Eine Stadt, zwei Bundesligisten: Alle Entwicklungen rund um den 1. FC Union und Hertha BSC finden Sie bei uns in jeweils eigenen Newsblogs.]

Haben Sie sich an die Situation des Wasserballs in Deutschland gewöhnt oder ärgern Sie sich darüber?

Ich bin nicht neidisch auf andere Sportarten. Ich gucke auch gern Fußball. Aber ich finde, dass die öffentlich-rechtlichen Sender die Pflicht haben, alle Sportarten zu zeigen. 

Spandaus Geschäftsstelle liegt neben der von Fußball-Bundesligist Hertha BSC. Investor Lars Windhorst will Hertha wohl weitere 150 Millionen Euro zukommen lassen. Was denken Sie bei solchen Zahlen?

Dass er uns eine Million abgeben könnte (lacht). Damit könnten wir den Wasserball sehr weit nach vorn bringen. Unser Jahresetat bei den Wasserfreunden liegt bei 750.000 Euro.

Herr Stamm, wie viel Spandau steckt noch in den Wasserfreunden Spandau 04?  

Im Bezirk liegen nur die Boote des Vereins. Wir spielen in Schöneberg und die Geschäftsstelle befindet sich 200 Meter außerhalb Spandaus.

Nun scheint es mit einer Halle am Kombibad Spandau-Süd konkret zu werden. 

Ich habe von der Politik auch am Grab meiner beiden Trainer oft gehört: Natürlich kriegt ihr eure Wasserball-Arena. Vielleicht klappt es jetzt mit der zarten Verzögerung von gut 30 Jahren. 

Was würde das für den Verein bedeuten?

Wir sind froh, die Schwimmhalle Schöneberg zu haben. Sie hat einen fast antiken Charme. Aber mit dem neuen Bad wären wir zurück in unserem Bezirk. Es hätte Tribünen an allen vier Seiten. Das wäre einmalig in Deutschland.

Bis in die 90er Jahre haben die Wasserfreunde oft im Spandauer Kombibad draußen gespielt.

Im Freibad lief der normale Badebetrieb. Dann wurde das große Becken für anderthalb Stunden gesperrt, Tribünen gab es nicht. Manchmal haben über 1000 Leute zugeguckt.

Vielleicht geht es bald wieder in die Freibäder?

Am 20. Juni wird entschieden, ob die Saison zu Ende gespielt wird. Auch als Bundestrainer hoffe ich es. Wir würden in dem Fall gern im Forumbad am Olympiastadion spielen.

Sie sind gebürtiger Berliner…

Spandauer (lacht). Ich bin ein Spandauer Junge, habe meine Sommer auf dem Vereinsgelände der Wasserfreunde an der Zitadelle verbracht und in Siemensstadt Abi gemacht.

Mittlerweile wohnen Sie schon lange in Britz.

Meine Frau leitet die Schwimmabteilung bei uns im Verein. Sie ist Neuköllnerin. Wir haben uns vor  mehr als 40 Jahren bei den Wasserfreunden kennengelernt. Ich bin dann früh hier in die Ecke gezogen. Meine Tochter wohnt inzwischen mit ihrer Familie nebenan, mein Sohn mit seiner Freundin im Haus vor uns. Ich finde das toll. Ich bin ein richtiger Familienmensch. 

Ihre Tochter ist mit dem früheren Nationalspieler Marc Politze verheiratet. Geht es bei Ihren drei Enkelkindern Richtung Wasserball?

Die beiden Mädchen spielen Handball. Und der Kleine ist erst ein Jahr alt. Wir schauen mal.

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Ihr Fahrrad-Unternehmen hat acht Standorte. Sie sind Bundestrainer und seit über einem Vierteljahrhundert Präsident der Wasserfreunde. Wie passt das alles zeitlich?

Alles, was ich mache, mache ich gerne. Ich gehe gerne arbeiten, kümmere mich gern um Wasserball und habe überall gute Mitstreiter und bin gern bei meiner tollen Familie. Das sind die drei Eckpfeiler meiner 60 Jahre.

Von 2000 an waren Sie zwölf Jahre Bundestrainer, sind es seit 2016 wieder. Der Vertrag läuft bis zum Jahresende. Und dann?

Durch die Pandemie hat sich alles verschoben. Wir wollen uns im Februar für Olympia qualifizieren. So oder so ist danach für mich Schluss.

Dabei geht es gerade aufwärts mit der Nationalmannschaft.

Wir sind wieder in der erweiterten Weltspitze, das ist sehr positiv. Und ich fühle mich fit, schwimme immer noch viel. Aber irgendwann ist es an der Zeit, dass andere Verantwortung übernehmen.  

Die Coronavirus-Beschränkungen wurden gelockert, feiern Sie Ihren Geburtstag größer?

Ohne Corona hätte ich es gemacht. Aber jetzt treffen wir uns im kleinen Kreis mit der Familie. Ich bin ohnehin kein Geburtstagsmensch. Das Leben geht am nächsten Tag weiter und das hoffentlich noch lange.

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