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Sport: Versöhner mit Herz und Händen

Er kam als deutscher Kriegsgefangener und wurde in England zur Torwartlegende: Zum Tod von Bernd Trautmann.

Von Markus Hesselmann

Nach Manchester ist er immer wieder gekommen. Aus Spanien, wo er in den letzten Jahrzehnten gelebt hat. Anlass seines Besuchs war meist das Derby seines Klubs Manchester City gegen den großen Lokalrivalen Manchester United. Dann ging Bernd Trautmann auf den Rasen – längst nicht mehr in der alten Arena an der Maine Road, sondern im neuen, glitzernden Stahlensemble namens City of Manchester Stadium – und nahm winkend den Applaus entgegen. Oder er plauderte mit alten Weggefährten und jungen Bewunderern. Oder stand vor dem Stadion und gab Autogramme. Sie alle haben ihn sofort erkannt, Fans in jedem Alter. Sie strömten auf ihn zu, umringten ihn, drückten ihm ihren Respekt aus und erzählten sich von seiner großen Zeit, nachdem geduldig alle Autogramme geschrieben waren.

In einer Umfrage unter City-Fans wurde Bernd Trautmann, der Einfachheit halber in England „Bert“ genannt, zum besten Spieler der gesamten Klubgeschichte gewählt. Eine passende Würdigung von der Basis für einen großen Sportler, dessen unglaubliche Lebensgeschichte die Geschichte des 20. Jahrhunderts spiegelt. Als Kriegsgefangener war er nach England gekommen. Er blieb und wurde dort zur Fußballlegende. Am Freitag ist der deutsche Fußballtorwart Bernd Trautmann im Alter von 89 Jahren in seiner Wahlheimat bei Valencia gestorben. „Bert Trautmann war ein großartiger Sportler und wahrer Gentleman. Seine außergewöhnliche Karriere wird für immer in den Geschichtsbüchern bleiben“, sagte DFB-Präsident Wolfgang Niersbach.

Vor allem diese eine Geschichte erzählen sie sich in Manchester immer wieder: die vom gebrochenen Genick. Wembley. 1956. FA-Cup-Finale zwischen Manchester City und Birmingham City. Trautmanns Team führt eine Viertelstunde vor Schluss 3:1. Bei einer spektakulären Parade trifft das Knie eines Stürmers den deutschen Torwart am Kopf. Trautmann bleibt zunächst bewusstlos liegen, spielt dann aber benommen weiter. Auswechslungen waren damals noch nicht möglich. Trautmann hält durch, Manchester City holt den FA-Cup.

Erst später wurde klar, dass sich Trautmann bei dem Zusammenprall schwer verletzt hatte. Der zweite Halswirbel war durch. Der dritte Wirbel drängte nach oben gegen den zweiten. Es war eine Sache von Millimetern. Der Torwart hätte gelähmt sein können oder tot. Doch Trautmann hatte Glück. Er erholte sich und setzte seine Torwart-Karriere fort. Trautmann wollte um sein Durchhaltevermögen nie viel Aufhebens machen. „Hätte ich gewusst, dass es so schlimm ist, dann hätte ich natürlich nicht weitergespielt“, sagte er nüchtern dazu. Die Rolle des zähen Helden lag ihm nie. Viel wichtiger war ihm immer, dass er zur Versöhnung der Gegner zweier Weltkriege beigetragen hat. Die von ihm ins Leben gerufene Trautmann-Foundation wird sich in seinem Namen weiter um die Pflege der deutsch-britischen Beziehungen kümmern.

Großbritannien hat den Deutschen für seine Verdienste mit einem Order of the British Empire ausgezeichnet, jenen Deutschen, der 1945 mit dem berühmten, auf der Insel immer wieder zitierten Satz: „Magst Du eine Tasse Tee, Fritz?“ von einem britischen Soldaten gefangen genommen worden war. „Fritz“, das war im Krieg der Sammelname für alle Deutschen, wahlweise: „Krauts“. Und die Engländer, das waren für Soldaten wie Trautmann die „Tommys“. 21 Jahre alt war der gebürtige Bremer, als er kurz vor Kriegsende in britische Gefangenschaft geriet und nach Großbritannien gebracht wurde. „Wir wurden mit einer unglaublichen Fairness empfangen“, sagte Trautmann. „Schon in den Augen der Menschen konnte ich sehen, dass sie nichts gegen mich hatten. Im Gegenteil, sie hatten Mitleid mit uns.“

Er wurde in einem Gefangenenlager nicht weit von Manchester untergebracht – und spielte dort Fußball. Britische Offiziere entdeckten sein Talent als Torwart, das sprach sich herum und bald nach seiner Entlassung aus dem Lager bekam Bernd Trautmann Angebote von Fußballvereinen. Über den Amateurverein St. Helen's Town kam er zu den Profis von Manchester City. Da war es mit der Freundlichkeit erst einmal vorbei. Die Zeitungen begannen eine Kampagne gegen den „Nazi“ im Team, jüdische Bürger protestierten, es gab Boykottaufrufe gegen Manchester City. „Ich konnte das verstehen“, sagte Trautmann später dazu. Er überzeugte die Skeptiker mit Leistung. In wenigen Spielen gewann er die Zuschauer für sich. Mit seinen Paraden, seinem Stellungsspiel, seiner Fangsicherheit, seinen legendär weiten Abwürfen, mit denen er seine Mannschaftskameraden geschickt ins Spiel brachte.

Trautmann wollte nicht nur für eine sportliche Großtat im Gedächtnis bleiben. „Ich habe 600 Spiele für Manchester City gemacht“, sagte er. „Und alle erinnern sich wegen 1956 an mich.“ Das hörte sich aber eher liebevoll resigniert an als wirklich verärgert. Nach dem Ende seiner aktiven Karriere 1964 kam eine kurze, nicht allzu erfolgreiche Zeit als Vereinstrainer, bevor Trautmann sich als Entwicklungshelfer in Sachen Fußball mit Einsätzen für den Deutschen Fußball-Bund in Afrika und Asien verdient machte.

Für Deutschland gespielt hat Bernd Trautmann nie, obwohl er womöglich der beste deutsche Torhüter der Fünfzigerjahre war. Doch Bundestrainer Sepp Herberger wollte den Mann von der Insel nicht. „Sepp scheute das Risiko“, sagte Trautmann zu diesem Thema. „Was wäre gewesen, wenn der Kerl aus England die Deutschen enttäuscht hätte?“, sagte der Torwart und klang dabei fast verständnisvoll. Jedenfalls kein bisschen bitter.

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