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Triana Serfaty und Enrique Plantey sind mittlerweile seit zehn Jahren zusammen.

© promo

Paralympics-Athlet bricht ein Tabu: Vom Para-Orgasmus und Sex im Rollstuhl

Der querschnittgelähmte Para-Skifahrer Enrique Plantey und seine Freundin sprechen offen über ihr Sexleben und schreiben ein Buch – im paralympischen Dorf kennt das „jeder“.

Von Zoe Bunje

An dieser Stelle berichtete das Team der Paralympics Zeitung, ein Projekt von Tagesspiegel und der Deutschen Gesetzlichen Unfallversicherung. Alle Texte zu den Spielen rund um Peking finden Sie hier. Aktuelles finden Sie auf den Social Media Kanälen der Paralympics Zeitung auf Twitter, Instagram und Facebook.

Die Unsicherheit vor dem ersten Kuss, die Aufregung vor der ersten Berührung, geteilte Momente der Zärtlichkeit, gemeinsames Verlangen – alles Emotionen, die intime Momente häufig begleiten. Sie begleiten auch Gonzalez und die Rollstuhlfahrerin Betsy, die Protagonisten einer erotischen Kurzgeschichte, die nach einem holprigen Kennenlernen das erste Mal miteinander schlafen: „Ich ging ins Schlafzimmer und setzte mich auf das Bett. Ich wartete ängstlich und nervös auf sie. Was wird passieren? Was wird ihr gefallen?“ heißt es darin: „Ich bemerkte nicht, dass sie bereits auf das Bett geklettert war und auf mir lag. Sie fing an, mich am ganzen Körper zu küssen.“ 

Triana Serfaty und Enrique Plantey haben diese und andere Geschichten auf ihrem Instagramkanal @Sexistimos veröffentlicht. Die spanische Krankenschwester und der paralympische Skirennfahrer aus Argentinien, der bei der Eröffnungsfeier der Paralympics in Peking die argentinische Fahne ins Nationalstadion trug, sind seit zehn Jahren ein Paar – und schreiben nicht zufällig über eine Protagonistin im Rollstuhl. Auch Plantey ist seit seinem zehnten Lebensjahr querschnittgelähmt. Als sich die Beiden in einer Diskothek in Buenos Aires zum ersten Mal sahen, spürten sie sofort die Anziehung, sie unterhielten sich, lachten. Enrique war die erste junge Person im Rollstuhl, die die damals 18-jährige Triana kennenlernte. „Und ich habe mich so in ihn verliebt“, erzählt sie heute: „Alles was er tat, kam mir großartig vor.“

Freunde fragen: „Könnt ihr denn miteinander schlafen?“

Planteys Querschnittlähmung war zwischen den beiden nie ein großes Hindernis. In den Köpfen anderer Menschen dafür schon. Es gab Freundinnen, Fremde in der Disko, die das Pärchen fragen: „Könnt ihr denn miteinander schlafen?“ Aber ja, natürlich können sie! An ihr erstes Mal mit Enrique erinnert sie sich noch ganz genau. „Es lag so viel sexuelle Anspannung in der Luft, so viel Nervosität, so viel Lust“, erzählt Serfaty. „Damals waren wir beide darauf fokussiert, uns Freude zu schenken, er mir und ich ihm, und wir vergaßen zu genießen.“ Heute seien sie beim Sex viel technischer und gleichberechtigter geworden, sie wissen besser, wie sie einander befriedigen können. Aber es sei schwierig gewesen, überhaupt Informationen zu finden, wie sie ihr Sexualleben als interabled Pärchen verbessern könnten.

Triana Serfaty und Enrique Plantey lernten sich in einer Diskothek in Buenos Aires kennen.
Triana Serfaty und Enrique Plantey lernten sich in einer Diskothek in Buenos Aires kennen.

