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Radsportler Christopher Froom.

© dpa/Benoit Tessier

Doping im Radsport: Warum Chris Froome freigesprochen wurde

Der überraschende Freispruch für Chris Froome basiert auf nachträglichen Berechnungen. Der Tour-Champion profitiert dabei von neuen Toleranzgrenzen.

Mathematik ist zuweilen eine Zauberwissenschaft, sie kann Dinge verschwinden lassen und positive Werte in negative verwandeln. Der Freispruch Chris Froomes durch die Welt-Anti-Dopingagentur Wada und den Internationalen Radsportverband UCI ist nun auch so ein Zauberwerk der Mathematik. Darauf weist ein „Times“-Interview von Froome selbst hin. Darin sagt er unter anderem, dass die Messung einer Probe auch den Faktor Dehydrierung mit einbezog – ein Novum bei der Dopingprobenanalyse.

Bekannt war bereits, dass Froomes gemessener Salbutamolwert von 1920 Nanogramm pro Milliliter (ng/ml) rechnerisch auf 1429 ng/ml angepasst wurde. Grundlagen sind offenbar Studien über Flüssigkeitsverluste bei großen Anstrengungen. Dreiwöchige Rundfahrten gehören mit Sicherheit in diese Kategorie.

Die genaue Mathematik dahinter wurde leider nicht verraten. Also weder, wie hoch durchschnittliche Flüssigkeitsverluste waren, wie sie von Minimal- wie Maximalwerten unter- respektive überboten wurden, in welchem Setting die Messungen stattfanden und wie vergleichbar das Testdesign mit Froomes Vuelta-Fahrt war. Das lässt ein großes Fragezeichen an den 1429 ng/ml – selbst wenn die Tatsache, dass der Verlust von Flüssigkeit zu einer höheren Konzentration einer Substanz bei deren gleichbleibender Menge führt, vollkommen einleuchtet.

Weit über dem Grenzwert – 1000 ng/ml – lag Froome aber immer noch. Zu Hilfe kam ihm und seinem Verteidigungsteam nun eine neue Berechnungsgrundlage für Grenzwerte der Wada. Die wurde am 15. November 2017 vorgestellt – zwei Monate nach Froomes Durchbrechen der Salbutamol-Schallmauer. Rechtlich gesehen galt sie gar nicht für den Froome-Fall. Sie wurde aber rückwirkend angewendet.

An den Werten geschraubt

Das klingt einerseits nach Rechtsbeugung, denn der Paragraf galt ja noch nicht für den Fall. Fachlich kann man die Entscheidung aber auch begrüßen, weil eben neuere Forschungsergebnisse berücksichtigt werden. Messfehler sollen so ausgeglichen werden. Die neue Verordnung erhöht in zwei Schritten den Grenzwert von 1000 ng/ml auf 1200 ng/ml. Als „absolute Standardungenauigkeit“ werden für Salbutamol 100 ng/ml gesetzt, dazu kommen weitere zehn Prozent, also noch einmal 100 ng/ml zusätzliche Toleranz. Die neuen Toleranzbereiche – sie gelten auch für andere Substanzen wie Ephedrin, Morphin und Wachstumshormone – führten dazu, dass Froomes Grenzwertüberschreitung nun nicht mehr fast das Doppelte betrug, sondern weniger als 20 Prozent.

Wada-Wissenschaftsdirektor Oliver Rabin erklärte: „Wir hatten in diesem Fall verschiedene spezifische Faktoren. Es gab erstens eine sehr deutliche Erhöhung der Dosis in den Tagen zuvor. Zweitens wurde er wegen einer Entzündung behandelt. Und dann gab es noch den physiologischen Effekt des Rennens selbst. All das in Betracht ziehend, haben wir entschieden, dass das Testergebnis selbst nicht unvereinbar mit therapeutischen Dosierungen war.“

Das bedeutet: Weil nicht alle Faktoren messbar und quantifizierbar sind, könnte Froome beim Inhalieren tatsächlich innerhalb der erlaubten Mengen geblieben sein. Die Antidoping-Wissenschaft riskiert dennoch beim Fall Froome, zur Schätzwissenschaft zu werden. Wer genug fachliche Manpower aufzubringen vermag, kann Werte nachträglich modifizieren. Der große Tourheld und erstklassige Rundfahrer Froome profitiert in jedem Fall von den neuen Regelungen.

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