© promo

Diese fehlenden – oder falschen Informationen über das Thema Sex mit Behinderung begleiten Enrique Plantey schon seit mehr als zwanzig Jahren: Mit 11 Jahren sagte ihm ein Arzt, dass sein Sexualleben für immer eingeschränkt sei, erzählt er. Plantey hat dem Kommentar des Arztes nicht zu viel Bedeutung geschenkt. Stattdessen probierte er sich selbst aus, lernte so, dass er sehr wohl Sex haben kann. Vielleicht fällt ihm das damals so leicht, weil sein Umfeld nie eine große Sache aus seiner Behinderung machte: „Seine Familie und seine Freunde haben ihn immer genau so akzeptiert wie er ist, er selbst war mit sich selbst zufrieden, hat sich immer akzeptiert. Es hätte ihn geschockt, wenn es jemand ihm nicht gleichtut“, erklärt seine Freundin der Paralympics Zeitung im Interview. Es ist das Unwissen über Sexualität von Menschen mit Behinderung, dass sie schon während ihrer gesamten Beziehung begleitet – und nun dazu motiviert hat, über ihre eigene Intimität zu sprechen.

Im Buch klären sie über den Para-Orgasmus auf

Im Corona-Lockdown entstand die Idee, ein Buch über die Intimität von interabled Pärchen zu schreiben. Triana Serfaty und Enrique Plantey erzählen zusammen mit der Sexologin Bárbara García darin aus ihrem eigenen Sexualleben und dem von anderen Pärchen. „Es fällt mir nicht leicht, diese privaten Erfahrungen mit der Öffentlichkeit zu teilen“, sagt Serfaty. Doch sie betont: „Es wird Zeit, dass wir lauter über Sexualität und Behinderung sprechen.“ Ähnliche Inhalte teilen sie schon eine Weile auf ihrem Instagramkanal und bieten dort zusätzlich eine Beratung an. Bei diesen Beratungen würden sie beispielsweise Fragen oder Zweifel von Menschen mit Behinderung beantworten und ihr Wissen teilen.

In dem Buch, das demnächst erscheinen soll, klären sie beispielsweise über den Para-Orgasmus auf, einem Orgasmus, der nicht durch genitale Stimulation, sondern durch die Stimulation von anderen erogenen Zonen erreicht werden kann. Die Themen, die sie dabei ansprechen, sind nicht nur für Pärchen mit Behinderung interessant. „Themen wie der Para-Orgasmus oder tantrischer Sex können das Sexleben von allen Paaren verbessern“, sagt Triana Serfaty. Denn schließlich können auch Pärchen ohne Behinderung diese Techniken anwenden und so ihr Sexleben verbessern.

Das Paar ist mittlerweile seit zehn Jahren zusammen, seit acht Jahren begleitet Serfaty ihren Freund zu seinen Trainings und seinen Wettkämpfen. „Das war nicht immer einfach“, sagt Serfaty, „ich habe ihn immer begleitet – ohne Limits, manchmal musste ich beinahe unsichtbar an seiner Seite stehen.“ Schon bei zwei Winter-Paralympics, in Sotchi und Pyeongchang, waren sie gemeinsam. Auch in China ist sie als Teammitglied der Argentinier dabei. „Wir fahren gemeinsam, aber wir sind sehr professionell während der Spiele, damit Enrique sich konzentrieren kann“, sagt Serfaty.

Im paralympischen Dorf fragen andere Athletinnen und Athleten immer wieder nach dem Buch und seinen Themen: „Hier kennt jeder unser Buch“, sagt Serfaty. Ein Teil des Buches sei auch aus solchen Gesprächen etwa bei Wettkämpfen entstanden, erzählt sie der Paralympics-Zeitung im Interview. Über ihren Instagramkanal hätten sie bereits viele Sportlerinnen und Sportler kennengelernt. Bei den Spielen in Peking könnten sie endlich auch persönlich mit ihnen sprechen: „Wir haben uns mit Sportlern getroffen, die jetzt auch Freunde sind.“

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